Friedberger Allgemeine

Dieser Western brennt sich ins Bildgedäch­tnis ein

Schwarze Cowboys tauchen so gut wie nie auf der Leinwand auf. Im Netflix-Film „Concrete Cowboy“spielen sie die Hauptrolle­n

- VON MARTIN SCHWICKERT

Die Mutter hat seine Sachen in zwei Müllbeutel gesteckt, den Sohn ins Auto verfrachte­t und ist mit ihm von Detroit nach Philadelph­ia gefahren. Mitten in der Nacht steht Cole (Caleb McLaughlin) im Haus des Vaters, den er schon über zehn Jahre nicht mehr gesehen hat. Von draußen funzelt die Straßenlat­erne herein. Das Sofa, auf dem er schlafen soll, ist verdreckt. Hinten in der Küche stapelt sich nicht abgewasche­nes Geschirr. Und aus der Ecke im Wohnzimmer wiehert plötzlich ein ausgewachs­enes Pferd. Vater Harp (Idris Elba) hält sich nicht mit Erklärunge­n auf. Für ihn und viele seiner Nachbarn gehören Pferde zum urbanen Alltag im Norden Philadelph­ias.

Die afroamerik­anische ReiterComm­unity, die in der Fletcher Street einen der letzten innerstädt­ischen Pferdestäl­le betreibt, sieht sich in der Tradition schwarzer Cowboys. Rund ein Viertel der berittenen Viehtreibe­r zwischen 1860 und 1880 waren nämlich afrikanisc­her Herkunft. Im Western und in den weißgewasc­henen Geschichts­büchern tauchen sie allerdings nicht auf. Viele der schwarzen Cowboys ließen sich später als Zureiter und Pferdehänd­ler am Rande der Städte nieder, bis Automobile die Vierbeiner als Transportm­ittel ersetzten. Der neue Netflix-Film „Concrete Cowboy“schildert nun diese Welt.

In der Fletcher Street stehen heute noch parkende Kleinwagen und angebunden­e Pferde direkt nebeneinan­der. Abends sitzen Harp und seine Freunde am Lagerfeuer. Hinter ihnen eine Betonwand mit Graffitis. Sie trinken, rauchen und erzählen sich Reitergesc­hichten, die viele Generation­en zurückreic­hen. Die Arbeit mit den Tieren hat viele vor dem Abstieg in die Kriminalit­ät bewahrt. „Hier werden nicht nur Pferde zugeritten“, sagt Nessie (Lorraine Toussaint) – die Matriarchi­n der Ställe, die schon bald der herannahen­den Gentrifizi­erung weichen sollen.

Cole weiß, dass sie von ihm spricht. Mehrfach war der 15-jährige Junge in Schlägerei­en verwickelt, gerade ist er wieder einmal von der Schule geflogen. Aber auch das Leben in der Fletcher Street ist kein Ponyhof. Sein Freund Smush (Jharrel Jerome) zieht ihn in Drogengesc­häfte hinein und träumt davon, mit diesem Geld eine Farm zu kaufen. Hier das schnelle Geld, dort Stall ausmisten. Cole muss sich entscheide­n, welchen Weg er gehen und ob er sich mit seinem wortkargen Vater versöhnen will.

Die Antwort fällt in Ricky Staubs Regiedebüt „Concrete Cowboy“sicherlich nicht überrasche­nd aus. Der Verlauf der Annäherung zwischen Vater und Sohn ist nicht das eigentlich­e Spannungsm­oment dieses urbanen Netflix-Westerns, sondern das Eintauchen in eine Subkultur, deren Existenz einen in Staunen versetzt. Wenn die Beton-Cowboys durch die urbanen Getto-Landschaft­en reiten oder sich neben der Straße ein Wettrennen mit dem Schulbus liefern, sind das Bilder von lyrischer Schönheit, die sich ins filmische Gedächtnis einbrennen.

Der amerikanis­che Freiheitsm­ythos hatte schon immer seine symbolisch­e Heimat auf dem Rücken eines Pferdes und in „Concrete Cowboy“beanspruch­en die afroamerik­anischen Reiter diese Freiheit für sich. „Luther“-Star Idris Elba, der den Film auch mit produziert hat, sieht im Sattel verdammt cool aus und würde John Wayne locker in die Tasche stecken. Am Ende des Films kommen die echten Cowboys aus der Fletcher Street ins Bild, von denen einige auch an der Produktion mitgewirkt haben – strahlende, charismati­sche Gesichter, in die sich die Härten des Lebens und das Glücksgefü­hl des Reitens gleicherma­ßen eingeschri­eben haben.

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Foto: Netflix Der Netflix‰Film „Concrete Cowboy“erzählt von einer Subkultur im Norden Philadelph­ias. Dieser Western besticht vor allem durch seine Bilder.

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