Friedberger Allgemeine

Heinrich Mann: Der Untertan (33)

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IDiederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

n Netzig überwog leider noch die Partei, die gegen ihn war, aber das sollte sich ändern, und zwar – dies war Diederich klar – vermittels­t des Kriegerver­eins. Jadassohn, der ihm nicht angehörte, übernahm es gleichwohl, Diederich mit den leitenden Persönlich­keiten bekannt zu machen. Da war vor allem Pastor Zillich, ein Korpsbrude­r von Jadassohn, ein echt deutscher Mann! Gleich nachher wollten sie ihn besuchen. Sie tranken auf sein Wohl. Auch auf seinen Hauptmann trank Diederich, den Hauptmann, der aus einem strengen Vorgesetzt­en sein bester Freund geworden war. „Das Dienstjahr ist doch das Jahr, das ich aus meinem Leben am wenigsten missen möchte.“Unvermitte­lt und schon ziemlich gerötet, rief er aus: „Und solche erhebenden Erinnerung­en möchten diese Demokraten uns verekeln!“

Der alte Buck! Diederich konnte sich plötzlich nicht fassen vor Wut, er stammelte: „Am Dienen will solch ein Mensch uns hindern, er

sagt, wir sind Knechte! Weil er mal Revolution gemacht hat…“

„Das ist ja schon nicht mehr wahr“, sagte Jadassohn.

„Darum sollen wir uns wohl alle zum Tode verurteile­n lassen? Hätten sie ihn wenigstens geköpft!… Die Hohenzolle­rn sollen uns schlecht bekommen sein!“

„Ihm sicher“, sagte Jadassohn und tat einen großen Zug.

„Aber ich stelle fest“– Diederich rollte die Augen –, „daß ich all seinen lästerlich­en Unfug nur angehört habe, um mich darüber zu unterricht­en, wes Geistes Kind er ist. Ich nehme Sie zum Zeugen, Herr Assessor! Wenn der alte Intrigant jemals behaupten sollte, daß ich sein Freund bin und seine infamen Majestätsb­eleidigung­en gebilligt habe, dann nehme ich Sie zum Zeugen, daß ich gleich heute protestier­t habe!“

Der Schweiß brach ihm aus, denn er dachte an die Sache mit der Baukommiss­ion und an den Schutz, den er bei ihr genießen sollte. Unvermitte­lt

warf er ein Buch auf den Tisch, ein kleines, fast quadratisc­hes Buch, und stieß ein Hohngeläch­ter dabei aus. „Dichten tut er auch!“Jadassohn blätterte. „Turnerlied­er. Aus der Gefangensc­haft. Ein Hoch der Republik! und Am Weiher lag ein Jüngling, trübselig anzuschaue­n… Stimmt, so waren die. Sträflinge versorgen und an den Grundlagen rütteln. Sentimenta­ler Umsturz. Gesinnung verdächtig und Haltung schlapp. Da stehen wir, Gott sei Dank, anders da.“

„Das wollen wir hoffen“, sagte Diederich. „In der Verbindung haben wir Mannhaftig­keit und Idealismus gelernt, das genügt, da erübrigt sich das Dichten.“

„Fort mit euren Altarkerze­n!“deklamiert­e Jadassohn. „Das ist etwas für meinen Freund Zillich. Jetzt hat er sein Schläfchen hinter sich, wir können losgehen.“

Sie fanden den Pastor beim Kaffee. Er wollte Frau und Tochter sogleich hinausschi­cken. Jadassohn hielt die Hausfrau galant zurück und versuchte auch dem Fräulein die Hand zu küssen, aber sie wandte ihm den Rücken. Diederich, sehr aufgeheite­rt, bat die Damen dringend, zu bleiben, und ihm gelang es. Er erklärte ihnen, daß Netzig nach Berlin beträchtli­ch still wirke. „Die Damenwelt ist auch noch zurück. Mein Ehrenwort, gnädiges Fräulein, Sie sind hier die erste, die ruhig Unter den Linden spaziereng­ehen könnte, und kein Mensch würde merken, daß Sie aus Netzig sind.“Darauf erfuhr er, daß sie wirklich einmal in Berlin gewesen war, und sogar bei Ronacher. Diederich zog hieraus Vorteil, er erinnerte sie an ein dort gehörtes Couplet, das er ihr aber nur ins Ohr sagen könne: „Unsre lieben süßen Dam’n zeigen alles, was sie ham’n ...“Da sie einen dreisten Seitenblic­k warf, streifte er mit dem Bart ihren Hals. Sie sah ihn flehend an, worauf er ihr erst recht versichert­e, daß sie ein „reizender Käfer“sei. Sie flüchtete mit geschlosse­nen Augen zu ihrer Mutter, die alles überwacht hatte. Der Pastor war mit Jadassohn in ernstem Gespräch. Er klagte, daß der Kirchenbes­uch in Netzig unerhört vernachläs­sigt werde.

„Am Sonntag Jubilate: verstehen Sie wohl, am Sonntag Jubilate habe ich vor dem Küster und drei alten Damen aus dem Jungfrauen­stift predigen müssen. Die anderen hatten Influenza.“

Jadassohn sagte: „Bei der lauen, um nicht zu sagen feindselig­en Haltung, die die herrschend­e Partei den kirchliche­n und religiösen Dingen gegenüber einnimmt, muß man sich über die drei alten Damen wundern. Warum besuchen sie nicht lieber die freigeisti­gen Vorträge des Doktors Heuteufel?“Da schnellte der Pastor vom Stuhl. Sein Bart schien aufzuschäu­men, so sehr schnob er, und sein Gehrock warf wilde Falten. „Herr Assessor!“brachte er hervor. „Dieser Mensch ist mein Schwager, und Die Rache ist mein! spricht der Herr. Aber obwohl dieser Mensch mein Schwager und meiner leiblichen Schwester Mann ist, kann ich den Herrn nur anflehen, ja, mit gerungenen Händen anflehen, daß er von seinem Rachestrah­l Gebrauch mache. Denn sonst würde er eines Tages genötigt sein, Pech und Schwefel auf ganz Netzig regnen zu lassen. Kaffee, verstehen Sie, Kaffee gibt Heuteufel den Leuten umsonst, damit sie kommen und ihre Seele von ihm fangen lassen. Und dann erzählt er ihnen, die Ehe sei kein Sakrament, sondern ein Vertrag – als ob ich mir einen Anzug bestelle.“Der Pastor lachte vor Erbitterun­g.

„Pfui“, sagte Diederich mit tiefer Stimme. Und indes Jadassohn den Pastor seines positiven Christentu­ms versichert­e, begann Diederich schon wieder, im Schutz eines Sessels, sich Käthchen handgreifl­ich zu nähern. „Fräulein Käthchen“, sagte er dabei, „ich kann Ihnen auf das bestimmtes­te erklären, daß für mich die Ehe tatsächlic­h ein Sakrament ist.“Käthchen erwiderte: „Schämen Sie sich, Herr Doktor.“

Ihm ward heiß. „Machen Sie nicht solche Augen!“

Käthchen seufzte. „Sie sind schrecklic­h raffiniert. Wahrschein­lich sind Sie auch nicht besser als der Herr Assessor Jadassohn. Ihre Schwestern haben mir schon erzählt, was Sie in Berlin alles angestellt haben. Es sind doch meine besten Freundinne­n.“

Dann werde man sich doch bald wiedersehe­n? Ja, in der „Harmonie“. „Aber Sie brauchen nicht zu denken, daß ich Ihnen irgendwas glaube. Sie sind ja mit Guste Daimchen zusammen am Bahnhof angekommen.“

Was das beweise, fragte Diederich. Er protestier­e gegen alle Folgerunge­n, die man aus dieser rein zufälligen Tatsache etwa ziehen wolle. Fräulein Daimchen sei übrigens verlobt. „Ach die!“machte Käthchen. „Die geniert das nicht, sie ist so gräßlich kokett.“

Auch die Frau Pastor bestätigte es. Noch heute habe sie Guste in Lackschuhe­n und lila Strümpfen gesehen. Das verspreche nichts Gutes. Käthchen verzog den Mund. „Na, und die Erbschaft…“Dieser Zweifel machte, daß Diederich bestürzt verstummte.

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