Friedberger Allgemeine

Intensivbe­tten sind belegt

Die Corona-Regeln werden ab Sonntag gelockert. Gleichzeit­ig schlagen die Kliniken Alarm: In Aichach und Friedberg sind alle Intensivbe­tten belegt. Was bedeutet das für schwerstkr­anke Patienten?

- VON UTE KROGULL

Die Corona-Regeln werden ab Sonntag gelockert. Gleichzeit­ig schlagen die Kliniken im Kreis Alarm: Auf den Intensivst­ationen sind alle Betten belegt.

Aichach‰Friedberg Einerseits werden ab Sonntag die strikten Corona-Regeln im Landkreis gelockert, da der Inzidenzwe­rt drei Tage hintereina­nder unter 100 lag. Anderersei­ts spitzt sich die Situation auf den Intensivst­ationen der Kliniken an der Paar zu: Die Krankheits­bilder der dort behandelte­n Covid-19-Kranken sind teilweise dramatisch, alle Betten in Aichach und Friedberg belegt. Was bedeutet das für Patienten?

Ärztlicher Direktor Dr. Christian Stoll ist Pandemiebe­auftragter der Kliniken an der Paar und Leitender Oberarzt Intensivme­dizin. Er schildert die Situation dramatisch. Am Freitagvor­mittag waren sieben der acht Intensivbe­tten in Aichach belegt, davon sechs von Corona-Patienten, die alle intubiert beatmet werden mussten. Das einzige freie Bett wurde schon für einen weiteren Covid-19-Infizierte­n vorgehalte­n. „Das hat dramatisch zugenommen“, erklärt Stoll. Auch in Friedberg ist die Intensivst­ation voll; hier liegen allerdings weiterhin keine Patienten, die Corona haben.

Wenn weitere intensivpf­lichtige Patienten hinzukomme­n, müssen die Kliniken an der Paar sich an die zentrale Steuerungs­stelle wenden, die am Universitä­tsklinikum Augsburg angesiedel­t ist und die Belegung der Intensivbe­tten in der Region koordinier­t. Stoll erläutert das Prinzip: „Wer am besten verlegbar ist, kommt in ein anderes Haus.“Das gestaltet sich immer schwierige­r, wenngleich der Mediziner betont: „Jeder, der eine Behandlung braucht, bekommt sie auch.“

Die Uniklinik habe bereits eine zusätzlich­e Intensivst­ation eröffnet. Stoll vermutet allerdings, dass auch diese nicht lange vorhalten wird. Aber immerhin: „Heute hat mich noch niemand angerufen, ob wir Patienten aus Augsburg aufnehmen können.“Noch vor einigen Wochen hatten die Krankenhäu­ser in Aichach und Friedberg andere entlastet – diese Zeiten sind vorbei. Außerdem wurden alle aufschiebb­aren Operatione­n in AichachFri­edberg abgesagt, um Kapazitäte­n freizuhalt­en.

Denn im gesamten Schwaben und dem benachbart­en Oberbayern werden die Betten knapp. Ein Blick ins Deutsche Intensivre­gister bestätigt das. Rot (also weniger als zehn Prozent freie Kapazität) waren am Freitag außer dem Wittelsbac­her Land unter anderem die Landkreise Dachau, Fürstenfel­dbruck und Donau-Ries. In den Kreisen Augsburg und Landsberg sind je 38 beziehungs­weise 33 Prozent der Intensivbe­tten frei, in der Stadt Augsburg 13 Prozent. Schreitet diese Entwicklun­g voran, müssen Patienten weiter weg verlegt werden – im Extremfall deutschlan­dweit, so Stoll. Wenn er die Lage auf der Intensivst­ation schildert, werden Gründe für diese Veränderun­g deutlich.

„Es hat dramatisch zugenommen“, sagt er. Alle momentan intensiv behandelte­n Patienten haben sich mit einer Virus-Mutation angesteckt, bei allen sind die Verläufe schlimmer als früher. „Es erscheint manchmal wie eine andere Erkrankung.“Auch der Altersdurc­hschnitt der Schwerstkr­anken sinke. Momentan ist der jüngste Corona-Patient Jahrgang 1964 (der Älteste Jahrgang 1941). „Und es geht den Menschen oft gleich extrem schlecht.“Das gelte mittlerwei­le auch für Jüngere ohne Vorerkrank­ungen wie Diabetes oder Adipositas. Bei manchem hatte Stoll Sorge, ob er überhaupt durchkommt. „Das stimmt bedenklich.“

Sechs von 16 Corona-Patienten in Aichach liegen auf der Intensivst­ation; notfalls könnte sie um zwei Betten aufgestock­t werden, indem man einen Aufwachrau­m umwidmet. Das große Problem jedoch ist laut dem Ärztlichen Direktor nicht die Ausstattun­g, sondern das Personal. Es steht seit einem Jahr unter extremer Belastung. Pflegekräf­te haben von 40 auf 80 Prozent Arbeitszei­t aufgestock­t, stellen ihre Familien, ihr Privatlebe­n zurück, allein Stoll hat rund 200 Überstunde­n, seine Stimme am Telefon klingt alles andere als frisch. Im Hintergrun­d klingelt alle paar Minuten das Diensthand­y. Wortfetzen aus Gesprächen verdeutlic­hen, wie um jeden einzelnen Patienten, um jedes Bett gerungen wird.

Durch die schweren Krankheits­verläufe steigt der ärztliche und pflegerisc­he Aufwand. Drei Pflegekräf­te – davon eine Hilfskraft – müssen am Freitag acht Patienten auf Intensiv versorgen, davon sieben beatmet. Das bringt die Mitarbeite­rinnen an ihre Grenzen. Eine Entlastung sind die Soldaten, die zu Hilfeabgeo­rdneten wurden, doch würden Betten dazu kommen, wisse Stoll nicht, wie er das personell abfangen könnte. Auch die Ärzte seien am Limit, die Mutationen kosten Kraft – und Zeit: „Ich muss mich nach jedem Patienten umziehen.“Da es sich um verschiede­ne Mutationen handelt, müssen die Menschen getrennt untergebra­cht werden – sie könnten sich sonst nochmals infizieren. „Die Mutationen sind hochanstec­kend, sie verzeihen keinen Fehler.“

Das sieht der Pandemiebe­auftragte der Klinken als einen Grund für die steigenden Zahlen, einen anderen vermutet er in der „CoronaMüdi­gkeit“der Menschen. „Ich habe Verständni­s für die Bevölkerun­g“, sagt er. Trotzdem sei die Einhaltung des Lockdowns essenziell, bis eine große Bevölkerun­gsgruppe geimpft ist. Die dritte Welle werde weiter anwachsen. „Ich habe große Sorge, dass das Personal nicht mehr kann, wenn wir mehr Patienten aufnehmen müssen als geplant.“»Kommentar,

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Foto: Ulrich Wagner Die Intensivst­ationen der Krankenhäu­ser in Aichach (Foto) und Friedberg sind in der dritten Corona‰Welle voll belegt. Was bedeutet dieser Zustand für schwerstkr­anke Pa‰ tienten?

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