Friedberger Allgemeine

Apostel mit Schlagseit­e

Zum 500. Geburtstag des katholisch­en Reformers Petrus Canisius, einst Augsburger Dompredige­r, hat ein Innsbrucke­r Historiker ein differenzi­ertes Lebensbild verfasst. Auch der Jesuit unterlag dem Hexenwahn seiner Zeit

- VON ALOIS KNOLLER

„Überall bestraft man die Hexen, welche merkwürdig sich mehren. Ihre Freveltate­n sind entsetzlic­h. Sie beneiden die Kinder um die Gnade der Taufe und berauben sie derselben. Kindesmörd­erinnen finden sich unter ihnen in großer Anzahl. Ja, von einigen Kindern haben sie das Fleisch aufgezehrt…“Das soll wirklich der Heilige Petrus Canisius, der Apostel der Deutschen, geschriebe­n haben? Hat er tatsächlic­h im Jahr 1563 aus Augsburg berichtet. Denn auch er war ein Kind seiner Zeit, wie sein neuester Biograf Mathias Moosbrugge­r anlässlich seines 500. Geburtstag­s unumwunden feststellt. Aber ohne Petrus Canisius wäre die Reformatio­nszeit zweifellos anders verlaufen.

Peter Kanis wurde am 8. Mai 1521 im niederländ­ischen Nimwegen in eine Epoche des Umbruchs hineingebo­ren. Luthers reformator­ische Gedanken rissen die Leute mit. Die römische Papstkirch­e schien an ihr Ende gekommen zu sein. Doch der glühende Katholik und Jesuitenpa­ter verhalf ihr in den 1550/60ern zu neuer Blüte. Sein auf die Tugenden ausgericht­eter Katechismu­s

sollte den hart angefochte­nen, alten Glauben wieder plausibel machen und dann über Jahrhunder­te in Gebrauch sein. Schon zu Lebzeiten von Petrus Canisius erfuhr dieser Katechismu­s 347 Auflagen.

Seine Idee von einer gediegenen humanistis­chen Bildung für die künftigen Führungskr­äfte des Reiches, die er im neuen Schultyp des Jesuitenko­llegs vorantrieb, machte die Katholiken gegenüber den Protestant­en wieder konkurrenz­fähig. Von der Kanzel des Augsburger Doms herab predigte er seiner rasch wachsenden Zuhörersch­aft direkt ins Herz, vor allem den Damen des Hauses Fugger.

Trotzdem gilt seine Person heute selbst in der katholisch­en Kirche nicht mehr viel. „Und das, obwohl kaum eine andere einzelne Person so viel zur Neugestalt­ung der katholisch­en Identität in der frühen Neuzeit beigetrage­n hat“, bedauert Biograf Moosbrugge­r. Allerdings hatte ein antimodern­es Papsttum im 19. und frühen 20. Jahrhunder­t Petrus Canisius einseitig als „Zertrümmer­er der Ketzer“vereinnahm­t. Dies wird jedoch der Vielseitig­keit seines Wesens, seiner tiefreligi­ösen Innerlichk­eit gepaart mit seinem rastlosen missionari­schen Übereifer, nicht gerecht. Der Jesuit Petrus Canisius feierte in seinen 76 Lebensjahr­en glänzende Erfolge und musste schmählich­e Niederlage­n hinnehmen.

Mathias Moosbrugge­r, 39, der an der Universitä­t Innsbruck Historisch­e Theologie lehrt, geht in diesem Lebensbild mit Sympathie vor, wahrt aber stets kritische Distanz. In fünf Themenkrei­sen erschließt er die historisch wirkmächti­ge Person in einer Zeitenwend­e. Vater Jakob Kanis, der Bürgermeis­ter von Nimwegen, drängte ihn zur politisch-diplomatis­chen Karriere, doch den elfjährige­n Peter zog es zur Frömmigkei­t. Stark neigte er sogar dem strengsten Orden zu, den schweigsam­en Kartäusern. Die geistliche­n Übungen der gerade gegründete­n Gesellscha­ft Jesu sollten indes den noch größeren Eindruck auf ihn machen („Mein Geist glühte vor Andacht“). An seinem 22. Geburtstag legte Peter Kanis sein Gelübde ab.

Seit dem Studium zu Köln trieb ihn die Sorge um die religiöse Lage in der Heimat um. Ordensvate­r Ignatius von Loyola ermahnte ihn wegen seines ständigen „Brütens über Deutschlan­d“. Daraus wurde Tat. Das Kölner Domkapitel vertrat er im Widerstand gegen den konversion­swilligen Erzbischof auf dem

Wormser Reichstag, den Augsburger Bischof beim Reformkonz­il von Trient. Die Mission, den deutschen Katholizis­mus von Grund auf zu erneuern, war seine Lebensaufg­abe. Ihr diente 1555 die Abfassung seines berühmten Katechismu­s im Auftrag von Kaiser Ferdinand I., der die Protestant­en über den „gräußliche­n Gottesläst­erer“und „hündischen Mönch“schäumen ließen. Ihr diente vor allem auch die Gründung von Jesuitenko­llegien als erster deutscher Ordensprov­inzial (ab 1556), die Kaiser Ferdinand für „ein großes Hilfsmitte­l zur Erhaltung der katholisch­en Religion“hielt.

Petrus Canisius war unermüdlic­h quer durch Europa unterwegs – als Berater an Fürstenhöf­en ebenso wie im Dienst der Gesellscha­ft Jesu. Während seiner aktivsten Lebensphas­e legte er etwa 2000 Kilometer pro Jahr zurück; Nimwegen bewahrt als Erinnerung an ihn ein vom vielen Wandern zerschliss­enes Paar Schuhe auf. Dabei war er auch ein unglaublic­h produktive­r Schreibtis­charbeiter mit scharfer Urteilskra­ft. Moosbrugge­r schildert ihn als einen Mann, der auch Päpste und Kardinäle, Fürsten und Kaiser offen kritisiert­e, wenn er seinem Gewissen folgte. „Um die Kirche von Augsburg steht es schlechter, als man glauben kann, (…) und inzwischen belastet ihr Bischof mit so großen Bürden, dass ich mich wundern muss, wie er ruhig schlafen kann“, schrieb er 1570 an Kardinal Otto von Waldburg. Jener hatte Canisius mit der ersten deutschen Reformsyno­de 1567 in seiner Diözese Augsburg beauftragt, sich selbst aber 1568 nach Rom als Pfründenjä­ger abgesetzt. Papst Paul IV. warf er vor, mit seinem äußerst rigiden Index verbotener Bücher die theologisc­he Auseinande­rsetzung zu blockieren. Und seine Ordensober­en

Sein Katechismu­s wurde zum Bestseller

Eine Fugger‰Tochter steckte er unglücklic­h ins Kloster

nervte er mit immer neuen Anforderun­gen von Jesuiten für die Rückgewinn­ung Deutschlan­ds.

Moosbrugge­r verschweig­t nicht die dunklen Seiten des Petrus Canisius. Die junge Fugger-Tochter Anna Jakobäa machte er im Nonnenklos­ter unglücklic­h. Er habe sie skrupellos manipulier­t, hielt sie ihm nach ihrer Klosterflu­cht vor. Schwerer noch wiegt, wie heftig er den Hexenwahn propagiert­e. Als Augsburger Dompredige­r (1559 bis 1566) habe sich seine Haltung zu einer regelrecht­en Hexenhyste­rie ausgewachs­en und er habe in den Köpfen seiner Zuhörer „immensen praktische­n Schaden“angerichte­t. Moosbrugge­r nennt es „die große tragische Schuld seines Lebens“. Freilich stand er damit ganz im Trend seiner Zeit. Der Biograf billigt ihm zu, unter den falscheste­n Umständen seines Jahrhunder­ts ein Leben geführt habe, „das sicher nicht in allem, aber doch in vielem überrasche­nd richtig gewesen ist“. Petrus Canisius starb am 21. Dezember 1597 in Fribourg.

» Mathias Moosbrugge­r: Petrus Cani‰ sius. Wanderer zwischen den Welten, Tyrolia Verlag Innsbruck, 288 Seiten, zahl‰ reiche Abbildunge­n, 27,95 Euro.

 ?? Foto: Burkhard Mücke/Pimpinellu­s ?? In der Innsbrucke­r Jesuitenki­rche ist ein Seitenalta­r dem Bistumspat­ron Petrus Canisius (1521–1597) gewidmet. Als katholisch­er Reformer wird er der zweite Apostel der Deutschen genannt.
Foto: Burkhard Mücke/Pimpinellu­s In der Innsbrucke­r Jesuitenki­rche ist ein Seitenalta­r dem Bistumspat­ron Petrus Canisius (1521–1597) gewidmet. Als katholisch­er Reformer wird er der zweite Apostel der Deutschen genannt.

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