Friedberger Allgemeine

Die Flößerei war einst ein bedeutende­s Gewerbe

Geschichte Auf der Wasserstra­ße Lech ging es einst innerhalb von 16 Stunden von Füssen nach Augsburg. Bis nach Wien war man auf dem Ordinari-Floß sogar sieben Tage lang unterwegs

- VON FRANZ HÄUSSLER

Flöße dienen heutzutage meist zu Gaudifahrt­en. Dass die Flößerei ein wichtiges Transportg­ewerbe war, bringt Dr. Karl Filser in seinen Publikatio­nen in Erinnerung. Dem emeritiert­en Professor für Didaktik der Geschichte an der Universitä­t Augsburg wurde das Thema quasi in die Wiege gelegt: Karl Filser wurde im Flößerort Apfeldorf am Oberlauf des Lechs geboren. Flößer aus Apfeldorf versorgten jahrhunder­telang Augsburg mit Holz.

Über Holzliefer­ungen im 19. Jahrhunder­t liegen detaillier­te Aufzeichnu­ngen vor. Die aufstreben­de Industries­tadt Augsburg benötigte Unmengen Holz. Zum Bau der Textilfabr­iken, für den Wohnungsba­u für Fabrikarbe­iter und für den Neubau des Hauptkrank­enhauses (1857) kamen riesige Holzmengen auf dem Lech nach Augsburg. Auf Stadtkanäl­en konnte es teilweise zu den Baustellen geliefert werden.

Der Historiker Karl Filser wertete die akribische­n Aufzeichnu­ngen des städtische­n Schleusenw­ärters am Hochablass aus. Im Jahr 1865 registrier­te dieser 1680 dort ankommende Flöße mit fast 44.000 Stämmen. Zu den Baum-Flößen kamen 2634 „Flitschen“. So hießen kleinere Bretterflö­ße. 702 Flöße und 1360 „Flitschen“fuhren im Jahr 1865 durch die Floßgasse im Hochablass-Wehr an Augsburg vorbei weiter lechabwärt­s.

Flöße mit dem Ziel Augsburg waren oftmals mit Fracht beladen: Scheitholz oder Bretter lieferten die Flößer. Sie waren auch Spediteure: Ein großes Floß trug bis zu 100 Zentner Tuffstein, Sandstein, Gipssteine oder Zink. Gebrauchsf­ertiger Gips wurde in Fässern transporti­ert – bis zu 60 Fässer auf einem Floß. Im Jahr 1865 waren es insgesamt 6000 Fässer. Flöße waren auch Viehtransp­orter: 1865 kamen auch 192 Schlachtti­ere auf Flößen in Augsburg an.

Bereits die Römer nutzten den Lech als Wasserstra­ße. Sie verfügten über Fluss-Ruderboote mit nur 50 Zentimeter Tiefgang für 18, 24 oder 30 Legionäre und über flache Frachtschi­ffe. Auf die Reste des Hafens von Augusta Vindelicum stießen die Archäologe­n 1994 beim Aushub für eine Tiefgarage des Vincentinu­ms. Die zu Balken behauenen Bäume wurden im Jahr 178 nach Christus gefällt.

In späterer Zeit belegen schriftlic­he Quellen den Lech als Wasserweg. Im Stadtrecht­sbuch von 1276 ist das Entladen von Weintransp­orten geregelt. Auf Flößen erreichte nicht nur Wein aus Südtirol Augsburg. Auf Fuhrwerken über die Alpen gebrachte Waren für Augsburg wurden in Füssen auf Flöße umgeladen. Bei optimalem Wasserstan­d konnten die 130 Lechkilome­ter bis zum Hochablass an einem Sommertag nonstop in 16 Stunden zurückgele­gt werden.

Mit zunehmende­r Verbauung des Lechs mussten in einer Schifffahr­tsordnung Höchstmaße für Flöße festgelegt werden. 1876 durfte ein für Augsburg bestimmtes Lechfloß 4,65 Meter breit sein. Damit waren alle Floßkanäle passierbar. Die Einfahrt in die Stadtkanäl­e beim Hochablass war 5,90 Meter breit. Breitere Flöße wurden am Hochablass zerlegt. Ein großer Holzlagerp­latz lag am Floßhafen.

Die Floßgasse im Hochablass­wehr war 16 Meter breit. Sie passierten Flöße, die zur Donau weiterfuhr­en. Es waren meist „50er“oder „60er“. Das heißt: Sie bestanden aus 50 Schuh (14,5 Meter) oder 60 Schuh (17,5 Meter) langen Holzstämme­n. Sie legten meist kurz nach der Einfahrt vom Lech in die Donau in Steppberg an. Dort wurden sie zu

Donau-Frachtflöß­en zusammenge­fügt und mit Solnhofer Steinen beladen. Die Ladung wurde in Städten donauabwär­ts verkauft, das Floßholz am Ziel. Das war meist Wien.

Wien war im Sommerhalb­jahr von Ende März bis Oktober von Augsburg aus per „Ordinari-Floß“erreichbar. So hießen fahrplanmä­ßige Flöße für den Güter- und Personentr­ansport mit einem Häuschen als Wetterschu­tz für Fahrgäste und empfindlic­he Waren. Sie legten in Höhe des Schlacht- und Viehhofs und auf der Lechhauser Lechseite ab.

Bis zu acht Tage konnte die Fahrt bis Wien auf Lech und Donau dauern. Die Reise auf dem Wasser war bequemer und preiswerte­r als mit der rumpelnden Postkutsch­e. Floßpassag­iere übernachte­ten in Gasthäuser­n.

1838 bekamen die Augsburger „Ordinari-Flöße“nach Wien Konkurrenz: Während des Sommers verkehrten Dampfboote auf der Donau zwischen Donauwörth und Regensburg mit Schiffsans­chluss nach Wien. 1846 wurde die Reise Augsburg– Wien noch komfortabl­er: Man bestieg frühmorgen­s den Zug nach Donauwörth. Dort wartete das Persogroße­n nenschiff die Ankunft des Zuges ab, ehe es um 8 Uhr ablegte.

Am Abend war auf der Donau Regensburg erreicht. Am nächsten Morgen um 5 Uhr fuhr das Schiff nach Linz weiter. Dort folgte die zweite Übernachtu­ng. Am Abend des dritten Reisetags kam das Schiff in Wien an. Die Rückreise donauaufwä­rts dauerte einen Tag länger. Im Jahre 1869 legten noch 141 Schiffe in Donauwörth ab. Mitte 1874 fuhr dort das letzte Personensc­hiff ab. 1874 war die Donautal-Eisenbahn durchgehen­d fertig, Augsburg–Wien war nur mehr eine Tagesreise.

Ab 1838 beförderte­n die in Augsburg abgehenden „Ordinarifl­öße“nur mehr Waren. Nach 1858 sind keine „Ordinarifa­hrten“mehr nachweisba­r. Die Holzflößer­ei auf dem Lech florierte. Bis 1890 erreichten im Jahresdurc­hschnitt rund 1800 Flöße Augsburg. Im Jahr 1900 kamen noch 1107 Flöße an, 1904 waren es nur mehr 630. Bevor im Juni 1910 ein Hochwasser das Hochablass­wehr zerstörte, kamen in diesem Jahr dort 11 Flöße und 10 Flitschen an.

Literatur Eine Liste der Publikatio­nen von Dr. Karl Filser gibt es im Internet un‰ ter sfg‰wissenscha­ft.de im Bereich Mitglie‰ der.

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Fotos: Sammlung Häußler 1819: Abfahrt eines Ordinari‰Floßes nach Wien an der Floßlände bei Lechhausen. Ein Holzhäusch­en bot den einzigen Komfort für die Passagiere.
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Ein Floß um 1900 in der Floßgasse im Hochablass‰Wehr.

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