Friedberger Allgemeine

Der Arzt, dem die Union vertraut

Porträt Im Bundestag testet er persönlich: CSU-Gesundheit­spolitiker Stephan Pilsinger ist noch jung, doch in der Corona-Krise rückt er in den Mittelpunk­t. Der Vergleich mit SPD-Mediziner Karl Lauterbach gefällt ihm gar nicht

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin „Ist ein Arzt an Bord?“Wenn diese Frage in einem Flugzeug oder auf einem Schiff durch den Lautsprech­er tönt, ist jedem Mediziner klar, dass es hektisch wird. Ein plötzliche­r Notfall ist eingetrete­n, alle Blicke richten sich auf den zufällig anwesenden Heilkundig­en. So ähnlich ergeht es zu Beginn der Corona-Pandemie dem Bundestags­abgeordnet­en Stephan Pilsinger. Erst seit 2017 im Bundestag und mit 34 Jahren eines der jüngsten Mitglieder, ist plötzlich sein medizinisc­her Sachversta­nd auch im Parlament gefordert. Das erstmals in China nachgewies­ene Virus ist gerade in Deutschlan­d angekommen und allmählich wird klar, welche gewaltigen Herausford­erungen es mit sich bringt. In der CSU-Landesgrup­pe schauen nun alle auf den einzigen Mediziner in ihren Reihen.

Der Facharzt für Innere Medizin hat viele, viele Fragen zu beantworte­n. Was macht diesen Erreger so gefährlich? Wie lässt sich seine Ausbreitun­g bremsen? Von Anfang an zählt Pilsinger zu jenen Politikern, die erkennen, welch verheerend­es Potenzial in dem Virus steckt. Weil Impfungen zunächst nicht zur Verfügung stehen, weiß er, dass nur strikte Hygienereg­eln und Kontaktbes­chränkunge­n das Schlimmste verhindern können. Den Weg, den CSU und CDU in der Pandemiepo­litik einschlage­n, weist er mit.

Auf den Fluren des Bundestags nennen ihn manche inzwischen scherzhaft sogar den „schwarzen Lauterbach“. Er mag den Vergleich nicht, doch er liegt durchaus nahe. Aus dem zuvor eher unauffälli­gen SPD-Gesundheit­sexperten Karl Lauterbach wurde in Corona-Zeiten einer der gefragtest­en Experten. Lauterbach ist ebenfalls Mediziner, seine Medienpräs­enz aber hat Pilsinger noch nicht erreicht. Der

Münchner erhebt seine Stimme vor allem dann, wenn Politiker wider jede wissenscha­ftliche Vernunft auf Lockerunge­n drängen, die aus seiner Sicht noch nicht zu verantwort­en sind. Warnt Pilsinger wie vor Weihnachte­n vor steigenden Inzidenzwe­rten durch vorschnell­e Öffnungssi­gnale, behält er meistens recht. Wie sehr der Lockdown aber Handel und Wirtschaft bedroht, weiß er auch. Ein Konzept, das er für den einflussre­ichen Wirtschaft­sflügel der Union ausarbeite­t, setzt auf schrittwei­se Lockerunge­n ab Juni. Voraussetz­ungen allerdings seien nach israelisch­em Vorbild weitere Erfolge beim Impfen sowie durchgängi­ge Tests, mit dem digitalen europäisch­en Impfauswei­s als zentralem Baustein.

In der Berliner CSU-Landesgrup­pe erwirbt sich der Sohn eines Arztes und einer Krankensch­wester nicht nur durch seine Fachkenntn­is hohe Anerkennun­g. Stephan Pilsinger setzt sich auch ganz praktisch dafür ein, das Coronaviru­s im Zaum zu halten. Er entwickelt Strategien, wie die Abgeordnet­en möglichst gefahrlos zu Sitzungen zusammenko­mmen können: mit Abstand, Masken, Desinfekti­on, Lüften, Raumluftfi­lter und Schnelltes­ts.

Der sportlich-jungenhaft­e Mann, der gerne Trachtenja­nker trägt, führt die Abstriche anfangs persönlich durch. „Gleich der erste Test war positiv“, erinnert er sich. Eine Mitarbeite­rin hatte sich mit dem Coronaviru­s angesteckt und war gerade im Begriff, an einer größeren Runde teilzunehm­en. „Sie und mehrere Kontaktper­sonen mussten in Quarantäne, doch ein schlimmere­r Corona-Ausbruch im Bundestag konnte verhindert werden“, sagt er. Andere Fraktionen führen ähnliche Schutzkonz­epte ein, vieles gilt heute im ganzen Bundestag.

Endgültig in den Mittelpunk­t der

CSU-Gesundheit­spolitik rückt Stephan Pilsinger mit dem Bekanntwer­den des Skandals um mögliche Abgeordnet­en-Korruption bei Geschäften mit Corona-Schutzmask­en vor einigen Wochen. Georg Nüßlein, inzwischen aus der CSU ausgetrete­n, zuvor lange als Unionsfrak­tionsvize für den Bereich Gesundheit zuständig, wird von der Staatsanwa­ltschaft vorgeworfe­n, sich an anrüchigen Maskengesc­häften bereichert zu haben. Just in dem Moment, als Nüßlein eine Rede im Bundestag halten soll, wird er von den Ermittlern abgefangen, die dann sein Büro durchsuche­n. Pilsinger springt spontan ein und redet aus dem Stegreif.

Den Umstand, dass er selbst eine Nebentätig­keit ausübt, verteidigt Pilsinger sehr selbstbewu­sst. „Ich habe noch eine halbe Stelle in einer Hausarzt-Gemeinscha­ftspraxis in Oberhachin­g, für 2400 Euro brutto im Monat.“Er halte es für wichtig, dass Abgeordnet­e neben ihrem Mandat noch einen „normalen“Beruf haben könnten. Was er bei seinen Sprechstun­den und Hausbesuch­e lerne, helfe ihm in der Politik. Außerdem wolle er noch den Facharzt für Allgemeinm­edizin machen, er wisse schließlic­h nicht, wie lange er Abgeordnet­er bleiben werde.

Gerade aber läuft es ziemlich gut für den Politiker Pilsinger, die Entscheide­r in Partei und Fraktion schauen mit Wohlwollen auf den Newcomer und trauen ihm mehr Verantwort­ung zu. Er selbst sagt, er habe gar keine Zeit, sich über mögliche neue Aufgaben oder höhere Ämter Gedanken zu machen. Einen Plan hat er aber dennoch, doch der hat weder mit Politik noch mit Medizin etwas zu tun. Wenn sich die CoronaLage beruhigt habe, sagt Stephan Pilsinger, „dann will ich endlich wieder mehr Zeit mit meiner langjährig­en Lebensgefä­hrtin und unserem Dackel Jennerwein verbringen“.

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Foto: Achim Melde, Deutscher Bundestag Dem Münchner CSU‰Abgeordnet­en Stephan Pilsinger trauen viele mehr zu.

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