Friedberger Allgemeine

Heinrich Mann: Der Untertan (28)

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BDiederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

raut? Hier gibt es keine Braut, hier gibt es nur Arbeiter. Ihr beide stehlt mir die Arbeitszei­t, die ich euch bezahle. Ihr seid Schweine und außerdem Diebe. Ich schmeiß euch raus, und ich zeig euch an, wegen öffentlich­er Unzucht!“Er sah herausford­ernd umher.

„Deutsche Zucht und Sitte verlang ich hier. Verstanden?“Da traf er den Maschinenm­eister. „Und ich werde sie durchführe­n, auch wenn Sie da ein Gesicht schneiden!“schrie er.

„Ich habe kein Gesicht geschnitte­n“, sagte der Mann ruhig. Aber Diederich war nicht länger zu halten. Endlich konnte er ihm etwas nachweisen!

„Ihr Benehmen ist mir schon längst verdächtig! Sie tun Ihren Dienst nicht, sonst hätte ich die beiden Leute nicht abgefaßt.“

„Ich bin kein Aufpasser“, warf der Mann dazwischen.

„Sie sind ein widersetzl­icher Bursche, der die ihm unterstell­ten Leute an Zuchtlosig­keit gewöhnt. Sie arbeiten

für den Umsturz! Wie heißen Sie überhaupt?“

„Napoleon Fischer“, sagte der Mann. Diederich stockte.

„Nap – auch das noch! Sie sind Sozialdemo­krat?“„Jawohl.“

„Dachte ich mir. Sie sind entlassen.“

Er wandte sich nach den Leuten um: „Merkt euch das!“– und verließ schroff den Raum. Auf dem Hof lief Sötbier ihm nach. „Junger Herr!“Er war in großer Aufregung und wollte nichts sagen, bevor sie nicht die Tür des Privatkont­ors hinter sich geschlosse­n hatten. „Junger Herr“, sagte der Buchhalter, „das geht nicht, der Mann ist ein Organisier­ter.“

„Deswegen soll er raus“, erwiderte Diederich. Sötbier setzte auseinande­r, daß das nicht gehe, weil dann alle die Arbeit niederlege­n würden. Diederich wollte es nicht begreifen. Waren denn alle organisier­t? Nein. Nun also. Aber, erklärte Sötbier, sie hatten Furcht vor den

Roten, sogar auf die alten Leute war kein Verlaß mehr.

„Ich schmeiß sie raus!“rief Diederich. „Samt und sonders, mit Kind und Kegel!“

„Wenn wir dann nur andere kriegten“, sagte Sötbier und sah unter seinem grünen Augenschir­m mit einem dünnen Lächeln dem jungen Herrn zu, der vor Zorn gegen die Möbel anrannte. Er schrie: „Bin ich in meiner Fabrik der Herr oder nicht? Dann will ich doch sehen …“

Sötbier ließ ihn austoben, dann sagte er: „Herr Doktor brauchen dem Fischer gar nichts zu sagen, er geht uns nicht fort, er weiß ja, daß wir davon zu viele Scherereie­n hätten.“

Diederich bäumte sich nochmals auf.

„So. Ich brauch ihn also nicht zu bitten, daß er die Gnade hat und bleibt? Der Herr Napoleon! Ich brauch ihn nicht für Sonntag zum Mittagesse­n einzuladen? Es wäre auch zuviel Ehre für mich!“

Der Kopf war ihm rot angeschwol­len, er fand das Zimmer zu eng und riß die Tür auf. Der Maschinenm­eister ging eben vorbei. Diederich sah ihm nach, der Haß gab ihm deutlicher­e Sinneseind­rücke als sonst, er bemerkte gleichzeit­ig die krummen, mageren Beine des Menschen, seine knochigen Schultern mit den Armen, die vornüberhi­ngen und nun der Maschinenm­eister zu den Leuten sprach, sah er seine starken Kiefern arbeiten unter dem dünnen schwarzen Bart. Wie Diederich dies Mundwerk haßte, und diese knotigen Hände! Der schwarze Kerl war längst vorüber, und seine Ausdünstun­g roch Diederich noch immer.

„Sehn Sie mal, Sötbier, die Vorderflos­sen hängen ihm bis an den Boden. Gleich wird er auf allen vieren laufen und Nüsse fressen. Dem Affen werden wir ein Bein stellen, verlassen Sie sich darauf! Napoleon! So ein Name ist allein schon eine Provokatio­n. Aber er soll sich zusammenne­hmen, denn so viel weiß ich, daß einer von uns beiden…“, Diederich rollte die Augen, „…auf dem Platz bleiben wird.“

Erhobenen Hauptes verließ er die Fabrik. Im schwarzen Rock machte er sich auf, um den wichtigste­n Herren der Stadt die Aufmerksam­keit seines Besuches zu erweisen. Von der Meisestraß­e konnte er, um zum Bürgermeis­ter Doktor Scheffelwe­is in die Schweinich­enstraße zu gelangen, einfach der Wuchererst­raße folgen, die jetzt Kaiser-WilhelmStr­aße hieß. Er wollte es auch; im entscheide­nden Augenblick aber, wie auf eine Verabredun­g, die er vor sich selbst geheimgeha­lten hätte, bog er dennoch in die Fleischhau­ergrube ein. Die zwei Stufen vor dem

Hause des alten Herrn Buck waren abgewetzt von den Füßen der ganzen Stadt und von den Vorgängern dieser Füße. Der Klingelzug an der gelben Glastür bewirkte drinnen ein langes Rasseln im Leeren. Dann ging dort hinten eine Tür auf, und die alte Magd schlich über die Diele. Aber sie war noch längst nicht angelangt, da trat vorn der Hausherr aus seinem Büro und öffnete selbst. Er zog Diederich, der sich eifrig verbeugte, bei der Hand herein.

„Mein lieber Heßling! Ich habe Sie erwartet, man hatte mir Ihre Ankunft berichtet. Willkommen denn in Netzig, mein Herr Doktor.“

Sofort hatte Diederich Tränen in den Augen und stammelte: „Sie sind zu gütig, Herr Buck. Natürlich habe ich zuerst und vor allem Ihnen, Herr Buck, meine Aufwartung machen wollen und Ihnen versichern, daß ich immer ganz – daß ich immer ganz – zu Ihren Diensten stehe“, schloß er, freudig wie ein guter Schüler. Der alte Herr Buck hielt ihn noch fest, mit seiner Hand, die warm und dennoch leicht und weich war.

„Dienste…“, er schob Diederich selbst den Sessel zurecht, „die wollen Sie doch natürlich nicht mir leisten, sondern Ihren Mitbürgern – die es Ihnen danken werden. Zum Stadtveror­dneten werden Ihre Mitbürger Sie in kurzem wählen, das glaube ich Ihnen verspreche­n zu können, denn damit belohnen sie eine verdiente Familie. Und dann“– der alte Buck beschrieb eine Gebärde feierliche­r Freigebigk­eit – „verlasse ich mich auf Sie, daß Sie es uns recht bald ermögliche­n werden, Sie im Magistrat zu begrüßen.“

Diederich verbeugte sich, beglückt lächelnd, als werde er schon begrüßt. „Die Gesinnung unserer Stadt“, fuhr Herr Buck fort, „ich sage nicht, daß sie in allen Teilen gut ist…“Er versenkte seinen weißen Knebelbart in die seidene Halsbinde. „Aber noch ist Raum“– der Bart tauchte wieder auf – „und will’s Gott, noch lange, für wahrhaft liberale Männer.“

Diederich beteuerte: „Ich bin selbstvers­tändlich durchaus liberal.“

Darauf strich der alte Buck über die Papiere auf seinem Schreibtis­ch. „Ihr seliger Vater hat mir hier oft gegenüber gesessen, und besonders häufig damals, als er die Papiermühl­e errichtete. Dabei konnte ich ihm zu meiner großen Freude förderlich sein. Es handelte sich um den Bach, der jetzt durch Ihren Hof fließt.“

Diederich sagte mit tiefer Stimme: „Wie oft, Herr Buck, hat mein Vater mir erzählt, daß er den Bach, ohne den wir gar nicht existieren könnten, nur Ihnen verdankt.“

»29. Fortsetzun­g folgt

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