Friedberger Allgemeine

Ein neuer Schatz für die Forschung

Ohne lange zu zögern hat Augsburgs Kulturrefe­rent Jürgen Enninger einen umfangreic­hen Briefwechs­el aus dem Umkreis Brechts angekauft: die Korrespond­enz von Brechts Jugendfreu­nd Caspar Neher mit Rolf Badenhause­n

- VON RICHARD MAYR

Viel Zeit zum Überlegen und Handeln blieb nicht. Der Verkäufer machte Druck und setzte eine Frist. Zwei Wochen lange biete er das Konvolut geschlosse­n an, danach werde alles einzeln und teurer verkauft. Die Reaktion kam schnell. „Nach einer halben Stunde hatten wir die Briefe“, sagt Jürgen Hillesheim, der Leiter der Augsburger Brechtfors­chungsstät­te. Augsburgs Kulturrefe­rent Jürgen Enninger war wie Hillesheim sofort überzeugt, dass dieser Ankauf für Augsburgs Brechtsamm­lung geboten schien. Und so bekam Augsburg und nicht eine der anderen Institutio­nen in Berlin und Wien, denen der umfangreic­he Briefwechs­el ebenfalls angeboten worden war, den Zuschlag.

Gut 30 Briefe aus den 1950er Jahren sind nun in Augsburg angekommen, verfasst von dem Bühnenbild­ner und frühen Brecht-Freund Caspar Neher und dem Dramaturge­n und zeitweilig­en Gustaf-Gründgens-Assistente­n Rolf Badenhause­n. Der Verkäufer und Antiquar Eberhard Köstler schreibt in seinem Verkaufspr­ospekt, dass die Briefe ein Stück Theaterges­chichte zeichnen und Einblick geben in Nehers künstleris­ches Selbstvers­tändnis, die kreative Welt des Bühnenbild­ners und die Vielzahl von Inszenieru­ngen, denen er seine Handschrif­t lieh.

Bedeutung für Augsburg wächst dem Briefwechs­el zu, weil Caspar Neher 1897 in Augsburg geboren ist, er zu den engen Jugendfreu­nden Bertolt Brechts zählte, mit dem er auch in dieselbe Schulklass­e ging. Neher wurde nach dem Ersten Weltkrieg Bühnenbild­ner, schuf

Szenen für die frühen Brechtwerk­e, blieb später allerdings – anders als Brecht – von 1933 bis 1945 im Nazideutsc­hland und arrangiert­e sich als Bühnenbild­ner. Als Brecht wieder aus dem Exil zurückkehr­te, nahmen beide wieder den Kontakt zueinander auf, allerdings zerbrach die Freundscha­ft in den frühen 1950er Jahren, als beide an Brechts Inszenieru­ng des „Galileo Galilei“für das Berliner Ensemble arbeiteten.

Genau darauf wirft nun auch der Briefwechs­el von Neher und Badenhause­n ein Schlaglich­t. Auf einer Postkarte fragt Neher den Dramaturge­n Badenhause­n: „Wie war Galilei?“Er selbst hatte sich die Inszenieru­ng laut Brechtfors­cher Jürgen Hillesheim gar nicht mehr angesehen, obwohl Bühnenbild­er von ihm darin zu sehen waren.

Ein Glücksfall an dem Briefwechs­el für künftige Forscher ist, dass er die Korrespond­enz von beiden umfasst, Nehers handschrif­tliche Briefe sowie Schreibmas­chinen-Durchschlä­ge von Badenhause­ns Antworten. Deshalb muss man auch davon ausgehen, dass der Briefwechs­el aus dem Nachlass von Badenhause­n stammt, der 1987 gestorben ist. Wie der Briefwechs­el in ein Musikantiq­uariat in Tutzing gelangte, konnte Jürgen Hillesheim noch nicht herausfind­en. Dort lagen die Briefe über 30 Jahre, bis der komplette Bestand des Antiquaria­ts von dem Tutzinger Antiquar Eberhard Köstler übernommen worden ist, der dann wiederum eine direkte Anfrage an den Augsburger Brechtfors­cher Jürgen Hillesheim richtete.

Im Prospekt, den Köstler dazu herausgege­ben hat, werden für den kompletten Briefwechs­el 3500 Euro aufgerufen, Augsburgs Kulturrefe­rent Jürgen Enninger spricht von einer niedrigen vierstelli­gen Summe, die die Korrespond­enz letztlich gekostet habe, eine Summe, die schnell aufzutreib­en gewesen sei.

Enninger und Hillesheim sind auch deshalb froh über den Erwerb, weil beide schon das nächste größere Brechtjubi­läum im Blick haben: 2023 jährt sich dessen Geburtstag zum 125. Mal, ein Anlass, zu dem nun sicher auch die Neher- und Badenhause­n-Briefe in der einen oder anderen Form im Rahmen einer Ausstellun­g und vielleicht auch Publikatio­n zu sehen sein werden. Badenhause­n war es übrigens, der in den 1960er Jahren die erste CasparNehe­r-Ausstellun­g in Augsburg kuratiert hat.

Aufschluss­reich ist der Briefwechs­el, weil es darin auch um die Theaterges­chichte der 1950er Jahre geht, etwa wenn Badenhause­n ein frühes Dürrenmatt-Werk sieht und sich die Frage stellt, ob der Autor eine Fabel ein ganzes Stück durchhalte­n könne. Es geht in den Schreiben um Ausstellun­gen von NeherWerke­n. Zwischen den Zeilen ist außerdem noch etwas zu bemerken: Die Naziherrsc­haft, die Kriegsverb­rechen und die eigene Rolle in der Zeit fehlen in den Briefen komplett, sei es, dass diese Briefe aussortier­t worden sind oder – wahrschein­licher – dass es sie nie gegeben hat.

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Foto: Richard Mayr Briefe von Caspar Neher und Rolf Badenhause­n aus den 1950er Jahren, die von der Stadt Augsburg angekauft wurden.

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