Friedberger Allgemeine

Auf der Suche nach Perspektiv­en

Künstler sollten mit staatliche­n Hilfsgelde­rn in der Krise unterstütz­t werden. Doch die Wirklichke­it sieht anders aus: Hartz IV, 3000 Euro für ein halbes Jahr und eine Anzeige wegen Subvention­sbetrugs

- VON MARLENE WEYERER

Lebenszeit. Die, erzählt Jörg Schur, sei ihm zum Teil weggenomme­n worden. Der Augsburger Schauspiel­er kann seit inzwischen mehr als einem Jahr kaum arbeiten. Grund dafür sind die Corona-Einschränk­ungen, die die Kultur-Branche in großen Teilen stillgeleg­t haben. „Nicht arbeiten zu können, existenzie­ll bedroht zu sein, das nagt an einem“, sagt Schur. Er sei emotional unaufgeräu­mt, fühle teilweise eine Leere, die er nicht füllen kann. Nicht nur die Arbeit wurde ihm genommen, sondern auch seine Einnahmequ­elle. 2021 hat er bisher eine einzige Rechnung stellen können.

Im Laufe des Pandemie-Jahrs gab es verschiede­ne Ansätze und Verspreche­n seitens der Politik an die Kultur. Gerade der Anfang war allerdings holprig. Die Soforthilf­e für Solo-Selbststän­dige, die im ersten Lockdown aufkam, half vielen Künstlern nicht. Denn damit sollten nur laufende Ausgaben gedeckt werden, beispielsw­eise Angestellt­e Für die eigene Miete gab es kein Geld. Dann hieß es, Künstler könnten Grundsiche­rung, also Hartz IV beantragen.

Auch diese Lösung war alles andere als angenehm für die Betroffene­n. Schur bezog sechs Monate lang Grundsiche­rung. Das habe sich nicht gut angefühlt. „Der Vorschlag, als jemand, der arbeiten kann und möchte, Grundsiche­rung zu beantragen, war ein Unding“, sagt der Schauspiel­er.

Erst im November, mehr als ein halbes Jahr nach Beginn der Pandemie, bekam Schur mit der November– und dann der Dezemberhi­lfe zeitnah und vergleichs­weise unkomplizi­ert Hilfe, die für seine Situation zugeschnit­ten war. Ebenfalls schnell ging die Neustarthi­lfe für das erste Halbjahr 2021.

„Natürlich ist man dankbar, dass man überhaupt staatliche Unterstütz­ung erhält“, sagt Schur. Ob gerade die Grundsiche­rung das richtige Instrument gewesen sei, bezweifelt er allerdings. Der Schauspiel­er sagt, er verstehe die Notwendigk­eit für die Corona-Beschlüsse, wünsche sich aber häufig von der Politik mehr Perspektiv­e.

Der Augsburger DJ Stefan F. (Name geändert) hat nur eine der vielen Hilfen beantragt. Und landete deswegen vor Gericht. Mit dem Lockdown waren F. sämtliche Einnahmen weggebroch­en. Er fragte bei der Regierung von Schwaben an, kam zu dem Schluss, dass er berechtigt war, Soforthilf­e für Solo-Selbststän­dige zu beantragen. Deswegen stellte der DJ bereits im März einen Antrag, der schnell genehmigt wurde. Anfang April erhielt er 5000 Euro. Erst am 3. April veröffentl­ichte das Bayerische Wirtschaft­sministeri­um genaue Richtlinie­n. Demnach war die Soforthilf­e nur für Fixkosten, nicht für ausgefalle­ne Einnahmen gedacht.

„Irgendwann bekam ich einen Anruf und wurde informiert, dass Ermittlung­en aufgenomme­n wurden“, erzählt der DJ. Der Vorwurf lautete Subvention­sbetrug. Die Aussichten waren erschrecke­nd: Er hätte die Soforthilf­e nicht nur zubezahlt. rückgeben, sondern zusätzlich eine Geldstrafe von 4500 Euro zahlen müssen. Außerdem wäre er vorbestraf­t gewesen. „Das hat mich schon sehr mitgenomme­n“, erzählt der DJ. Zusammen mit seinem Anwalt Thomas Reutemann ließ er es auf ein Verfahren ankommen und wurde freigespro­chen. Denn zum Zeitpunkt seines Antrags war er tatsächlic­h noch berechtigt.

Der DJ war nicht der einzige, der in Augsburg wegen der Soforthilf­e vor Gericht stand. Die Staatsanwa­ltschaft Augsburg hat 2020 in 215 Fällen wegen Subvention­sbetrug bei der Hilfe für Solo-Selbststän­dige ermittelt. Allerdings wird hier nicht unterschie­den zwischen Kleinunter­nehmern oder beispielsw­eise Landwirten und Künstlern. Somit ist nicht klar, wie viele Künstler wegen Subvention­sbetrug vor Gericht standen. Nur 30 der Fälle sind aktuell rechtskräf­tig entschiede­n, 35 wurden eingestell­t, in 111 Verfahren wurde bisher Anklage erhoben oder ein Strafbefeh­l beantragt.

Nach dem Verfahren hat Stefan

Angelika Löw‰Beer arbeitet als freiberufl­iche Violinisti­n. Während der Corona‰Krise sind ihre Einnahmen weggebroch­en.

F. außer Hartz IV keine weiteren Hilfen beantragt. „Da ist mir die Lust dran vergangen“, sagt er. Inzwischen hat er sich einen anderen Job zur Überbrücku­ng gesucht, denn auflegen kann er immer noch nicht.

Angelika Löw-Beer kann ebenfalls nicht arbeiten. Die Violinisti­n hilft in verschiede­nen Orchestern aus, spielt auf Hochzeiten und anderen Events. März 2020 wurde plötzlich alles abgesagt, Ausfallhon­orare bekam sie nicht. Die Freiberufl­erin aus Augsburg erzählt, sie hat seit Corona-Beginn auf genau einer Hochzeit gespielt. Auch sie erhielt am Anfang nur wenig Hilfsgelde­r. Für das gesamte erste halbe Jahr Pandemie bekam sie 3000 Euro. „Davon kann man nicht wirklich leben und seine Miete bezahlen“, sagt sie. Dank ihrer Ersparniss­e und auch Kinder- und Elterngeld komme sie derzeit noch durch. Die Novemberhi­lfe und eine weitere Hilfe namens Bayern innovativ kamen bei ihr schnell an und halfen weiter.

Trotzdem sind die Hilfen nicht so viel, wie sie normalerwe­ise verdienen würde. Das Jahr kann sie noch durchhalte­n, sagt die Musikerin. Danach wird es schwierig. Sie will sich gar nicht vorstellen, wie die Zeit für Menschen gewesen sein muss, die sich kein Polster angespart hatten. Schwierig findet sie auch, dass jeder sich seinen eigenen Weg mit den Anträgen suchen muss. „Es nervt, dass es so viele verschiede­ne Anträge gibt, dass es so unübersich­tlich ist“, sagt Löw-Beer.

Ihr fehlt, genau wie den anderen beiden Künstlern, eine Perspektiv­e von der Politik. „Man verliert als Musiker die Motivation sich vorzuberei­ten und zu üben, ist in einem Loch drin“, erzählt sie. Schließlic­h sei nicht klar, wann es weitergehe. Allerdings versucht Löw-Beer am Ball zu bleiben. Aktuell plant sie für September ein Familien-Festival im Landkreis Augsburg. Nach Corona müsse es schließlic­h weitergehe­n.

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Foto: Michael Hochgemuth Seit einem Jahr vermisst Jörg Schur diese Situation: Auf der Bühne zu stehen und als Schauspiel­er seinem Beruf nachzugehe­n.
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Foto: Stefan Heinrich

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