Versteht das noch jemand?
Seit Langem schimpfen die Menschen, dass Politik und Alltagsleben (oder was davon übrig ist) in der Pandemie weit auseinanderklaffen. Jetzt ist die Situation im Landkreis Aichach-Friedberg vollends paradox. Einerseits werden die Corona-Regeln gelockert, andererseits wird die dramatische Lage auf den Intensivstationen der Kliniken an der Paar publik. Das kann doch nicht sein!
Doch, kann es. Die Notbremse ist ab Sonntag aufgehoben, nachdem die Sieben-Tage-Inzidenz drei Tage in Folge unter 100 lag. So sieht es die Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vor. Dass die Entwicklung höchstwahrscheinlich an der Test- und Laborsituation während der Osterfeiertage lag, Montag aber die Schule wieder losgeht – egal. Dass Dr. Christian Stoll als Pandemiebeauftragter der Kliniken an der Paar vor einem Kollaps der Intensivstationen warnt – ebenfalls egal.
Solche Situationen hat die „große Politik“offenbar nicht vorgesehen. Da passt es gut ins traurige Bild, dass die Ministerpräsidentenkonferenz abgesagt wurde und Gesundheitsminister Jens Spahn erst einmal der Einzige war, der auf die erschreckende Situation der Kliniken hinwies. Die zeigt sich auch im Wittelsbacher Land, wo kein Intensivbett mehr frei und das Personal am Ende ist. Womöglich sind die Politikerinnen und Politiker Corona-müde – die Bürgerinnen und Bürger sind es umso mehr.
Wer kann sich schon noch die Regeln, die in Aichach-Friedberg ab Sonntag (Lockerung der Notbremse) beziehungsweise Montag (bayernweit neue Regeln) gelten, merken? Dass sich Regeln alle paar Tage ändern, steigert nicht die Motivation, sie einzuhalten. Auch der Geschäftswelt in einem Landkreis wie Aichach-Friedberg, der um die 100er-Marke pendelt, ist mit diesem Wirrwarr kein Gefallen getan.
Selbst ein Mediziner wie Stoll hat Verständnis für die Corona-Müdigkeit der Menschen. Dennoch sind gerade seine Aussagen es, die trotz allem zum Einhalten der Beschränkungen, zum Testen und Impfen motivieren. Die dramatischen Schilderungen von relativ jungen Patienten, die mit dem Tod ringen, von Pflegekräften, die weit mehr geben, als sie eigentlich noch leisten können, sind eindringlicher als alle Floskeln von Politikern. Man sollte nicht müde werden, sich diese Bilder vor Augen zu führen.