„Das ist permanenter Steuerbetrug“
Interview Thomas Eigenthaler, der Chef der Steuergewerkschaft, erklärt, warum trotz der Umstellung auf manipulationssichere Kassen weiterhin viele Schlupflöcher für Steuersünder bleiben
Herr Eigenthaler, zum 1. April soll eines der größten Steuerschlupflöcher Deutschlands gestopft sein. Betriebe wie Bäcker, Friseure oder Restaurants müssen ihre elektronischen Kassen manipulationssicher machen. Wie groß ist das Problem Schwarzer Kassen? Thomas Eigenthaler: Das ist gewaltig. Immer wenn Bargeld im Spiel ist, ist die Gefahr groß, dass nicht alle Umsätze steuerlich verbucht werden. Das gilt für die Pizzeria ums Eck genauso wie für den Landgasthof, die Tankstelle oder den Gemüseladen. Da geht es in erster Linie um die Umsatzsteuer, aber auch um die Einkommenssteuer und die Gewerbesteuer. Wenn dann oft noch das Personal schwarz bezahlt wird, reden wir auch über Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge. Allein mit Blick auf die Umsatzsteuer gehen Schätzungen von mindestens zehn Milliarden Euro aus, die dem Staat jährlich durch Tricksereien mit Registrierkassen verloren gehen. Das ist ein permanenter Steuerbetrug, der die finanziellen Ausmaße beispielsweise des Cum-Ex-Skandals bei weitem sprengt.
Wie ist so etwas heute noch möglich? Thomas Eigenthaler: Zwar redet alle Welt von Digitalisierung, aber in Deutschland gibt es bis heute keine Pflicht zum Vorhalten einer elektronischen Registrierkasse. Eine Registrierkassenpflicht wird es übrigens auch ab April nicht geben. Läden und Restaurants, die bisher noch kein elektronisches Kassensystem haben, können mit ihrer steinzeitlichen Zettelwirtschaft einfach weitermachen. Nur diejenigen, die bereits elektronische Kassensysteme haben, müssen sie mit fälschungssicherer Software aufrüsten.
Eine Rechnung auf dem Zettelblöckchen ausstellen geht also weiterhin? Thomas Eigenthaler: Ja, genau. Sie können als Wirt ihre Rechnungen mit Bleistift auf einen Zettelblock kritzeln, alles in einer Stahlkassette unter dem Tresen verschwinden lassen und am Abend gesammelt abrechnen. Falls dabei zufälligerweise einige Tickets unter den Tisch fallen sollten, kann das fast niemand mehr kontrollieren. Kleine Beträge summieren sich so übers Jahr zu Milliardenbeträgen deutschlandweit. Fachleute sprechen da bildhaft von einer „offenen Ladenkasse“.
Kontrolliert das Finanzamt nicht? Thomas Eigenthaler: Natürlich werden Betriebe, die solche offenen Steinzeit-Kassen verwenden, sehr genau angeschaut. Die Frage ist nur, in welchem Rhythmus. Statistisch gesehen bekommen mittelgroße Betriebe alle 15 Jahre Besuch vom Steuerprüfer. Bei Kleinfirmen wie Restaurants oder Friseuren lässt sich der Staat oft jahrzehntelang Zeit, bis er zur Betriebsprüfung erscheint.
Das könnte man fast schon als Einladung zum Steuerbetrug werten … Thomas Eigenthaler: Wir haben einen sonderbaren Dualismus in Deutschland. Wenn jemand erwischt wird, wird er sehr hart an die Kandare genommen und zahlt den hinterzogenen Betrag plus Zinsen sowie einen satten Aufschlag. Zudem wird er gegebenenfalls straf
Thomas Eigenthaler, 62, ist Chef der Deutschen Steuergewerkschaft und Vize des Deutschen Be amtenbunds. belangt. Viele andere Schwarze Schafe gehen aber durch die Netze, weil Kontrollen viel zu selten sind. Das führt dazu, dass in manchen Wirtschaftsbereichen keine richtige Besteuerungsdisziplin aufkommt. Im Moment beschäftigen sich übrigens Gerichte mit der Frage, ob es in Deutschland ein strukturelles Vollzugsdefizit beim Eintreiben von Steuern gibt. Das ist meiner Meinung nach überfällig.
Was passiert, wenn der eine betrügt und der andere ehrlich ist?
Thomas Eigenthaler: Strukturelle Besteuerungsdefizite behindern als Fernwirkung den fairen unternehmerischen Wettbewerb. Der Steuerbetrüger kann sein Bier oder sein Schnitzel günstiger anbieten als der ehrliche Gastronom und so mehr Gäste gewinnen. Wenn der Staat hier zu wenig prüft und das Treiben nicht beendet, dann segnet er diese Steuerungerechtigkeit indirekt ab. Der Ehrliche ist dann der Dumme.
Die Mehrwertsteuer für im Restaurant verzehrte Speisen wurde 2020 auf sieben Prozent gesenkt. Dieses SteuerPrivileg soll bis Ende 2022 gelten. Glauben Sie, dass das so kommt? Thomas Eigenthaler: Ich habe die Sorge, dass diese Umsatzsteuersenkung, die zum Großteil übrigens nicht in Form von günstigeren Speisen an die Kunden weitergegeben, sondern von den Inhabern selbst einbehalten wird, über Ende 2022 hinaus verlängert wird und dauerhaft bestehen bleibt. Sollte das geschehen, hielte ich es für zwingend, nur solche Betriebe von den niedrirechtlich gen Steuersätzen profitieren zu lassen, die sich im Gegenzug verpflichten, fälschungssichere Kassensysteme zu installieren. Dann würde dem ehrlichen Steuerzahler und Ladenbesitzer wenigstens ein Stück weit Gerechtigkeit zukommen.
Mitten in der Pandemie schießen Sie gegen die Unternehmen. Ist Ihr Anliegen richtig, der Zeitpunkt aber falsch? Thomas Eigenthaler: Es ist richtig, dass die Gastronomie sehr stark unter der Pandemie leidet. Ich habe da großes Verständnis für die Betroffenen. Allerdings sind die Hilfen häufig auch hoch. Die November- und Dezemberhilfen fielen schon recht üppig aus. Ich gehe davon aus, dass einige Betriebe in diesen Monaten mehr an staatlichen Hilfen bekommen haben, als sie in einem normalen Vergleichsmonat verdient hätten. Insofern plädiere ich dafür, Steuergerechtigkeit und Pandemie nicht zu vermischen. Ich kann Pandemiefolgen nicht über Nachlässigkeiten im Steuerrecht bekämpfen. Es muss gerecht zugehen, sonst sinkt das Vertrauen in den Steuerstaat. Fragen: Walther Rosenberger