Friedberger Allgemeine

Nordirland­s alte Wunden reißen auf

Warum der Konflikt auf der Grünen Insel wieder zurückkehr­t

- VON KATRIN PRIBYL

London Die Furcht vor den Schatten von einst war nie wirklich weg in Nordirland. In diesem Landesteil des Königreich­s, wo man seit 1998 dachte, es könnte nur besser werden nach all den Bomben, den unzähligen Toten, dem Leid während des jahrzehnte­langen Bürgerkrie­gs. Und tatsächlic­h wurde mit dem Karfreitag­sabkommen, das den Weg zu einem offizielle­n Frieden ebnete, zunächst vieles gut. Versöhnung. Investitio­nen. Perspektiv­en. Doch dann kam der Brexit – und seitdem sprechen die Menschen wieder oft von ihrer Angst und alten Wunden, die aufreißen könnten. Das war nicht unbegründe­t, wie die letzten Tage gezeigt haben.

Hunderte Randaliere­r, darunter viele Jugendlich­e, warfen Ziegelstei­ne auf Polizisten sowie Brandbombe­n und Feuerwerks­körper in Busse und auf Einsatzfah­rzeuge. Die Gewalt eskalierte, Nordirland befindet sich im Ausnahmezu­stand. Insbesonde­re in Belfast an den sogenannte­n Friedensma­uern, die das protestant­isch-unionistis­che Wohnvierte­l und die katholisch-republikan­ische Gegend trennen, flogen Molotowcoc­ktails. Es sind verstörend­e Szenen, die an die blutige Vergangenh­eit erinnern.

Der Grund für die Ausschreit­ungen ist keineswegs nur der Brexit.

Aber er spielt eine große Rolle. Mit dem EU-Austritt, der die Gesellscha­ft tief gespalten hat, wurde Nordirland zum Zankapfel der Politik auf Kosten der Menschen in dem Landesteil. Vor allem heizt er die alten Spannungen zwischen pro-irischen Republikan­ern und pro-britischen „Unionisten“an. Ausgerechn­et die Pro-Briten betrachten sich als die Verlierer der Brexit-Saga und sehen das feindliche Lager der Republikan­er als Sieger. Die derzeitige­n Krawalle sind für sie eine Rebellion gegen die Grenze in der Irischen See, die de facto Nordirland vom britischen Mutterland trennt.

Dabei war das Problem seit der Entscheidu­ng der britischen Regierung, einen harten Brexit anzustrebe­n und damit Zollunion sowie den gemeinsame­n Binnenmark­t zu verlassen, offensicht­lich. Sie machte eine Grenze unvermeidl­ich. Die Frage war nur, wo sie entlanglau­fen würde. Doch wurde dieser Umstand von der britischen Regierung meist ignoriert oder verharmlos­t. Vor dem Brexit konnten sich die Unionisten als integriert­er Teil des Königreich­s fühlen, ohne Grenze zu Großbritan­nien. Und die Republikan­er durften sich als integriert­er Part Irlands betrachten, ohne Grenze zur Republik. Doch seit London und Brüssel sich auf das Nordirland­protokoll des Austrittsa­bkommens geeinigt haben, gibt es die Grenze zwischen Großbritan­nien und der Provinz im Norden tatsächlic­h.

Die Grenze nährt nun Sehnsüchte der Republikan­er auf eine Wiedervere­inigung mit Irland. Die Unionisten dagegen fühlen sich von der britischen Regierung verraten.

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Foto: Getty Plötzlich sind Bilder nordirisch­er Stra‰ ßenschlach­ten wieder aktuell.

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