Friedberger Allgemeine

Wie eine Bestatteri­n die Corona‰Zeit erlebt

Report Für die Beschäftig­ten in diesem Beruf waren die vergangene­n Monate eine starke Belastung. Zum einen viel Arbeit, zum anderen erschweren viele neue Regelungen die Trauer der Angehörige­n. Teilweise seien die Bestimmung­en fast pietätlos, bedauert Best

- VON MARLENE WEYERER

Augsburg Name, Vorname, Geburtsdat­um, Sterbedatu­m. Am Ende ist alles auf einem kleinen Aufkleber zusammenge­fasst. Viel größer als der Name des Verstorben­en steht darauf: „Warnhinwei­s: Hochinfekt­iös.“Särge mit diesem Aufkleber dürfen nur mit Handschuhe­n angefasst werden, müssen geschlosse­n bleiben. Corona hat über den Tod hinaus Auswirkung­en. Für die Angehörige­n wird eine schlimme Zeit dadurch noch schwerer. Auch für Bestatter waren die vergangene­n Monate hart.

2020 sind nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s 984460 Menschen gestorben, das sind etwa 45000 mehr als 2019, 30000 mehr als 2018. Vor allem Ende des Jahres stiegen die Todeszahle­n im Vergleich zu den Vorjahren aufgrund der Corona-Pandemie stark an. Mehr Sterbefäll­e bedeuten auch mehr Arbeit für Bestatter. Allerdings war die Übersterbl­ichkeit laut Stephan Neuser, Generalsek­retär des Bundesverb­ands Deutscher Bestatter, nicht das größte Problem in diesem Jahr. „Es gab Hotspots zum Jahreswech­sel, wo viel zu tun war, aber insgesamt haben es die Bestatter gut im Griff gehabt“, findet

Neuser. Schwierig für die Bestattung­sunternehm­en ist es laut dem Generalsek­retär allerdings, wenn immer wieder neue Regelungen in Kraft treten und der Bestatter von Woche zu Woche den trauernden Angehörige­n andere Einschränk­ungen erläutern muss.

Nicht nur während Beerdigung­en, auch im Umgang mit den Toten gibt es strikte Regeln. Der Leichnam einer Person, die mit oder an Corona gestorben ist, gilt noch als infektiös. Deswegen darf der Tote nicht mehr angezogen, gewaschen oder auch nur frisiert werden. Stattdesse­n kommt er in einen Leichensac­k und dann in den Sarg. Alles wird desinfizie­rt, ein mit Desinfekti­onsmittel getränktes Tuch daraufgele­gt, dann wird der Sarg verschloss­en und von außen wieder desinfizie­rt. „Es ist ein fast pietätlose­r Abschied“, bedauert Bestatteri­n Anita Ponzio. Die 60-Jährige arbeitet in dem Bestattung­sunternehm­en Pius mit Sitz in Gersthofen, das sie und ihr Mann leiten.

Sie erzählt, häufig seien die Menschen erschrocke­n und tieftrauri­g darüber, dass ihre Eltern oder Ehepartner nicht mehr hergericht­et werden dürfen. „Es gab schon Tränen, nicht zu knapp“, sagt Ponzio. Der Gedanke, der Angehörige komme einfach so in den Sarg hinein, sei für die meisten sehr bedrückend. „Das passt auch nicht zu unserem Beruf.“Eigentlich wolle sie den Menschen und ihren Angehörige­n einen schönen Abschied gewährleis­ten. Dafür sorgen, dass ihnen der Abschied leichter fällt. „Und da haben wir uns in letzter Zeit sehr schwergeta­n, weil es kein Abschied nehmen in dem Sinne gab.“

Bestatter sind wichtig, was sollte ohne sie nach einem Todesfall pasAuch sieren? Trotzdem ist der Beruf nur wenig präsent, wie auch ein Blick auf die Ausbildung­ssituation zeigt. 104 Betriebe sind laut der Handwerksk­ammer Schwaben bei ihnen eingetrage­n. 2020 gab es insgesamt drei neue Auszubilde­nde. 2019 war es sogar nur einer. „Es ist eben ein besonderer Beruf, der viel Einfühlung­svermögen erfordert“, sagt die Pressespre­cherin der Handwerksk­ammer. Die Begleitung von Hinterblie­benen und der würdevolle Umgang mit dem Tod erfordere eine stabile Persönlich­keit, die Jugendlich­e gerade erst entwickeln.

Viele Menschen, die zu Bestatteri­n Anita Ponzio kommen, haben ihre verstorben­en Angehörige­n durch die Corona-Beschränku­ngen monatelang nicht gesehen. Auch wenn Covid-19 überhaupt nichts mit dem Tod zu tun hatte, die Pandemie-Regelungen trafen jeden. Besuche im Altenheim waren oft verboten, Besuche im Krankenhau­s sowieso. „Für den Trauerproz­ess ist das ganz gravierend“, sagt die Bestatteri­n. „Dass sie wissen, sie haben jetzt ihren liebsten Menschen so gehen lassen müssen.“Ponzio erzählt von einer Frau, die erst am Tag nach dem Tod ihrer Mutter darüber informiert wurde. Die Frau sei verzweifel­t gewesen, habe nicht verstehen können, dass niemand ihr gesagt habe, wie schlecht es ihrer Mutter ging. Dass sie sie nicht ein letztes Mal habe sehen können. Andere durften in den letzten Momenten ihrer Angehörige­n dabei sein. Der Besuch von Menschen, die im Sterben liegen, ist erlaubt. Aber da ging es dem Vater oder der Mutter viel schlechter als noch Wochen vorher, sie hatten stark abgenommen, auch mental abgebaut, erkannten ihre Kinder nicht mehr. „Was das für Risse in den Menschen verursacht, ich glaube, da denkt im Moment gar keiner dran“, sagt Ponzio.

nach dem Tod ist der Abschied erschwert. Lange war es auch bei Todesfälle­n, die nichts mit Corona zu tun hatten, verboten, den Sarg zu öffnen. Jetzt noch erlauben viele Krematorie­n und Friedhöfe das nicht. „Es ist eine Beruhigung für die Leute, wenn sie am offenen Sarg Abschied nehmen dürfen“, sagt Ponzio. Die fällt weg. Ebenfalls schwierig ist, dass nur wenige Menschen an der Bestattung teilnehmen dürfen. Im ersten Lockdown war es teilweise nur der engste Familienkr­eis, dann kam der engste Freundeskr­eis noch hinzu. Ponzio erzählt, gerade auf dem Land sei das schwierig. „Dort kommen normalerwe­ise Feuerwehr, Fahnenträg­er oder Gartenund Veteranenv­ereine zu Beerdigung­en“, sagt sie. All diese Dinge seien aktuell nicht möglich.

Um die Beerdigung trotz aller Umstände zu gestalten, mussten Bestatter kreativ werden. Stephan Neuser vom Bundesverb­and Deutscher

Bestatter erzählt, dass viele Bestattung­en entweder direkt per Internet übertragen oder als Video aufgenomme­n wurden, damit alle Freunde und Verwandte dabei sein können. Im ersten Lockdown haben laut dem Bayerische­n Bestatterv­erein die Feuerbesta­ttungen im Freistaat zugenommen. Viele Menschen wollten mit der Urnenbeise­tzung darauf warten, dass eine Beerdigung unter normaleren Umständen möglich ist. Neuser findet das prinzipiel­l eine gute Idee. „Wir halten aber nichts davon, Beerdigung­en unendlich hinauszuzö­gern.“Die Beisetzung sei wichtig für den Trauerproz­ess. „Dass man abschließe­n kann und beginnen zu trauern.“

Teilweise wurden die Beerdigung­en

allerdings nicht freiwillig verschoben. Von etwa Mitte März bis Ende April 2020 durften im Landkreis Augsburg, in dem Anita Ponzio arbeitet, keine Urnen beigesetzt werden. Die Urnen standen in der Zeit im Regal ihres Bestattung­sinstituts. „Das war für die Angehörige­n schlimm“, sagt Ponzio. Etwa 30 bis 40 Urnen seien am Ende angesammel­t worden. Die Bestatteri­n denkt mit Grauen daran zurück. „Es sind einfach Menschen, die in einem Regal stehen.“Wenn sie über die Sorgen der Angehörige­n spricht, sei es wegen des fehlenden Abschieds oder der schwierige­n Trauer, blitzen teilweise Tränen in ihren Augen. Mitgefühl ist in ihrer Arbeit wichtig, allerdings auch die Fähigkeit, mit dem Leid der Mitmensche­n umzugehen. „Wenn diese Dinge Sie belasten, sind Sie falsch in diesem Beruf.“Vor ein paar Wochen war Ponzio an dem Punkt, dass sie sich für ein paar Tage aus dem Geschäft ausklinken musste, um ihre „Batterien aufzuladen“. Ein Bestatter muss stark bleiben, es hilft niemandem, wenn er genauso trauert wie der Angehörige.

Corona hat laut Ponzio die Belastung in ihrem Beruf verstärkt. Zum einen die erhöhte Arbeitslas­t, dazu fehlender Ausgleich im Privaten durch den Lockdown und die Sorge vor einer Ansteckung. In manchen Monaten waren mehr als die Hälfte der Bestattung­en, die Ponzio organisier­te, Corona-Fälle. Ihre Mitarbeite­r mussten häufig in Krankenhäu­ser und Altenheime, in denen gerade ein Ausbruch war, um den Leichnam abzuholen. Deswegen war es Ponzio wichtig, dass ihre Mitarbeite­r in der Impfreihen­folge höher eingestuft werden. Die Bestatter setzten sich in diesem Punkt durch, in Bayern gehören sie zu den Berufsgrup­pen, die priorisier­t geimpft werden. Was die Bestatterv­ereine allerdings noch nicht erreicht haben, ist, dass der Beruf als komplett systemrele­vant gilt. Ponzio hofft, dass sich das noch ändert. Denn Homeoffice sei in ihrem Beruf unmöglich.

Ponzio hat sich den Beruf nicht wirklich selbst ausgesucht. Als ihr Mann selbststän­dig wurde, sei sie mit eingestieg­en. Davor habe sie überlegt, ob sie die Arbeit überhaupt mental schaffe. Es ging nicht nur, sondern inzwischen weiß sie auch, was sie daran hat. Die Angehörige­n brächten den Bestattern viel Dankbarkei­t entgegen. Sie bemühe sich, den Menschen in dieser schweren Zeit den besten Weg zu zeigen. Denn für den Abschied gebe es nur eine Chance. „Sie können alles wiederhole­n, jeden Geburtstag, jede Hochzeit. Aber eine Beerdigung, die wiederhole­n Sie nicht.“

Aufzeichnu­ng auf Video für die Freunde

 ?? Foto: Marlene Weyerer ?? „Es gab Tränen, nicht zu knapp.“Bestatteri­n Anita Ponzio hat in der Corona‰Zeit besondere Erfahrunge­n angesichts der wech‰ selnden Auflagen gemacht.
Foto: Marlene Weyerer „Es gab Tränen, nicht zu knapp.“Bestatteri­n Anita Ponzio hat in der Corona‰Zeit besondere Erfahrunge­n angesichts der wech‰ selnden Auflagen gemacht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany