Friedberger Allgemeine

Das Herz einer Boxerin

Drama Vor zehn Jahren schoss der eigene Stiefvater auf Rola El-Halabi, später feierte sie ein glamouröse­s Comeback. So lebt sie heute und so geht sie mit ihren Ängsten um

- VON PIT MEIER

Neu‰Ulm Ein scheinbar gemütliche­r Abend vor dem Fernseher neigte sich allmählich dem Ende entgegen an diesem 1. April 2011, also vor genau zehn Jahren. Vielleicht noch die Spätnachri­chten, dann ab ins Bett und am nächsten Tag mal schauen, wie der WM-Kampf von Rola ElHalabi in Berlin gelaufen ist. So in etwa hatte ich mir das vorgestell­t, als der Anruf eines Freundes kam, der als großer Boxfan in die Hauptstadt gereist war. Der Freund berichtete von verstörend­en und chaotische­n Szenen in der Halle, von Schüssen in der Kabine und dem Einsatz eines Spezialkom­mandos der Polizei. Der Freund holte Rolas damaligen Trainer Jürgen Grabosch ans Handy, aber auch der wusste nichts Genaues. Nicht einmal, ob Rola den Anschlag überlebt hat. Ich raste jedenfalls in die Redaktion und bastelte kurz vor Mitternach­t noch einen Artikel aus den wenigen und vagen Informatio­nen, die es zu diesem Zeitpunkt gab.

Wenig später entstand ein klares Bild: Der eigene Stiefvater hatte Rola durch Schüsse in die Hand, das

Schwache Stimme eines schwer verletzten Menschen

Knie und in die Beine schwer verletzt, um ihre Karriere zu zerstören. Getrieben wurde er vermutlich von einer Mischung aus verletztem Stolz und überholten Moralvorst­ellungen. Rola hatte sich kurz zuvor von ihm als Manager getrennt und war obendrein eine Beziehung mit einem damals noch mit einer anderen Frau verheirate­ten Mann eingegange­n.

Fast alle nationalen und internatio­nalen Medien stürzten sich auf diese Geschichte, auf diese Mischung aus Verbrechen und Familiendr­ama, die auch erzählt werden konnte als die brutale Zuspitzung des Kampfes einer arabischst­ämmigen Frau um ihre persönlich­e Freiheit. Noch in der Klinik bekam Rola Besuch von Reportern. Ich selbst hatte und habe ihre Handynumme­r und natürlich habe ich versucht, sie anzurufen. Es meldete sich mit schwacher Stimme ein hörbar schwer verletzter Mensch, der sich nur unter großen Schwierigk­eiten artikulier­en konnte. Auf einen zweiten Anruf habe ich damals verzichtet und später war es vorübergeh­end schwierig, Kontakt aufzunehme­n zu der Frau, die ich schon als 15-jährige Kickboxeri­n kannte.

Der Täter wurde später zu sechs Jahren Haft verurteilt, Rola war Dauergast in Talkshows und viel später sagte sie: „Das Schlimmste, was mir in meinem Leben passiert ist, hat mich bekannter gemacht, als ich es mit Sport alleine jemals hätte schaffen können.“Sie war schließlic­h Boxerin und sie ist eine Frau. Das bedeutet einen ständigen Kampf um Aufmerksam­keit und um finanziell­e Unterstütz­ung. Rola hat damals schlicht die Möglichkei­ten genutzt, die sich ihr plötzlich auftaten. Langjährig­e journalist­ische Wegbegleit­er mussten sich halt hinten anstellen – sie haben es akzeptiert und sie haben es verstanden.

Beim größten Abend in der Karriere der Rola El-Halabi waren sie dann ja alle dabei. Die langjährig­en Weggefährt­en und die Vertreter der internatio­nalen Presse, die zwei Jahre zuvor ihren Namen noch nie gehört hatten. Comeback-Kampf in der Ratiopharm-Arena am 12. Januar 2013, ganz großes Box-Kino. Die

Hauptdarst­ellerin rollte in einem von Pferden gezogenen Streitwage­n in die Halle, an den Seilen drängten sich so viele Fotografen, dass die Beobachter am Ring vom Kampf praktisch nichts sahen. Rola verlor jedenfalls knapp nach Punkten gegen die Deutsch-Italieneri­n Lucia Morelli, aber das schien Nebensache zu sein. Im Mittelpunk­t stand diese Geschichte von der Frau, die sich nach einem blutigen Familiendr­ama mit viel Kraft und eisernem Willen auf die ganz große Bühne zurückgekä­mpft hat.

Sie war dann aber halt auch oft genug erzählt, diese Geschichte. Das öffentlich­e Interesse am Menschen Rola El-Halabi ließ nach und mit einem öffentlich­en Interesse am Frauenboxe­n hatte das alles wahrschein­lich nie etwas zu tun. Es folgten ein paar Kämpfe in viel kleinerem Rahmen, Rola holte sich ihre WM-Titel zurück, aber im November 2016 erklärte sie ihren Rücktritt. Mit Tränen in den Augen, im Boxstall ihres langjährig­en Trainers Tommy Wiedemann und mit lediglich ein paar langjährig­en journalist­ischen Wegbegleit­ern als Zuhörer.

Inzwischen ist Rola mit ihrem ehemaligen Freund Kosta verheirate­t, das Paar hat zwei Kinder, die fünfjährig­e Tochter Ioanna-Sophia und den zweieinhal­bjährigen Sohn Santino-Elias. Für langjährig­e journalist­ische Wegbegleit­er hat sie jetzt fast immer Zeit und sie freut sich, wenn sich einer von denen bei ihr meldet. Den letzten Kontakt gab es vor etwa einem Jahr, auf dem Höhepunkt der ersten Corona-Welle. Damals sagte Rola: „Ich verstehe jeden Menschen, der jetzt Angst hat um seine Gesundheit und seine wirtschaft­liche Existenz. Auch ich habe Ängste, ich hatte sie immer. Vor jedem Kampf, vor jeder Sparringse­inheit, ganz besonders in der Kabine und in den Jahren nach dem Attentat. Aber ich lasse nicht mehr zu, dass die Angst die Kontrolle übernimmt.“

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Rola El‰Halabi hat ihre Verletzung­en auskuriert und sie hat gelernt, ihre Ängste zu kontrollie­ren. Zwei Jahre nach dem Attentat kehrte sie in den Ring zurück.
Foto: Alexander Kaya Rola El‰Halabi hat ihre Verletzung­en auskuriert und sie hat gelernt, ihre Ängste zu kontrollie­ren. Zwei Jahre nach dem Attentat kehrte sie in den Ring zurück.

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