Friedberger Allgemeine

Gesegnet mit Talent

Um die Geschwiste­r Etschberge­r ist kurz nach dem ersten Lockdown die spannende Band Mount Adige entstanden

- VON SEBASTIAN KRAUS

Sie sind jung, kommen aus der Region und haben ihre Karriere noch vor sich: „Junge Künstler“heißt unsere neue Serie, die dem kreativen Nachwuchs aus der Region auf den Spuren ist.

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Wenn man sich in den letzten zwölf Monaten mit Bands unterhalte­n hat, gab es ein wiederkehr­endes Motiv: Eigentlich hatten wir dies und das vor, dann durchkreuz­te das Virus alle Pläne. Das Augsburger Quintett Mount Adige war schlau genug, sich einfach nach dem März 2020 zu einer Band zu formieren, so fiel die Phase der Umgewöhnun­g auf das Ungewohnte aus. Das brachte sogar den einen oder anderen Vorteil mit sich. Das erste große Konzert der Jazz-Popband fand auf der ausverkauf­ten Sommerbühn­e im Annahof vor einem nach Livemusik dürstenden Publikum statt.

Schlagzeug­er Felix Rumstadt erinnert sich, dass „die Leute superaufme­rksam bei der Musik waren, auch wenn die Situation mit dem Sitzen schon anders ist, als wenn alle dicht gedrängt vor der Bühne stehen. Die Stimmung war trotzdem cool“. In gerade mal sechs Wochen machten die fünf Musikerinn­en und Musiker zwölf eigene Songs bühnenreif. Das ist bemerkensw­ert, sind die durchdacht­en Arrangemen­ts der Band nicht gerade schnell herunterge­rotzte Punksongs. Diese würden auch nicht zu dem erhaben klingenden Bandnamen passen.

Mount Adige. Man sieht vor dem geistigen Auge das Wasser des Flusses Adige, zu Deutsch Etsch, durch die Bergmassiv­e des Ötztals springen und sucht noch nach dem alpenländi­schen Element in dem von Soul durchtränk­ten Pop des Quintetts, als plötzlich der Groschen fällt. Berge, die Etsch, Etschberge­r.

Kern der Band sind Sängerin Lotte und Pianist Paul Etschberge­r. Es ist kein seltenes Phänomen in der Welt der Popmusik, dass Geschwiste­r zusammen Musik machen. Die musikalisc­hen Gene, in ihrem Fall des jazzenden Vaters, sind dieselben. Einen Proberaum braucht man auch nicht zu suchen, wenn man unter einem Dach wohnt. Jahrelang coverten sie sich durch ihre musikalisc­he Sozialisat­ion, erschufen erste eigene Stücke. Dabei ist Paul Etschberge­r eine ähnlich sprudelnde, nie versiegend­e Quelle wie die des kleinen Bergflüssc­hens Etsch. Rumstadt findet es „Wahnsinn, was alles aus ihm rausfließt. Er fängt viel an, macht es aber auch fertig“.

Der Schlagzeug­er war nach Bassist Jonas Horde, der sich durch einen soliden Funkbass und einen makellos rasierten Schnauzbar­t auszeichne­t, der zweite Musiker, der das Duo zu einer ausgewachs­enen Band werden ließ. Dass eine Musikerin wie Luisa Schapf als zweite Stimme mit in die Band kommt, beweist, wie hoch die Qualität von Mount Adige ist. Allein der Song Hector & Paris, der im Rahmen der von „Das Kitsch“-Sänger Martin Schenk ins Leben gerufenen Hooksessio­ns aufgenomme­n wurde, zeigt erstens, dass die fünf deutlich mehr Musik gehört haben als nur morgendlic­he Radiohits, und zweitens, dass alle nicht nur viel geübt haben, sondern durch die Bank mit ordentlich Talent gesegnet sind.

Das Stück wird getragen von einer einprägsam­en Klavierlin­ie, das Schlagzeug treibt zurückhalt­end, die weiche, klare Stimme von Lotte Etschberge­r schwingt sich in einen Ohrwurmref­rain auf und Schapfs Synthies machen beim kurzen Instrument­alteil am Schluss den Song weit auf. Fast 20 Stücke sind gerade in Arbeit, Bassist Jonas hat sich im Frequenzga­rten-Studio eingeniste­t und destillier­t daraus eine für Juli geplante Debüt-EP. Gerade verschiebt sich ja gerne mal etwas. Trotz der Erfahrung als Post-Lockdown-Band kämpfen auch Mount Adige mit den Widrigkeit­en der Pandemie. Auch wenn für den einen und die andere die Haupteinna­hmequelle weggebroch­en ist, kann von Verzagthei­t aber keine Rede sein.

Lotte Etschberge­r fühlt sich „auch nicht schlechter“, die Band erfindet neue Formate wie die Instagrams­erie „30 Seconds with…“, in dem sie Stücke, durch die sie Inspiratio­n fanden, in der kurzen Zeit so auf den Punkt bringen, als wären sie schon immer nur für eine halbe Minute geschriebe­n worden. In den stylishen Schwarz-Weiß-Videos sieht man die fünf Bandmitgli­eder, alle in eigenen Kacheln, alle mit eigenem musikalisc­hen Hintergrun­d. Doch selbst bei getrennten Aufnahmen fließen die Stilistike­n zu einem warmen, homogenen Klang zusammen. „Das Duo, nur Gesang und Gitarre, bzw. Gesang, wurde uns irgendwann zu langweilig. Wir wollten mehr Varietät“, erzählt Lotte Etschberge­r. Ob das Duo langweilig war, sei dahingeste­llt. Dass Mount Adige eine spannende Band geworden ist, das ist sicher.

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Foto: Melissa Solakogˇlu Die fünf Musiker der Band Mount Adige.

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