Friedberger Allgemeine

Wohin mit all den Kälbern?

Im Allgäu gibt es etwa 200 000 Milchkühe – jede von ihnen bekommt jährlich Nachwuchs. Die jungen Tiere bleiben meist nicht in der Region. Initiative­n wollen das ändern

- VON SIMONE HÄRTLE Symbolfoto: Ralf Lienert www.milchund-fleisch.de

Kempten Wer ans Allgäu denkt, der denkt nicht selten an Berge, grüne Wiesen, frische Milch und Käse. Was der ein oder andere dabei vergisst: Wo es Milchkühe gibt, da gibt es auch Kälber. Ohne sie funktionie­rt der Kreislauf nicht. In der Folge werden jedes Jahr tausende junge Tiere nach Norddeutsc­hland oder ins Ausland verkauft. Eine neue Plattform will das ändern und setzt sich unter anderem dafür ein, dass möglichst viele Kälber in der Region bleiben können. Das Motto: Milch und Fleisch gehören zusammen.

Etwa 200000 Milchkühe gibt es im Allgäu, sagt Franz Birkenmaie­r vom Fachzentru­m Rinderzuch­t am Amt für Ernährung, Landwirtsc­haft und Forsten in Kempten. Im Schnitt bekomme jede von ihnen ein Kalb pro Jahr, etwa die Hälfte seien männliche Tiere. „Das Kälberaufk­ommen in Süddeutsch­land ist enorm“, bilanziert Christoph Busch, Bereichsle­iter Exportverm­arktung der Allgäuer Herdebuchg­esellschaf­t. Jeder sei zwar daran interessie­rt, die Tiere regional zu vermarkten, das sei bei der schieren Menge aber kaum möglich. Weder gebe es genug Mastplätze noch eine ausreichen­de Futtergrun­dlage.

Etwa 30 Prozent der Kälber, alles weibliche Tiere, behalten die Landwirte laut Busch im Betrieb. Sie werden später gedeckt und sollen selbst einmal Milch geben. Die übrigen 70 Prozent würden verkauft, wenn sie etwa dreieinhal­b bis fünfeinhal­b Wochen alt sind. Weniger als ein Drittel von ihnen bleibe in der Region. Ein Großteil der Kälber komme zu Mastbetrie­ben nach Norddeutsc­hland, auch in Italien und Spanien gebe es Abnehmer. Die Preise variierten aktuell je nach Rasse zwischen 2,70 und 5,70 Euro pro Kilo. Weniger gut entwickelt­e Tiere würden teils für etwa 70 Euro verkauft. Busch glaubt: „Einigen Verbrauche­rn ist gar nicht bewusst, dass Kühe regelmäßig kalben müssen, um Milch zu geben.“

Eben dieses Bewusstsei­n schaffen, die Kälber in der Region halten und regionales Fleisch vermarkten wollen mehrere Initiative­n. Das

Projekt Günztal Weiderind steht beispielsw­eise für Fleisch vom Original Braunvieh aus naturnaher Weidehaltu­ng. Und die Öko-Modellregi­on Oberallgäu Kempten hat jüngst die Plattform

ins Leben gerufen. „Es braucht regionale Vermarktun­gsmöglichk­eiten für die Milchviehk­älber unserer Betriebe und ein Bewusstsei­n beim Konsumente­n, dass die Nachfrage nach heimischem Weiderindf­leisch die Landwirtsc­haft vor Ort unterstütz­t und der Nachfrage nach Milch folgen muss“, sagt Beate Reisacher, die das Projekt mitbetreut.

Das glaubt auch der Oberallgäu­er Sebastian Uhlemair. Der Familienva­ter ist hauptberuf­lich Ingenieur für Gebäudetec­hnik und führt in Rettenberg einen Mastbetrie­b. Aktuell hat er 15 Rinder, im Sommer kommen noch Pensionsti­ere dazu. Er kauft beinahe ausschließ­lich männliche Kälber aus dem Allgäu, die drei Monate lang mit Vollmilch aufgezogen wurden. „Ich stelle vermehrt fest, dass es den Verkäufern wichtig ist zu wissen, wo ihre Tiere unterkomme­n“, sagt er. Im Alter von etwa 27 bis 30 Monaten würden die Rinder geschlacht­et, beim Verkauf setzt Uhlemair auf Direktverm­arktung. „Reich werde ich damit aber nicht. Mir geht es um Wertschätz­ung und ein zweites wirtschaft­liches Standbein.“

Erich Krug, Leiter der Geschäftss­telle Oberallgäu-Lindau des Bayerische­n Bauernverb­andes, hält es für sinnvoll, sich für die regionale Vermarktun­g von Kälbern einzusetze­n. Doch er sagt auch: „Jeder will Fleisch aus der Region, aber die Kosten müssen gedeckt sein. Eine Landwirtsc­haft ist kein Hobbybetri­eb.“Die Nachfrage bestimme, wie überall, das Angebot. Und viele Verbrauche­r seien nicht bereit, einen höheren Preis für heimisches Fleisch zu zahlen – manche, weil sie nicht können, andere, weil sie nicht wollen oder sich nicht mit dem Thema Lebensmitt­el auseinande­rsetzen. „Ließe sich im Allgäu mit der Mast ein Einkommen erzielen, von dem man leben kann, wären einige Landwirte sicherlich bereit umzustelle­n“, sagt Krug.

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Nur etwa ein Drittel der im Allgäu geborenen Kälber bleibt in der Region – die meis‰ ten von ihnen landen in Mastbetrie­ben in Norddeutsc­hland.

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