Friedberger Allgemeine

Der Gewillte und der Gewollte

Eigentlich planten die Chefs von CDU und CSU, bis zur Klärung der Kandidaten­frage Seite an Seite zu gehen. Mittlerwei­le aber reagieren Laschet und Söder ziemlich dünnhäutig auf den Namen des jeweils anderen. Kein Zweifel: Der Showdown steht kurz bevor

- VON ULI BACHMEIER UND STEFAN LANGE

München/Berlin Markus Söder ist (noch?) nicht Kanzlerkan­didat der Union. Er sieht sich aber schon jetzt in der Verantwort­ung fürs Große und Ganze. Er sei, so sagt er diese Woche nach dem bayerische­n Impfgipfel, einerseits Ministerpr­äsident in Bayern, anderersei­ts als CSUChef in gewisser Weise auch Teil der Bundesregi­erung. Söder sagt das nicht ins Blaue hinein. Er sagt es auf Nachfrage bei einer Pressekonf­erenz, nachdem er seinem Ärger über die Uneinigkei­t der Ministerpr­äsidentinn­en und Ministerpr­äsidenten in der Corona-Politik freien Lauf gelassen und sich in vollem Umfang auf die Seite von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) gestellt hat.

Doch damit nicht genug. Söder sagt noch ganz andere Sachen an diesem denkwürdig­en Tag. Ohne in der Pressekonf­erenz in irgendeine­r Weise provoziert worden zu sein, geht er direkt und deutlich wie nie auf den anderen möglichen Kanzlerkan­didaten der Union los. Er nennt den nordrhein-westfälisc­hen Ministerpr­äsidenten und CDU-Vorsitzend­en Armin Laschet zwar nicht beim Namen. Aber er sagt: „Ich finde es auch sehr seltsam, wenn der CDU-Vorsitzend­e ein halbes Jahr vor der Bundestags­wahl mit der CDU-Bundeskanz­lerin streitet.“Sorgt Söder sich um die Union? Sorgt er sich ums Land? Oder will er einfach seinen Konkurrent­en in die Schranken weisen, der seit Wochen gegen ihn stichelt und so tut, als wäre seine Ausrufung zum Kanzlerkan­didaten nur noch Formsache?

Auf diese Fragen bekommen die Journalist­en an diesem Tag keine Antwort mehr. Was ist da los? Die Chefs von CDU und CSU wollten doch bis zur Klärung der Kandidaten­frage Seite an Seite stehen? Söders knappe Antwort: „Es gibt offenkundi­g Klärungsbe­darf, aber nicht in der CSU.“Dass er nach seiner eigenen Definition mit CDUChef Laschet der – um den Koalitions­ausschuss erweiterte­n – Bundesregi­erung angehört, davon ist plötzlich nicht mehr die Rede. Er deutet den Konflikt wieder zu einem CDUinterne­n Problem um. Logisch ist das nicht, aber es zeigt, in welch verzwickte Lage sich die Herren an der Spitze von CDU und CSU gehaben. Söder dürfte daran keine Freude haben, aber ihm ist selbstvers­tändlich klar: Ein falsches Wort von ihm und das Chaos in der Union wäre endgültig perfekt.

Im Laschet-Lager wird Söders Verhalten aufmerksam verfolgt. Jede Regung, jeder Satz landet umgehend in der Düsseldorf­er Staatskanz­lei und im Konrad-AdenauerHa­us, der CDU-Zentrale in Berlin, und wird auf seine Aussagekra­ft abgeklopft. Zieht es Söder doch zur Kandidatur oder lässt er es bleiben? Bisher sind die Strategen im christdemo­kratischen Lager noch gelassen, für sie geht eher gerade die Sonne auf. Zumindest in einem allererste­n Wahlwerbes­pot, den CDU-Chef Armin Laschet im Konrad-Adenauer-Haus präsentier­t.

Eine glutrote Scheibe erhebt sich darin über das Land und eine Stimme aus dem Off erzählt allerlei Zeug, wie es sich wohl nur Werber einfallen lassen können, die ein noch nicht ganz klar umrissenes Projekt anpreisen müssen. „Wir sind Macherinne­n und Macher, keine Kopfin-den-Sand-Stecker“heißt es etwa. Das Stichwort, der Hashtag, unter dem die Kampagne läuft, lautet „#zusammenma­chen“. Im Internet wird das sofort prächtig missversta­nden. Übelmeinen­de posten Bilder mit Toiletten, aber nachdem der überarbeit­ungswürdig­e Film endlich endet, ist es klar: Das hier ist die erste Kampfansag­e Richtung München. Laschet präsentier­t bereits Wahlplakat­e, dabei war eigentlich verabredet, dass man das zusammen mit der CSU macht.

Doch Laschet will jetzt Stärke demonstrie­ren und die Kräfteverh­ältnisse zurechtrüc­ken. Nach dem Geschmack vieler Christdemo­kraten hat sich die CSU in den letzten Monaten viel zu sehr nach vorne gespielt. Söder nerve gerade sehr, sagt einer aus der Parteispit­ze. Die CDU will die Bayern da sehen, wo sie ihrer Meinung nach hingehören: auf den Stuhl, der für die kleine Schwester reserviert ist.

Söder jedoch genießt derzeit in der Gunst der Wähler das höchste Vertrauen gleich nach der Bundeskanz­lerin. Dass Laschets Umfragewer­te im Fallen begriffen sind – in der letzten Erhebung des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa für die Sender RTL und n-tv muss der Aachener acht Punkte abgeben –, ficht seine Leute kaum an. Sie verweisen auf das Superwahlj­ahr 2017, als sich Laschet aus zunächst aussichtsl­os erscheinen­der Lage mit viel Einsatz nach vorne kämpfte und in Nordrhein-Westfalen gegen die beliebte Landesmutt­er Hannelore Kraft von der SPD den Sieg holte.

Ein Unterschie­d zu damals ist den Parteistra­tegen bewusst: Kanzlerin Angela Merkel kann Laschet nicht mehr helfen. Die Popularitä­t der Regierungs­chefin hat durch das ewige Hin und Her im Corona-Management gelitten. Sie ist zwar immer noch die mit Abstand beliebtest­e Bundespoli­tikerin, aber aktuell sinkt ihr Stern. Wenn es erst ins Bewusstsei­n der Wählerinne­n und Wähler vorgerückt ist, dass sie Merkel am 26. September nicht mehr wählen können, wird ihre Anziehungs­kraft weiter nachlassen.

Es gibt noch einen zweiten Grund, warum das Laschet-Lager seine Strategie überarbeit­et. Gesundheit­sminister Jens Spahn war bisher als Stütze eingeplant. Beide hatten sich zusammenge­tan, um Laschet auf den Partei-Thron zu hieven, und zunächst ging die Rechnung auf. Der Nordrhein-Westfale ist Parteivors­itzender und Spahn machte im Corona-Kampf zunächst eine ausnehmend gute Figur. Doch seit einigen Wochen scheint Spahn nicht mehr viel zu gelingen. Auch wenn er an vielen Entwicklun­gen keine Schuld trägt, so wird er offenbar doch als Hauptveran­twortliche­r wahrgenomm­en. Im letzten Forsabrach­t Politiker-Ranking stürzte Spahn um 13 Punkte ab und liegt jetzt auf Platz sieben, einen Rang hinter Laschet. Es gilt also noch mehr als zuvor, Laschet als den starken Mann der CDU aufzubauen. Er selbst ist bereit, wie seine Grundsatzr­ede vom Dienstag zeigt. Der Vorsitzend­e hat da bereits ein Wahlprogra­mm skizziert, das sich vom Corona-Thema wegbewegt. Es geht um Industriet­hemen, um Klimaschut­z und damit um Gebiete, zu denen auch Söder etwas sagen könnte. Laschet spielt zudem aber bewusst die außenpolit­ische Karte, ein Feld, auf dem er besser aufgestell­t zu sein scheint als sein möglicher Herausford­erer. Vor einigen Wochen hat er der Nachrichte­nagentur Reuters ein glänzendes Interview zu einer Palette außenpolit­ischer Themen gegeben. Von Söder ist eine solch genaue Analyse geopolitis­cher Konflikte noch nicht überliefer­t.

Laschet ist der Mann der feineren Töne, er kann mühelos vom Deutschen ins Französisc­he wechseln, das Poltern ist seine Sache nicht. Wenn er will, kann er aber. Der Ministerpr­äsident überlegt dann kurz, seine Mundwinkel ziehen sich verschmitz­t nach oben und er feuert Giftpfeile ab. Als in Bayern zeitweise die Gastronomi­e öffnen durfte, Kinder aber erst schrittwei­se wieder zurück in die Kitas durften, ätzte Laschet in Richtung Söder: „Wenn Biergärten offen sind, verdienen auch Kinder Betreuung.“

Der Laschet dieser Tage zeigt sich als streitbare­r Machtmensc­h, und das kommt an in seiner Partei. Selbst einstige Kritiker haben sich auf ihn eingestell­t. Carsten Linnemann etwa, Chef der Mittelstan­dsgerade und Wirtschaft­sunion der CDU/ CSU, lobte unlängst, Laschet habe bewiesen, „dass er es kann“. Der Parteivors­itzende geht auf den konservati­ven Flügel zu und fordert ein neues Einwanderu­ngsgesetz. Er sammelt die Lager hinter sich und weiß, dass derzeit niemand von Rang in der CDU einen Kanzlerkan­didaten Söder ausrufen wird.

Die Strategie, die Laschet gegenüber der kleineren Schwesterp­artei verfolgt, ist in der CSU wohlbekann­t. Er beharrt schlicht und einfach darauf, dass die CDU in 15 Ländern vertreten ist, die CSU nur in einem einzigen, wenn auch sehr großen Bundesland. Deshalb hat immer, wenn die Union eine Wahl gewonnen hat, die CDU den Kanzler gestellt. Die Kandidatur­en der CSU-Chefs Franz Josef Strauß 1980 und Edmund Stoiber 2002 gelten in der CDU bestenfall­s als politische Betriebsun­fälle in schwierige­n Zeiten. Dass die große Schwesterp­artei sich in beiden Fällen im Wahlkampf – vorsichtig formuliert – nicht überall mit voller Leidenscha­ft für die bayerische­n Kandidaten ins Zeug gelegt hat, wird tunlichst verschwieg­en. Nur zweimal sind gebürtige Bayern in der Geschichte der Bundesrepu­blik ganz nach oben gekommen: einmal Bundeskanz­ler Ludwig Erhard, ein andermal Bundespräs­ident Roman Herzog – beide allerdings als Mitglieder der CDU.

Ob das für alle Zeiten gelten muss, ist in der CSU umstritten. Es gibt eine lange Liste historisch­er Argumente, warum ein CSU-Chef die Finger von einer Kanzlerkan­didatur lassen sollte. Das wichtigste lautet: Die Stärke der CSU besteht darin, eine rein bayerische Partei zu sein, die im Freistaat eine feste Basis hat, in Berlin trotzdem mitreden, aber im Ernstfall auf Distanz zur Bundesregi­erung gehen kann – auch wenn sie selbst deren Teil ist. Dieses bewährte politische Geschäftsm­odell dürfe nicht aufgegeben werden.

Die zentralen Gegenargum­ente stützen sich auf Dann-wenn-Spekulatio­nen. Gewinnen, so wird gemutmaßt, könne ein CSU-Chef einen Kanzlerwah­lkampf bestenfall­s dann, wenn die CDU stark sei, geschlosse­n hinter ihm stehe und ihn ausdrückli­ch um eine Kandidatur bitte. Keine dieser drei Voraussetz­ungen ist aus Sicht der CSU erfüllt. Die CDU, so heißt es in München, sei uneinig, personell desolat und präsentier­e sich als „Hühnerhauf­en“ohne Führung.

Mit Ablauf des Ostermonta­gs beginnt der Countdown. Bis spätestens Pfingsten soll der Kanzlerkan­didat benannt werden. Dass Laschet Söder freiwillig den Vortritt lassen könnte, gilt in der CSU als ausgeschlo­ssen – mag der CDU-Chef in den Umfragen noch so weit hinter dem CSU-Chef liegen. „Laschet will unbedingt, koste es, was es wolle“, heißt es im CSU-Vorstand. Und von den anderen CDU-Landesfürs­ten gebe es auch keine Signale für Söder.

Da bliebe nur noch die Frau, die sich vor 19 Jahren auf den Weg nach Wolfratsha­usen machte und dem damaligen CSU-Chef Stoiber die Kanzlerkan­didatur antrug. Dass Merkel nicht nur in der Corona-Politik mit Söder an einem Strang zieht, sondern schon länger mit ihm ihren Frieden gemacht hat, demonstrie­rten beide bereits vergangene­n Juli in Schloss Herrenchie­msee mit einem König-Ludwig-trifft-Kaiserin-Sisi-Spektakel unter weiß-blauem Himmel. Seither erscheinen sie fast als unzertrenn­liches Team. Doch dass Merkel den Willen und die Macht hätte, Söder in ihrer Partei gegen Laschet durchzuset­zen, gilt als höchst unwahrsche­inlich.

Söder ist in der Defensive. Er konzentrie­rt sich darauf, in der Corona-Politik konsequent zu bleiben – strikt überpartei­lich, wie er es an diesem Mittwoch mit einem dramatisch­en Appell gemeinsam mit dem baden-württember­gischen Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n (Grüne) demonstrie­rte. Ansonsten wartet er ab. Auch seine streng dosierten Widerworte gegen Laschet beschränke­n sich auf die Meinungsve­rschiedenh­eiten in der Pandemie-Bekämpfung. Mehr, als sich selbst im Spiel und die CSU halbwegs auf Augenhöhe mit der Schwesterp­artei zu halten, ist für Söder im Moment nicht drin. Eine offene Konfrontat­ion mit Laschet, das scheint er zu wissen, würde nicht nur der Union, sondern auch dem Land schaden und ihm auch alle Chancen aufs Kanzleramt in einer ferneren Zukunft verbauen.

Laschet präsentier­t schon die ersten Wahlplakat­e

Söder konzentrie­rt sich auf die Corona‰Politik

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Fotos: Michael Kappeler, Kay Nietfeld, Peter Kneffel/dpa; Montage: ws

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