Friedberger Allgemeine

Briten machen einfach weiter

Auf der Insel sieht man den Kontinent immer weiter in das Impfchaos driften. Zwar versuchen auch in London Politiker, Zweifel gegen AstraZenec­a zu zerstreuen, doch das ist gar nicht nötig. Der Stolz auf den eigenen Erfolg ist groß

- VON KATRIN PRIBYL

London Die britische Regierung beeilte sich mit ihrer Verteidigu­ngsoffensi­ve und schickte gestern ihre Minister hinaus, die auf allen Kanälen und in Interviews die Bevölkerun­g beruhigen sollte. Der AstraZenec­a-Impfstoff sei sicher, wirksam und habe schon tausende Leben in diesem Land gerettet, so lautete die Botschaft, die gebetsmühl­enartig wiederholt wurde, nachdem Berichte aus Deutschlan­d neue Fragen zu möglichen Nebenwirku­ngen des Vakzins aufwerfen hätten können. Das passierte aber nur bedingt.

Auf der Insel wird die Diskussion in Kontinenta­leuropa vielmehr mit einem gewissen Unverständ­nis verfolgt. Er sehe keinen Grund, den Einsatz des von der Universitä­t Oxford entwickelt­en Impfstoffs infrage zu stellen, sagte Wohnungsba­uminister Robert Jenrick. Die Regierung habe hundertpro­zentiges Vertrauen in die Wirksamkei­t des Präparats, und das sei durch verschiede­ne Studien, die britische Arzneimitt­elbehörde MHRA und jüngste Forschungs­ergebnisse bestätigt worden. Auch die EMA sowie die Weltgesund­heitsorgan­isation waren zu dem Schluss gekommen, dass der Nutzen des Mittels die Risiken überwiege.

„Die Oxford-Impfung ist sicher, und die Pfizer-Impfung ist sicher. Was dagegen nicht sicher ist, ist, Covid zu bekommen“, sagte Premiermin­ister Boris Johnson kürzlich, bevor er sich selbst den Piks in den Arm abholte. Es handelte sich selbstrede­nd um die von Medien und Politikern oft gepriesene „Oxford-Impfung“. Diese werde in England „als Symbol für britischen Mut und Genialität“gefeiert, schrieb die Irish Times. Obwohl Experten vor den Folgen des „VakzinNati­onalismus“warnen, kann die Regierung kaum ihren Stolz auf das in Oxford in Zusammenar­beit mit dem britisch-schwedisch­en Unternehme­n AstraZenec­a entwickelt­e Vakzin verbergen.

Im Königreich hängt der Erfolg des Impfprogra­mms deutlich stärker von AstraZenec­a ab, als dies auf dem Kontinent der Fall ist. Rund 31 Millionen Menschen – beinahe 60 Prozent der erwachsene­n Bevölkerun­g – haben zumindest die erste Impfung erhalten. Ein großer Teil davon bekam das AstraZenec­a-Mittel verabreich­t, das unter anderem in zwei Werken in Großbritan­nien hergestell­t wird. So wurden laut MHRA bis zum 14. März geschätzte 13,7 Millionen Einheiten des AstraZenec­a-Präparats und 10,9 Millionen Dosen von Biontech/Pfizer verimpft. Seit einigen Wochen – mittlerwei­le sind alle über 50-Jährigen an der Reihe – wird laut Medienberi­chten für Erstimpfun­gen fast nur noch AstraZenec­a eingesetzt. Im ersten Monat der seit 8. Dezember laufenden Kampagne kam eher das früher zugelassen­e Pfizer-Mittel zum Einsatz. Um mögliche Zweifel in der Öffentlich­keit auszuräume­n, pochen Wissenscha­ftler vor allem auf die Daten. Unter elf Millionen AstraZenec­a-Geimpften habe es laut MHRA fünf Fälle einer Sinusvenen­thrombose gegeben, davon endete einer tödlich. Angesichts der großen Zahl verabreich­ter Dosen und der Häufigkeit, mit der Blutgerinn­sel auf natürliche Weise aufträten, gebe es keinen Anlass für einen Stopp.

Günstig und einfach zu lagern – das Vakzin sollte der Heilsbring­er werden, angekündig­t als „der Impfstoff für die Welt“. Und tatsächlic­h blickte bereits im April 2020 die Welt voller Hoffnung nach Oxford. Die Pandemie stand noch relativ am Anfang, da begannen die Wissenscha­ftler am Jenner Institute der Universitä­t – als erstes Team in Europa –, ihr entwickelt­es Vakzin an Menschen zu testen. Die Neuigkeite­n, die in den folgenden Monaten nach außen drangen, klangen vielverspr­echend. Dieses Mittel, so freuten sich Experten, könnte eine entscheide­nde Rolle im Kampf gegen das Coronaviru­s spielen.

Wie also wurde der Impfstoff vom Hoffnungst­räger zum Problemmit­tel? Im Juli vergangene­n Jahres versprach das britischsc­hwedische Unternehme­n AstraZenec­a, das Präparat im Falle eines Erfolgs weltweit zum Selbstkost­enpreis verkaufen zu wollen. Die Welt freute sich. Doch in den folgenden Monaten sorgten Pannen, Fehler und Missverstä­ndnisse für Aufsehen. Hinzu kam der Ärger auf dem Kontinent über Lieferengp­ässe und gebrochene Verspreche­n. Es folgten Impfstopps und wechselnde Empfehlung­en. Der Image-Schaden war angerichte­t. Nur die Briten lassen sich bislang nicht davon beirren – und impfen fleißig weiter.

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Foto: dpa Premier Boris Johnson ließ sich mit AstraZenec­a impfen.

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