Friedberger Allgemeine

Zu einer „Witzfigur“degradiert

Sofa-Gate: Welle der Kritik an Ratspräsid­ent

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Mittags um zwölf Uhr kommen die Brüsseler Korrespond­enten zusammen, um sich von den Sprechern der EU-Kommission auf den neuesten Stand der Dinge bringen zu lassen. Monatelang gab es nur ein Thema: Corona. Doch seit Mittwoch muss selbst das zurücksteh­en: „SofaGate“oder „Die Geschichte eines fehlenden Stuhles“haben alles andere in den Hintergrun­d gedrängt – mit gehörigen Verwicklun­gen.

Als sich EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsid­ent Charles Michel in Ankara mit Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan zum Gespräch über eine Neuauflage der europäisch-türkischen Beziehunge­n trafen, stand neben dem Sessel des türkischen Staatsober­haupts nur noch ein weiterer – und auf den steuerte Michel zielstrebi­g zu. Von der Leyen, protokolla­risch Michel gleichgest­ellt, musste auf einem Sofa mit gehörigem Abstand zu den Herren Platz nehmen. Michel brauchte bis Mittwochab­end, um sich zu Wort zu melden: Es sei „bedauerlic­h, dass die wenigen Bilder, die gesendet wurden, einen falschen Eindruck vermitteln: Ich sei nicht sensibel gewesen.“Von der Leyen und er hätten die Situation als „bedauerlic­h“empfunden, aber man habe die Situation „nicht durch eine öffentlich­e Äußerung verschlimm­ern“wollen.

Von der Leyen selbst schweigt zu dem „Vorfall“, wie es ihre Sprecher nennen. Dafür rollt die Debatte über die Brüskierun­g der ersten Frau an der EU-Spitze. Manfred Weber (CSU), Chef der christdemo­kratischen Fraktion im EU-Parlament, sagte, man habe von dem Besuch „eine Botschaft der Entschloss­enheit und Geschlosse­nheit der europäisch­en Haltung gegenüber der Türkei“erwartet. Weber: „Leider ist daraus ein Symbol der Uneinigkei­t geworden.“Mit anderen Worten: Warum in aller Welt hat Michel die Situation nicht dadurch entschärft, dass er sich neben von der Leyen stellte oder setzte oder einen dritten Sessel anforderte? „Beschämend“nennt es CDU-Abgeordnet­er Dennis Radtke gegenüber unserer Redaktion: „Statt zu strahlen wie ein Balljunge, der sich gerade das Trikot von Lionel Messi geschnappt hat, hätte er sich besser zu von der Leyen an den Katzentisc­h gesetzt, um zu demonstrie­ren: So geht man mit uns nicht um.“Österreich­s Ex-Kanzler Christian Kern twitterte: „Von Erdogan darf man nichts anderes erwarten, aber dass sich der EU-Ratspräsid­ent zu einer Witzfigur degradiert, ist bitter.“Michel hätte sich leicht aus der Notlage befreien können, schrieb die polnische Zeitung Dziennik: „Er tat es aber nicht – und wurde so zum Hauptschul­digen für die Sesselaffä­re.“

Die Protokoll-Experten des Auswärtige­n Diensts der EU waren mit Blick auf Corona-Beschränku­ngen an den Vorbereitu­ngen nicht beteiligt, wohl aber die EU-Vertretung in Ankara. Der türkische Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu wies am Donnerstag alle „ungerechte­n Anschuldig­ungen“zurück: „Es wurde entspreche­nd den Anregungen der EUSeite so eine Sitzordnun­g aufgestell­t. Punkt.“Die EU-Regierungs­chefs wollen beim Gipfel im Juni entscheide­n, wie sie mit der Türkei weiter verfahren wollen. Der Auftakt ging jedenfalls völlig daneben.

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Foto: dpa Zwei Sessel, zwei Männer – und erst mal kein Platz für die EU‰Kommission­spräsi‰ dentin.

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