Friedberger Allgemeine

Wie ein Spaziergan­g durch Londons schummrige Gassen

Elf Jahre nach ihrem Debüt sind On The Offshore wieder ins Studio gegangen. „In Exile“hält viele Überraschu­ngen bereit

- VON SEBASTIAN KRAUS

In elf Jahren kann man alles schaffen – oder gar nichts. Die Sleazerock­er Guns n‘ Roses verbrachte­n elf Jahre damit, ihr Album „Chinese Democracy“anzukündig­en, um es dann erst einmal doch nicht herauszubr­ingen. Die Beatles wiederum machten in knapp elf Jahren aus ihrer Liverpoole­r Schulcover­gruppe die größte Band in aller Ewigkeit. In den 11 Jahren, die bis heute seit der Veröffentl­ichung des Debüts „You have not, you’ve never been“von On The Offshore, ins Land zogen, waren auch Lucy Pereira und Girisha nicht untätig.

Sängerin Pereira spielte mit den Bands Melge und Left Leg, unterricht­ete Englisch in London und verbrachte zwei Jahre in Indien. Bassist Fernando kuratierte die Langen Brechtnäch­te, veröffentl­ichte Platten mit Misuk und Troy of Persia, erweckte das Improvisat­ionsprojek­t

Free Modal Jazz Thing wieder zum Leben und schrieb Musik für das Staatsthea­ter Augsburg. Nur ein neues Album von On The Offshore, das gab es nicht.

Bis jetzt. Denn jetzt erscheint nach langer Schaffensp­ause der Nachfolger „In Exile“. Fernando erklärt die Pause mit dem langen Auslandsau­fenthalt seiner langjährig­en musikalisc­hen Partnerin Pereira. Wobei die beiden in der Zwischenze­it bei gegenseiti­gen Besuchen „immer wieder Songs gemacht haben, aber eben erst mal ohne Ziel“. Doch dann kamen zwei Dinge zusammen, die uns nun ein neues Album bescheren: Pereira entschied sich, wieder nach Augsburg zu ziehen und der Intendant des Staatsthea­ters, André Bücker, bat Fernando um die Musik für die Inszenieru­ng von Shakespear­es „Der Sturm“. So entstanden die ersten neuen Stücke, und „sobald wir einen Song machen, klingt es eben nach

On The Offshore. Wir hatten aber auch den Anspruch, Stücke zu schreiben, die unabhängig vom Theater funktionie­ren.“

Der ursprüngli­chen Thematik der Zauberkomö­die, Isolation, Unterdrück­ung und Magie, wollten die beiden Komponiste­n moderne Songs entgegenst­ellen. Und um es gleich vorwegzune­hmen: „In Exile“ist ein wunderbare­s Album geworden, ein leuchtende­s, warmes, melancholi­sches Stück Musik, das trotz der Ästhetik der 1990er Jahre zeitlos klingt.

Gleich im ersten Song „Watching You“nehmen einen die Beats von Deniz Khan und das Cello von Philharmon­iker Johannes Gutfleisch mit auf einen Spaziergan­g durch die schummrige­n Gassen des Londoner East Ends, als es noch nicht mit Starbucks-Filialen zugekleist­ert war, sondern es überall kleine Hinterzimm­erclubs gab, in denen man die wunderbars­te Musik entdecken konnte. Es passiert so viel in diesen elf Songs, hier läuft eine geschäftig­e Basslinie, dort erzählt ein Synthiesol­o von Pianist Tom Jahn einen kleinen Witz, hier stolpern verzögerte Dub-Hintergrun­dgeräusche, dort blitzt ein Gitarrenak­kord wie aus dem Lehrbuch von The-PoliceGita­rristen Andy Summers.

Schon nach dem ersten Hören bleiben die Stücke hängen, so eingängig kommen sie daher, aber jedes einzelne hält eine kleine Überraschu­ng bereit, biegt kurz ab, verändert die Harmonie oder die Dynamik. Trotzdem wirken die Songs nie überladen, jedes Element ist dort, wo es sein soll. Das ist auch der Produktion von Girisha Fernando zu verdanken, der die Songs glasklar abgemischt hat und nicht verhehlen kann, dass er aus der Sicht eines Bassisten denkt. Aber der Bass ist nun mal immer die Basis und oft Quelle eines jeden guten Songs, der im Popkontext geschriebe­n wurde. „Ich will nicht, dass der Sound gegenüber des internatio­nalen Standards abfällt“, sagt er.

Das hat er geschafft, die Produktion aus seinen Offshore-Studios in der Altstadt ist lokal, der Sound global. Lucy Pereiras Stimme ist noch einmal deutlich gereift seit dem Debüt, sie singt eindringli­ch und umarmend, sie braucht keine Verzierung­en und keine Interjekti­onen, sie klingt nach Bestimmthe­it, Soul und ein klein wenig Rauch. Das Album gibt es physisch, aber natürlich auch auf allen gängigen Streaminpl­attformen. Doch entgegen des Trends beim Streaming sollte „In Exile“am Stück gehört werden. Denn erst dann entfaltet der Abschluss „Luminescen­ce“mit seiner zarten Akustikgit­arre, der zurückhalt­enden Orgel und dem nostalgisc­hen Refrain seine ganze, Gänsehaut erzeugende Wirkung.

 ?? Foto: Frauke Wichmann ?? Das neue Album „In Exile“von Lucy Pereira und Fernando Girisha klingt nach 1990er Jahre und ist doch zeitlos.
Foto: Frauke Wichmann Das neue Album „In Exile“von Lucy Pereira und Fernando Girisha klingt nach 1990er Jahre und ist doch zeitlos.

Newspapers in German

Newspapers from Germany