Wie ein Spaziergang durch Londons schummrige Gassen
Elf Jahre nach ihrem Debüt sind On The Offshore wieder ins Studio gegangen. „In Exile“hält viele Überraschungen bereit
In elf Jahren kann man alles schaffen – oder gar nichts. Die Sleazerocker Guns n‘ Roses verbrachten elf Jahre damit, ihr Album „Chinese Democracy“anzukündigen, um es dann erst einmal doch nicht herauszubringen. Die Beatles wiederum machten in knapp elf Jahren aus ihrer Liverpooler Schulcovergruppe die größte Band in aller Ewigkeit. In den 11 Jahren, die bis heute seit der Veröffentlichung des Debüts „You have not, you’ve never been“von On The Offshore, ins Land zogen, waren auch Lucy Pereira und Girisha nicht untätig.
Sängerin Pereira spielte mit den Bands Melge und Left Leg, unterrichtete Englisch in London und verbrachte zwei Jahre in Indien. Bassist Fernando kuratierte die Langen Brechtnächte, veröffentlichte Platten mit Misuk und Troy of Persia, erweckte das Improvisationsprojekt
Free Modal Jazz Thing wieder zum Leben und schrieb Musik für das Staatstheater Augsburg. Nur ein neues Album von On The Offshore, das gab es nicht.
Bis jetzt. Denn jetzt erscheint nach langer Schaffenspause der Nachfolger „In Exile“. Fernando erklärt die Pause mit dem langen Auslandsaufenthalt seiner langjährigen musikalischen Partnerin Pereira. Wobei die beiden in der Zwischenzeit bei gegenseitigen Besuchen „immer wieder Songs gemacht haben, aber eben erst mal ohne Ziel“. Doch dann kamen zwei Dinge zusammen, die uns nun ein neues Album bescheren: Pereira entschied sich, wieder nach Augsburg zu ziehen und der Intendant des Staatstheaters, André Bücker, bat Fernando um die Musik für die Inszenierung von Shakespeares „Der Sturm“. So entstanden die ersten neuen Stücke, und „sobald wir einen Song machen, klingt es eben nach
On The Offshore. Wir hatten aber auch den Anspruch, Stücke zu schreiben, die unabhängig vom Theater funktionieren.“
Der ursprünglichen Thematik der Zauberkomödie, Isolation, Unterdrückung und Magie, wollten die beiden Komponisten moderne Songs entgegenstellen. Und um es gleich vorwegzunehmen: „In Exile“ist ein wunderbares Album geworden, ein leuchtendes, warmes, melancholisches Stück Musik, das trotz der Ästhetik der 1990er Jahre zeitlos klingt.
Gleich im ersten Song „Watching You“nehmen einen die Beats von Deniz Khan und das Cello von Philharmoniker Johannes Gutfleisch mit auf einen Spaziergang durch die schummrigen Gassen des Londoner East Ends, als es noch nicht mit Starbucks-Filialen zugekleistert war, sondern es überall kleine Hinterzimmerclubs gab, in denen man die wunderbarste Musik entdecken konnte. Es passiert so viel in diesen elf Songs, hier läuft eine geschäftige Basslinie, dort erzählt ein Synthiesolo von Pianist Tom Jahn einen kleinen Witz, hier stolpern verzögerte Dub-Hintergrundgeräusche, dort blitzt ein Gitarrenakkord wie aus dem Lehrbuch von The-PoliceGitarristen Andy Summers.
Schon nach dem ersten Hören bleiben die Stücke hängen, so eingängig kommen sie daher, aber jedes einzelne hält eine kleine Überraschung bereit, biegt kurz ab, verändert die Harmonie oder die Dynamik. Trotzdem wirken die Songs nie überladen, jedes Element ist dort, wo es sein soll. Das ist auch der Produktion von Girisha Fernando zu verdanken, der die Songs glasklar abgemischt hat und nicht verhehlen kann, dass er aus der Sicht eines Bassisten denkt. Aber der Bass ist nun mal immer die Basis und oft Quelle eines jeden guten Songs, der im Popkontext geschrieben wurde. „Ich will nicht, dass der Sound gegenüber des internationalen Standards abfällt“, sagt er.
Das hat er geschafft, die Produktion aus seinen Offshore-Studios in der Altstadt ist lokal, der Sound global. Lucy Pereiras Stimme ist noch einmal deutlich gereift seit dem Debüt, sie singt eindringlich und umarmend, sie braucht keine Verzierungen und keine Interjektionen, sie klingt nach Bestimmtheit, Soul und ein klein wenig Rauch. Das Album gibt es physisch, aber natürlich auch auf allen gängigen Streaminplattformen. Doch entgegen des Trends beim Streaming sollte „In Exile“am Stück gehört werden. Denn erst dann entfaltet der Abschluss „Luminescence“mit seiner zarten Akustikgitarre, der zurückhaltenden Orgel und dem nostalgischen Refrain seine ganze, Gänsehaut erzeugende Wirkung.