Ein neuer Schatz für die Forschung
Ohne lange zu zögern hat Augsburgs Kulturreferent Jürgen Enninger einen umfangreichen Briefwechsel aus dem Umkreis Brechts angekauft: die Korrespondenz von Brechts Jugendfreund Caspar Neher mit Rolf Badenhausen
Viel Zeit zum Überlegen und Handeln blieb nicht. Der Verkäufer machte Druck und setzte eine Frist. Zwei Wochen lange biete er das Konvolut geschlossen an, danach werde alles einzeln und teurer verkauft. Die Reaktion kam schnell. „Nach einer halben Stunde hatten wir die Briefe“, sagt Jürgen Hillesheim, der Leiter der Augsburger Brechtforschungsstätte. Augsburgs Kulturreferent Jürgen Enninger war wie Hillesheim sofort überzeugt, dass dieser Ankauf für Augsburgs Brechtsammlung geboten schien. Und so bekam Augsburg und nicht eine der anderen Institutionen in Berlin und Wien, denen der umfangreiche Briefwechsel ebenfalls angeboten worden war, den Zuschlag.
Gut 30 Briefe aus den 1950er Jahren sind nun in Augsburg angekommen, verfasst von dem Bühnenbildner und frühen Brecht-Freund Caspar Neher und dem Dramaturgen und zeitweiligen Gustaf-Gründgens-Assistenten Rolf Badenhausen. Der Verkäufer und Antiquar Eberhard Köstler schreibt in seinem Verkaufsprospekt, dass die Briefe ein Stück Theatergeschichte zeichnen und Einblick geben in Nehers künstlerisches Selbstverständnis, die kreative Welt des Bühnenbildners und die Vielzahl von Inszenierungen, denen er seine Handschrift lieh.
Bedeutung für Augsburg wächst dem Briefwechsel zu, weil Caspar Neher 1897 in Augsburg geboren ist, er zu den engen Jugendfreunden Bertolt Brechts zählte, mit dem er auch in dieselbe Schulklasse ging. Neher wurde nach dem Ersten Weltkrieg Bühnenbildner, schuf
Szenen für die frühen Brechtwerke, blieb später allerdings – anders als Brecht – von 1933 bis 1945 im Nazideutschland und arrangierte sich als Bühnenbildner. Als Brecht wieder aus dem Exil zurückkehrte, nahmen beide wieder den Kontakt zueinander auf, allerdings zerbrach die Freundschaft in den frühen 1950er Jahren, als beide an Brechts Inszenierung des „Galileo Galilei“für das Berliner Ensemble arbeiteten.
Genau darauf wirft nun auch der Briefwechsel von Neher und Badenhausen ein Schlaglicht. Auf einer Postkarte fragt Neher den Dramaturgen Badenhausen: „Wie war Galilei?“Er selbst hatte sich die Inszenierung laut Brechtforscher Jürgen Hillesheim gar nicht mehr angesehen, obwohl Bühnenbilder von ihm darin zu sehen waren.
Ein Glücksfall an dem Briefwechsel für künftige Forscher ist, dass er die Korrespondenz von beiden umfasst, Nehers handschriftliche Briefe sowie Schreibmaschinen-Durchschläge von Badenhausens Antworten. Deshalb muss man auch davon ausgehen, dass der Briefwechsel aus dem Nachlass von Badenhausen stammt, der 1987 gestorben ist. Wie der Briefwechsel in ein Musikantiquariat in Tutzing gelangte, konnte Jürgen Hillesheim noch nicht herausfinden. Dort lagen die Briefe über 30 Jahre, bis der komplette Bestand des Antiquariats von dem Tutzinger Antiquar Eberhard Köstler übernommen worden ist, der dann wiederum eine direkte Anfrage an den Augsburger Brechtforscher Jürgen Hillesheim richtete.
Im Prospekt, den Köstler dazu herausgegeben hat, werden für den kompletten Briefwechsel 3500 Euro aufgerufen, Augsburgs Kulturreferent Jürgen Enninger spricht von einer niedrigen vierstelligen Summe, die die Korrespondenz letztlich gekostet habe, eine Summe, die schnell aufzutreiben gewesen sei.
Enninger und Hillesheim sind auch deshalb froh über den Erwerb, weil beide schon das nächste größere Brechtjubiläum im Blick haben: 2023 jährt sich dessen Geburtstag zum 125. Mal, ein Anlass, zu dem nun sicher auch die Neher- und Badenhausen-Briefe in der einen oder anderen Form im Rahmen einer Ausstellung und vielleicht auch Publikation zu sehen sein werden. Badenhausen war es übrigens, der in den 1960er Jahren die erste CasparNeher-Ausstellung in Augsburg kuratiert hat.
Aufschlussreich ist der Briefwechsel, weil es darin auch um die Theatergeschichte der 1950er Jahre geht, etwa wenn Badenhausen ein frühes Dürrenmatt-Werk sieht und sich die Frage stellt, ob der Autor eine Fabel ein ganzes Stück durchhalten könne. Es geht in den Schreiben um Ausstellungen von NeherWerken. Zwischen den Zeilen ist außerdem noch etwas zu bemerken: Die Naziherrschaft, die Kriegsverbrechen und die eigene Rolle in der Zeit fehlen in den Briefen komplett, sei es, dass diese Briefe aussortiert worden sind oder – wahrscheinlicher – dass es sie nie gegeben hat.