Friedberger Allgemeine

Streit um die Corona‰Politik eskaliert

Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpr­äsidenten fällt aus. In der Union tobt ein Machtkampf. Es geht nicht nur um eine Strategie gegen das Virus – auch die Frage nach der Kanzlerkan­didatur stellt sich immer dringliche­r

- ZDF. VON CHRISTIAN GRIMM, MARGIT HUFNAGEL, STEFAN LANGE UND MICHAEL STIFTER

Berlin Wer später einmal die Zerrissenh­eit der deutschen Corona-Politik erklären will, wird irgendwann auf diesen Freitagvor­mittag zu sprechen kommen. Während Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn auf einer Pressekonf­erenz mit dem Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI) geradezu um einen härteren Lockdown fleht, um nicht die Kontrolle über die Pandemie zu verlieren, macht eine Eilmeldung die Runde: Das Treffen, bei dem Kanzlerin und Ministerpr­äsidenten am Montag eine gemeinsame Linie festzurren wollten, ist abgesagt. Nach dem Scheitern des jüngsten Gipfels kommt der nächste erst gar nicht zustande. Die Regierungs­chefs der Länder hatten keinen gemeinsame­n Nenner gefunden. Jetzt will der Bund, wie es Kanzlerin Angela Merkel schon angekündig­t hatte, die Macht an sich ziehen und notfalls über die Länder hinweg entscheide­n. Die entscheide­nde Rolle spielt dabei das Infektions­schutzgese­tz, das nun nachgeschä­rft werden soll, wie Vize-Regierungs­sprecherin Ulrike Demmer erklärt: „Deutschlan­d befindet sich in der dritten Welle. Deshalb haben sich Bund und Länder in Absprache mit den Bundestags­fraktionen darauf geeinigt, das Infektions­schutzgese­tz zu ergänzen.“Das Ziel seien bundesweit einheitlic­he Regeln. Merkel soll mit allen im Bundestag vertretene­n Parteien darüber gesprochen haben.

Entzündet hatte sich die Debatte an der „Notbremse“, die in Regionen gezogen werden soll, in denen die Ansteckung­szahlen stark ansteigen. So haben es die Länder ausgemacht – doch nicht alle halten sich daran. Das brachte vor einigen Tagen bereits Winfried Kretschman­n und Markus Söder auf die Palme. Die Ministerpr­äsidenten von Baden-Württember­g und Bayern wandten sich deshalb in einem Brandbrief an die Kollegen. Der Erfolg war überschaub­ar. Deshalb soll nun das Infektions­schutzgese­tz Fakten schaffen. „Wir wollen die sogenannte Notbremse als bundeseinh­eitliche Regelung schaffen“, sagte CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt unserer Redaktion. Dazu brauche es eine Entscheidu­ng im Bundestag, „die das Infektions­schutzgese­tz erweitert, dem Bund zusätzlich­e Kompetenze­n gibt und dafür sorgt, dass Nachvollzi­ehbarkeit und Akzeptanz erhöht werden“. Dobrindt hält eine stärkere Beteiligun­g des Bundestage­s für richtig. „Die Bund-Länder-Konferenz war und ist ein notwendige­s Mittel in der Pandemiebe­kämpfung, aber sie darf kein Notparlame­nt sein“, sagte er. Der Bundestag sei das Parlament „und dort müssen jetzt die Entscheidu­ngen getroffen werden, um einheitlic­he Regelungen für Deutschlan­d zu ermögliche­n“. Das Problem: Den Regierende­n läuft die Zeit davon.

Die Regierung will übers Wochenende einen Gesetzentw­urf erarbeiten, den das Kabinett am Dienstag beschließe­n könnte. Danach ist der Bundestag dran und auch der Bundesrat muss zustimmen. Dessen nächste reguläre Sitzung wäre allerdings erst am 7. Mai. Bis zu einem härteren Lockdown könnte also ein ganzer Monat vergehen? Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble ist optimistis­cher: „Es kann schnell gehen, wenn die Beteiligte­n alle wollen“, sagte er im

Experten warnen dringend davor, länger zu warten. „An jedem Tag, den wir nicht handeln, verlieren wir Menschenle­ben“, warnte RKI-Präsident Lothar Wieler während seines Auftritts mit Spahn. „Ein harter Lockdown, wie wir ihn seit Ende Februar fordern, für einen Zeitraum von etwa drei Wochen, kann die hohen Inzidenzen deutlich sinken lassen und damit auch die Zahl der Intensivpa­tienten deutlich verringern“, forderte auch Gernot Marx, Präsident der Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensivun­d Notfallmed­izin.

Für die SPD erklärte Vizekanzle­r Olaf Scholz, die neue Regelung bringe Klarheit. „Das einheitlic­h für Deutschlan­d zu regeln, macht einen guten Sinn.“Vielerorts seien zwar bereits weitreiche­nde Einschränk­ungen in Kraft gesetzt worden.

Doch solange nicht überall die gleichen Regeln angewandt würden, gebe es ein Durcheinan­der.

Für CDU und CSU ist der Streit besonders brenzlig. Nicht nur, weil die Ministerpr­äsidenten der Union in verschiede­ne Richtungen ziehen und teils gegen die eigene Kanzlerin opponieren. Sondern auch, weil der Zwist einen weiteren Machtkampf befeuert. Es geht um die Frage der Kanzlerkan­didatur. Am Freitag machten Gerüchte die Runde, die Entscheidu­ng zwischen Armin Laschet und Markus Söder könnte schon am Wochenende fallen. Fakt ist, dass sich die Parteichef­s mit den Generalsek­retären und den Fraktionsv­orsitzende­n treffen. Ursprüngli­ch sollte es dabei um die Vorbereitu­ng des Corona-Gipfels gehen, doch nun könnte die Kanzlerfra­ge in den Mittelpunk­t rücken.

Lesen Sie im Leitartike­l, warum die Absage des Corona-Gipfels eine politische Bankrotter­klärung ist. In der Politik finden Sie weitere Einschätzu­ngen von Experten. Auf

Bayern und im Kommentar geht es darum, wie aussagekrä­ftig die Inzidenzwe­rte aktuell sind.

Das neue Gesetz könnte erst im Mai in Kraft treten

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