So fühlt sich das große Vergessen an
Gesundheit Mit einem 3-D-Film will das Kompetenznetz Demenz Interesse für ein Thema wecken, das trotz seiner Verbreitung immer noch tabuisiert wird. Unter den Akteuren ist auch ein bekanntes Gesicht
Die Kinder und Schwiegerkinder hatten es so gut gemeint, als sie den 80. Geburtstag ihres Vaters mit einem großen Fest feiern wollten. Doch der Senior kann Kaffee, Kuchen und Sekt gar nicht genießen. Die Gespräche rauschen an ihm vorbei, verschüchtert betrachtet er den Trubel und äußert den Wunsch, nach Hause gehen zu wollen.
Die missglückte Geburtstagsparty hat nicht wirklich stattgefunden, sondern ist in einem zweiminütigen Clip zu sehen. Die Augsburger Demenzpaten haben den Beitrag als 3-D-Film gedreht. Wer sich eine Virtual-Reality-Brille aufsetzt, erlebt den Film so, als wäre er (oder sie) in die Rolle des Seniors geschlüpft. Der Betrachter wird immer ängstlicher und verwirrter. Die Bilder um ihn herum verschwimmen – so fühlt sich das große Vergessen an.
Den Gedanken, Altersverwirrtheit in einen Film zu packen und diesen bei Messen oder Infoständen zu präsentieren, trug das Kompetenznetzwerk Demenz schon länger mit sich herum. „Dann kam uns die Idee, mithilfe der neuen 3-D-Technik die Neugier und damit ein besseres Verständnis für das Thema zu wecken“, sagt Projektleiterin Claudia Zerbe. Denn obwohl in Deutschland laut Schätzung rund 1,6 Millionen Menschen an einer Form der Demenz erkrankt seien, wüssten noch immer erschreckend viele Bürger nichts über das Krankheitsbild und könnten sich nicht annähernd in die Situation der Betroffenen hineinversetzen.
Für Zerbe war es ein Glücksfall, aus dem Kreis ihrer ehrenamtlichen Demenzpaten ein Kamera- und Schauspiel-Team für den Film rekrutieren zu können. Die Dreharbeiten fanden, nachdem alle einen Corona-Test hinter sich gebracht hatten, in der Wohnung eines Teilnehmers statt. In die Rolle des Sohns schlüpfte Philipp von Mirbach, der 30 Jahre lang als Schauspieler – auch am Theater Augsburg – auf der Bühne stand. Heute bewegt sich der 59-Jährige nur noch hin und wieder für Filmdokus vor der Kamera. Hauptberuflich hat er umgesattelt und ist als Sozialbetreuer in Einrichtungen sowie als Heilpraktiker, Berater und Coach in seiner eigenen Praxis tätig. Zudem engagiert sich von Mirbach ehrenamtlich bei der Alzheimer-Gesellschaft und eben den Augsburger Demenzpaten. Hautnah mit dem Thema kam der gebürtige Hamburger in Berührung, als seine Mutter an Demenz erkrankte und er vieles für sie regeln musste. Berührt hätten ihn alte Menschen und ihre Geschichten aber schon immer, sagt er.
Zurück zum Filmprojekt: Spontan ausleihen können sich Interessierte die Virtual-Reality-Brille nicht. Möglich ist es jedoch, sie im Rahmen von Vorträgen, Workshops und Projekttagen anzufordern. Momentan liegen diese Aktivitäten freilich auf Eis. Das Kompetenznetz Demenz will seine (kostenlose) Öffentlichkeitsarbeit wieder aufnehmen, wenn es Corona zulässt. Dazu zählt laut Zerbe die Begleitung von Menschen, die beruflich oder privat mit dementen Menschen zu tun haben. Ein besonderes Anliegen ist ihr auch die Arbeit an Schulen, um Kinder und Jugendliche mit der Thematik vertraut zu machen. Eine wichtige Rolle innerhalb des Netzwerks kommt nach den Worten der Projektleiterin den Demenzpaten zu, die sorgfältig für ihre ehrenamtliche Aufgabe ausgebildet würden. „Sie brauchen Selbstbewusstsein und ein gewisses Auftreten.“
Dass ein Mann wie Philipp von Mirbach als gelernter Schauspieler keine Scheu hat, auf andere Menschen zuzugehen, nimmt man ihm gerne ab. Gleichwohl gibt der Familienvater zu, sich persönlich trotz seines Wissens vor einer Demenzerkrankung zu fürchten. Claudia Zerbe hingegen gibt sich gelassen. „Ich habe so viele demente Menschen kennengelernt, die mit sich zufrieden waren. Das Problem haben die anderen.“Altersverwirrtheit lässt sich ihrer Kenntnis nach zwar nicht verhindern. Wer jedoch körperlich und geistig in Bewegung bleibe, könne der Krankheit vorbeugen oder sie zumindest in Schach halten.
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Internet Ein Kontakt zum Kompe tenznetz Demenz ist möglich unter: c.zerbe@sicaugsburg.de.