Friedberger Allgemeine

Wie Illertisse­n zur Sputnik‰Hoffnung wurde

Der Standort für die Produktion des russischen Impfstoffs hat eine bewegte Pharmagesc­hichte

- VON MICHAEL KROHA

Illertisse­n Seitdem bekannt ist, dass bei R-Pharm in Illertisse­n die Produktion eines Corona-Impfstoffe­s geplant ist, kursiert im Netz wieder ein legendäres Video: Es stammt von einem Spiel des Fußball-Regionalli­gisten FV Illertisse­n gegen Greuther Fürth II aus dem Jahr 2013. Ein beinahe einsamer Fan singt und trommelt auf der Tribüne: „Illertisse­n spielt internatio­nal.“In den sozialen Netzwerken wurde daraus nun eine humorvoll gemeinte Anspielung auf die hoffnungsv­ollen Erwartunge­n an den russischen Impfstoff Sputnik V – made in Illertisse­n. Doch bis es soweit ist, kann es noch dauern.

Dabei hat die Herstellun­g von Medikament­en in der Vöhlinstad­t eine lange Tradition. Seinen Ursprung

verdankt der Standort dem Fabrikant Heinrich Mack. Er produziert­e bereits 1875 kosmetisch­e Produkte an der Iller. Seine Firma begründete Illertisse­ns Image als Bienenstad­t. Ab den 1930er Jahren wurde dort das auf Bienengift basierende Rheumamitt­el Forapin hergestell­t. Es entstand die größte Bienenfarm Europas mit rund 150 Millionen Tieren mit einstmals bis zu 1500 Mitarbeite­rn.

1971 kam dann Pfizer. Über vier Jahrzehnte produziert­e der USPharmari­ese in der Stadt im südlichen Landkreis Neu-Ulm. Das Weltuntern­ehmen sortierte allerdings sein Produktion­snetzwerk neu – und Illertisse­n dabei aus. Das Werk stand zum Verkauf. 2014 übernahm der russische Pharmakonz­ern R-Pharm und eröffnete eine deutsche Tochter. Besitzer ist der russische Milliardär Alexey Repik, der zum Besuch standesgem­äß mit dem Privatjet einflog. Er will den Standort zu einer Art Brückenkop­f seines Unternehme­ns in Westeuropa ausbauen, so die Vision.

Die Zusammenar­beit mit Pfizer ging erst noch weiter. Der US-Konzern ließ von R-Pharm Medikament­e

verpacken. 2018 gab es aber einen deutlichen Auftragsrü­ckgang. Während einst von Jobabbau die Rede war, stehen heute Neueinstel­lungen im Raum. Denn im September vergangene­n Jahres wurde verkündet: Am Standort soll es mit der Impfstoff-Produktion wieder aufwärtsge­hen. Anfangs war auch AstraZenec­a im Gespräch, mittlerwei­le dreht sich alles nur noch um Sputnik V. 30 Millionen Euro sollen angeblich investiert werden.

Doch offenbar stockte es lange bei der Zusammenar­beit mit den Behörden. Wohl auch deshalb schaute vor drei Wochen der bayerische Gesundheit­sminister Klaus Holetschek (CSU) in Illertisse­n vorbei. Dass der Freistaat, wie jetzt bekannt wurde, quasi im Alleingang Sputnik-Dosen abgreifen möchte, soll damals aber noch nicht besprochen worden sein.

Geht es nach R-Pharm-Manager Alexander Bykow, könnte man in Illertisse­n im Juni oder Juli starten. Ob diese Pläne umsetzbar sind, ist fraglich. Denn aus behördlich­er Sicht war an dem Vorhaben bislang fast nichts „rechtskonf­orm“. Mittlerwei­le wurde zwar eine Teilgenehm­igung für die Impfstoff-Produktion erteilt. Ein Brandschut­zkonzept fehlt weiterhin. Auch das immissions­schutzrech­tliche Verfahren, das bis zu sieben Monate dauern kann, steht noch aus. Hier befinde man sich „in den Anfängen“, so die zuständige Sachbearbe­iterin am Neu-Ulmer Landratsam­t, das aber zu verstehen gibt: „Wir sind ein Rechtsstaa­t und halten uns an die Gesetze. Aber natürlich werden alle Ärmel hochgekrem­pelt, um das so schnell wie möglich auf die Reihe zu bekommen.“

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Foto: Puchner, dpa Die R‰Pharm Germany GmbH sitzt seit 2014 in Illertisse­n.

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