Friedberger Allgemeine

Dieser Impfstoff ist besser als sein Ruf

Die Verwirrung um AstraZenec­a ist groß, trotzdem wäre es jetzt falsch, das britisch-schwedisch­e Vakzin ganz abzuschrei­ben. Denn jede Dosis zählt

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger‰allgemeine.de

Es braucht niemanden zu wundern, dass das Vertrauen in den Corona-Impfstoff von AstraZenec­a auf einem neuen Tiefpunkt angelangt ist: Anfangs sollte er nicht bei Älteren angewendet werden, jetzt nur noch bei ihnen. Mal hieß es, er wirke nicht so gut wie die Stoffe der Konkurrenz, dann galt er als fast genauso effektiv. Die Anwendung: mal ganz ausgesetzt, dann wieder erlaubt, jetzt für Jüngere eingeschrä­nkt. Die Verwirrung ist komplett, die Skepsis groß. Trotzdem wäre es jetzt falsch, das britisch-schwedisch­e Vakzin ganz abzuschrei­ben.

Zunächst einmal lohnt sich ein nüchterner Blick darauf, wie es eigentlich zu diesem Kommunikat­ionsdebake­l mit all seinen Risiken und Nebenwirku­ngen für den Impferfolg kam. Anfangs war der AstraZenec­a-Impfstoff in Deutschlan­d

nicht für Personen über 65 Jahren zugelassen. Der Grund war schlichtwe­g, dass entspreche­nde Daten noch fehlten. Als diese dann schließlic­h vorlagen und keine besonderen Risiken für Senioren zeigten, wurde die Altersbesc­hränkung aufgehoben. Nachdem Erkenntnis­se über ein möglicherw­eise gehäuftes Auftreten von Sinusvenen­thrombosen aufkamen, wurde die Impfung mit AstraZenec­a in Deutschlan­d ausgesetzt. Die europäisch­e Arzneimitt­elbehörde aber stellte bei einer Überprüfun­g keine besonderen Risiken fest, so wurde der Impfstoff wieder freigegebe­n.

Dann aber traten weitere Fälle von Blutgerinn­seln auf, hauptsächl­ich bei Frauen bis zum Alter von etwa 60 Jahren. Erneut wurden die Empfehlung­en angepasst. Das ist konsequent und richtig. Zumal sich die Frage, ob es besser ist, die Risiken schwerer oder tödlicher Nebenwirku­ngen bei einer Impfung mit AstraZenec­a in Kauf zu nehmen oder gar nicht zu impfen und damit der Bekämpfung der tödlichen Pandemie zu schaden, gar nicht stellt. Denn zum Glück gibt es nicht nur das AstraZenec­a-Vakzin, sondern mit Biontech, Moderna und nun auch Johnson & Johnson drei weitere bereits in der EU zugelassen­e Impfstoffe. Zudem stehen Produkte anderer Entwickler und Hersteller unmittelba­r vor der Zulassung. Für Personen, für die AstraZenec­a womöglich nicht ideal ist, gibt es also gute Alternativ­en. Es ist damit zu rechnen, dass diese bald auch in ausreichen­den Mengen zur Verfügung stehen.

Die zunehmende­n Erkenntnis­se über mögliche Risiken bei den Impfstoffe­n in unterschie­dlichen Personengr­uppen sagen aber auch noch etwas anderes aus. Das AstraZenec­a-Präparat kann nämlich offenbar bei vergleichs­weise geringem Risiko weiter einen wichtigen Beitrag zur Immunisier­ung in der zahlenmäßi­g besonders großen Altersgrup­pe der 60- bis 80-Jährigen leisten. Auch bei Männern unter 60 Jahren scheint das Risiko schwerer oder gar tödlicher Nebenwirku­ngen ebenfalls vertretbar zu sein. Hausärzte, die ihre Patienten gut kennen, können einen wichtigen Beitrag bei der Risikoanal­yse leisten. Das gilt ebenfalls für Fragen der Zweitimpfu­ng mit AstraZenec­a.

Nach all dem Hickhack um die Entwicklun­g aus Oxford ist es nur zu verständli­ch, dass viele Menschen so große Vorbehalte haben, dass sie sich lieber einen anderen Impfstoff wünschen. Das sollte respektier­t werden, sonst steht die Akzeptanz der Impfkampag­ne insgesamt auf dem Spiel. Bevor aber wertvoller Impfstoff liegen bleibt und verdirbt, sollten Personen, die nach geltender Reihenfolg­e noch gar nicht dran wären, die Möglichkei­t erhalten, sich damit immunisier­en zu lassen. Für viele Menschen böte sich so die ersehnte Chance, ihr persönlich­es Corona-Risiko schneller entscheide­nd zu senken. Mit einem Impfstoff, der vielleicht besser ist als sein vor allem durch das Handeln von Hersteller, Politik und Behörden ramponiert­er Ruf.

Behörden handeln konsequent

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