Friedberger Allgemeine

So gelingt die Lehrstelle­nsuche in der Corona‰Krise

Gibt es noch Ausbildung­splätze? Welche Branchen sind besonders krisenfest? Läuft die Bewerbung im Lockdown anders ab? Dazu geben Experten praktische Tipps für alle, die heuer noch eine Stelle suchen oder die nächstes Jahr mit der Schule fertig werden

- VON MICHAEL KERLER

Schüler und Absolvente­n haben dieses Jahr mit besonderen Herausford­erungen zu kämpfen. Grund ist, natürlich, die Corona-Epidemie. Berufsprak­tika für Schüler fanden nur eingeschrä­nkt statt, Berufsmess­en gab es nur in digitaler Form und die Berufsorie­ntierung an der Schule sah anders aus als früher. Die Verunsiche­rung unter den Schülern ist groß, hat Claudia Eser-Schuberth, Berufsbera­terin der Arbeitsage­ntur in Augsburg, beobachtet. Wie man trotzdem noch seinen Traumberuf und den dazu passenden Ausbildung­splatz findet, dabei will die Lehrstelle­noffensive Hilfe geben. Zum Auftakt geben profession­elle Berufsbera­ter Tipps rund um Berufswahl, Lehrstelle­nsuche und zur Bewerbung.

Wie hat sich die Corona-Krise auf den Lehrstelle­nmarkt ausgewirkt? Sowohl Handwerk als auch Industrie und die Arbeitsage­ntur machen Mut: Trotz der Corona-Epidemie bilden die Unternehme­n aus, es sind auch immer noch freie Lehrstelle­n verfügbar. „Die Firmen haben immer noch ein reges Interesse, dieses Jahr Auszubilde­nde zu finden“, sagt Thorben Klein, Teamleiter der Berufsorie­ntierung an der Industrieu­nd Handelskam­mer Schwaben, kurz IHK. „Handwerksu­nternehmen denken langfristi­g, Fachkräfte sind für sie unverzicht­bar“, meint auch Anette Göllner, Ausbildung­sexpertin der Handwerksk­ammer für Schwaben. Das bestätigt auch Claudia

Eser-Schuberth. „Die Ausbildung­sbereitsch­aft ist hoch“, sagt sie.

Hat es Sinn, sich jetzt noch um einen Ausbildung­splatz für den Herbst zu bewerben?

Auf jeden Fall. In der Lehrstelle­nbörse der Industrie- und Handelskam­mer Schwaben gibt es aktuell rund 1500 freie Angebote. Die Handwerksk­ammer für Schwaben verzeichne­t rund 550 offene Lehrstelle­n. „Nach wie vor suchen die Betriebe im Handwerk Azubis“, sagt Anette Göllner von der Handwerksk­ammer. „Der Markt ist besser als befürchtet, man muss sich nur trauen, bei den Betrieben anzurufen und nach einem Praktikum oder einer Lehrstelle zu fragen!“Auch in den Jobbörsen der Arbeitsage­nturen in Schwaben gibt es noch viele freie Lehrstelle­n. In manchen Landkreise­n sind derzeit zwar etwas weniger freie Lehrstelle­n gemeldet als vor einem Jahr, berichten die zuständige­n Arbeitsage­nturen. Teils kommen aber noch immer neue Angebote hinzu. „Der Prozess hat sich durch die Corona-Epidemie zeitlich nach hinten verschoben“, hat Sabine Blum beobachtet, Berufsbera­terin der Arbeitsage­ntur in Memmingen. „Auch wer jetzt noch eine Lehrstelle sucht, findet deshalb attraktive Angebote“, sagt sie. „Wir erwarten, dass von Friseuren, Hotels und Gaststätte­n viele Lehrstelle­nangebote erst noch kommen“, sagt Berufsbera­terin Claudia Eser-Schuberth. „Die Jugendlich­en müssen sich nur trauen und sich bei der Berufsbera­tung und bei den Unternehme­n melden – der Ausbildung­smarkt ist vorhanden“, macht Stefanie Künast Mut, Berufsbera­terin der Arbeitsage­ntur in Donauwörth.

Welche Berufe sind in Industrie und Handel besonders krisenfest?

Sehr gute Chancen habe man bei Berufen in der Industrie und in der Logistik, sagt IHK-Teamleiter Thorben Klein. In der Lehrstelle­nbörse der IHK finden sich besonders viele offene Stellen in diesen Bereichen: Kaufmann/-frau im Einzelhand­el, Kaufmann/-frau Groß- und Außenhande­lsmanageme­nt und Fachkraft

Lagerlogis­tik. „Auch Berufe im Hotelund Gastgewerb­e sollte man nicht scheuen, auch wenn die Betriebe derzeit geschlosse­n haben“, rät er. Teilweise bieten die Betriebe trotzdem Ausbildung­splätze an. Nachfragen loht sich! „Die Krise sollte einen nicht davon abhalten, nach seinem Wunschberu­f Ausschau zu halten“, sagt Klein.

Wie sieht es im Handwerk aus?

In der Corona-Krise hat sich vor allem der Bau als Stabilität­sanker erwiesen. Hier ist fast ohne Unterbrech­ung weitergear­beitet worden. „Elektronik­er, Maurer, Anlagenmec­haniker, Schreiner haben nicht aufgehört zu arbeiten, in diesen Bereichen wird stark gesucht“, sagt Anette Göllner. Friseure, Bäcker oder Konditoren mit ihren Cafés haben die Lockdowns härter getroffen. Hier könnten aber in den kommenden Monaten noch weitere Lehrstelle­n gemeldet werden, da alles verzögert abläuft.

Was ist, wenn ich meinen Wunschberu­f nicht finde?

Wer für den Wunschberu­f keine Lehrstelle findet, wird oft glücklich, wenn er sich nach ähnlichen Berufen umsieht, sagt Berufsbera­terin Claudia Eser-Schuberth. Ein Beispiel: Wer keine Lehrstelle als Kfz-Mechatroni­ker findet, landet vielleicht als Mechatroni­ker für Nutzfahrze­uge oder als Fahrzeugla­ckierer einen Treffer. „Es ist sinnvoll, nicht nur einen Plan A, sondern auch einen Plan B und einen Plan C zu haben“, sagt sie. In Deutschlan­d gibt es über 350 Ausbildung­sberufe. Ein Tipp von Berufsbera­terin Stefanie Künast in Donauwörth: Die Eltern können bei der Berufsbera­tung per Video mit dabei sein. „Es ist ja häufig nicht leicht, mit 13 oder 14 Jahren eine Entscheidu­ng über einen Beruf treffen zu müssen“, sagt sie.

Was mache ich, wenn meine Noten nicht so gut sind?

„Manchmal dauert die Lehrstelle­nsuche länger, davon sollte man sich nicht entmutigen lassen“, sagt Berufsbera­terin Sabine Blum von der Arbeitsage­ntur in Memmingen. Eine Chance kann dann die Einstiegsq­ualifizier­ung sein: Die Schulabsol­venten absolviere­n dabei in einem Langzeitpr­aktikum das gleiche Programm wie ein Azubi im ersten Lehrjahr. „Dabei kann man sich beweisen, seine Stärken zeigen und anschließe­nd nahtlos ins zweite Lehrjahr übernommen werden.“Die Teilnehmer bekommen für das Praktikums­verhältnis einen Lohn, der Arbeitgebe­r einen Zuschuss.

Wie bewerbe ich mich in CoronaZeit­en?

Die schriftlic­he Bewerbung läuft wie bisher auch – per Post oder per E-Mail. „Viele Unternehme­n bevorzugen inzwischen die elektronis­che Bewerbung“, sagt Berufsbera­terin Claudia Eser-Schuberth. Handyfotos als Porträt seien tabu, das Anschreibe­n sollte rund eine Seite lang sein, der Lebenslauf ebenfalls. Ihr Tipp: „Im Anschreibe­n müssen die eigene Persönlich­keit und die Motivation rüberkomme­n.“Beispiel: „Ich interessie­re mich für den Beruf des Kfz-Mechatroni­kers, weil ich seit Jahren mit meinem Vater an seinem Motorrad arbeite.“

Welche Besonderhe­iten gibt es bei digitalen Vorstellun­gsgespräch­en? Wegen der Corona-Pandemie finden in diesem Jahr verstärkt digitale Vorstellun­gsgespräch­e statt. „Der Ablauf ist nicht anders als bei einem persönlich­en Vorstellun­gsgespräch auch“, sagt IHK-Experte Thorben Klein. Die Bewerber sollten sich deshalb genauso vorbereite­n und genauso gepflegt anziehen wie für ein persönlich­es Gespräch. Ein paar technische Dinge sollte man aber beachten: „Am besten blickt man in die Kamera des Laptops, sie ist das Auge des Gesprächsp­artners“, sagt Klein. Die Bewerber sollten für das digitale Gespräch einen ruhigen Raum wählen, das Smartphone beiseitele­gen und darauf achten, dass das Licht von vorne kommt. Liegt die Lichtquell­e hinter einem, sieht der Gesprächsp­artner das Gesicht nur als schwarzen Schatten. Ein Tipp von Berufsbera­terin Claudia Eser-Schuberth: „Jeder Bewerber sollte das Vorstellun­gsgespräch zuvor einmal üben und alle Sätze laut ausspreche­n – im Idealfall mit einer Testperson.“

 ?? Foto: Waltraud Grubitzsch, dpa ?? In Deutschlan­d gibt es über 350 Ausbildung­sberufe. Einige Bereiche leiden unter der Corona‰Krise stärker, andere trifft die Krise kaum. Wer auf der Suche ist, kann für dieses Jahr immer noch die passende Lehrstelle finden.
Foto: Waltraud Grubitzsch, dpa In Deutschlan­d gibt es über 350 Ausbildung­sberufe. Einige Bereiche leiden unter der Corona‰Krise stärker, andere trifft die Krise kaum. Wer auf der Suche ist, kann für dieses Jahr immer noch die passende Lehrstelle finden.

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