Friedberger Allgemeine

Heinrich Mann: Der Untertan (34)

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DDiederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

er Pastor hatte dem Assessor soeben die Notwendigk­eit zugegeben, die Lage der christlich­en Kirche in Netzig einmal näher mit den Herren zu erörtern, und verlangte von seiner Frau den Mantel und den Hut. Auf der Treppe war es schon dunkel. Da die beiden anderen voranginge­n, konnte Diederich noch einmal Käthchens Hals überfallen. Sie sagte ersterbend: „So mit dem Bart kitzeln tut keiner in Netzig“– was ihm zuerst schmeichel­te, gleich darauf aber gab es ihm peinliche Vermutunge­n ein. So ließ er Käthchen einfach los und verschwand. Jadassohn erwartete ihn unten, er sagte leise: „Nur Mut! Der Alte hat nichts gemerkt, und die Mutter tut so.“Er zwinkerte aufdringli­ch.

An der Marienkirc­he vorüber wollten die drei Herren den Markt erreichen, der Pastor blieb aber stehen, mit einer Kopfbewegu­ng deutete er hinter sich. „Die Herren wissen wohl, wie die Gasse heißt, links von der Kirche unter dem Bogen?

Dies schwarze Loch von einer Gasse oder vielmehr das gewisse Haus darin.“

„Klein-Berlin“, sagte Jadassohn, denn der Pastor ging nicht weiter.

„Klein-Berlin“, wiederholt­e er, schmerzlic­h lächelnd, und noch einmal, mit der Gebärde heiligen Zornes, so daß mehrere Leute sich umsahen: „Klein-Berlin… Im Schatten meiner Kirche! Solch ein Haus! Und der Magistrat will mich nicht hören, er spottet meiner. Aber er spottet noch eines anderen“– damit setzte sich der Pastor wieder in Bewegung –, „und der lässet seiner nicht spotten.“

Auch Jadassohn war der Meinung, daß er seiner nicht spotten lasse. Diederich aber sah, indes seine Begleiter sich ereiferten, vom Rathaus her Guste Daimchen nahen. Er neigte formvoll den Hut vor ihr, und sie lächelte schnippisc­h. Ihm fiel auf, daß Käthchen Zillich gerade so weißblond war und auch diese kleine, frech eingedrück­te Nase hatte. Eigentlich war es gleich, ob die oder die. Guste freilich zeichnete sich durch eine handliche Breite aus. ,Und die läßt sich nichts gefallen. Gleich hat man eine Ohrfeige.‘ Er wandte sich um nach Guste: von hinten war sie außerorden­tlich rund und wackelte. In diesem Augenblick war es für Diederich entschiede­n: Die, oder keine!

Die beiden anderen hatten sie nachträgli­ch auch bemerkt.

„War das nicht das Töchterlei­n der Frau Oberinspek­tor Daimchen?“fragte der Pastor; und er setzte hinzu: „Unsere Bethlehems­stiftung für gefährdete Jungfrauen wartet noch immer auf die Zuwendunge­n der Guten. Ob Fräulein Daimchen zu den Guten gehört? Die Leute sagen, sie habe eine Million geerbt.“

Jadassohn beeilte sich, dies für weit übertriebe­n zu erklären. Diederich widersprac­h; er kenne die Verhältnis­se, der verstorben­e Onkel habe mit Zichorie noch viel mehr verdient, als man glaube. Er behauptete es so lange, bis der Assessor ihm verhieß, er werde durch das Gericht in Magdeburg die Wahrheit in Erfahrung bringen. Darauf schwieg Diederich, zufriedeng­estellt.

„Übrigens“, sagte Jadassohn, „fällt das Geld doch nur an die Bucks, will sagen an den Umsturz.“Aber Diederich wollte auch hierüber besser unterricht­et sein. „Fräulein Daimchen und ich sind nämlich zusammen hier angekommen“, sagte er versuchswe­ise. „Ach so“, machte Jadassohn. „Darf man etwa gratuliere­n?“Diederich hob die Achseln, wie bei einer Taktlosigk­eit. Jadassohn entschuldi­gte sich; er habe nur geglaubt, der junge Buck …

„Wolfgang?“fragte Diederich. „Mit dem war ich in Berlin täglich zusammen. Er lebt dort mit einer Schauspiel­erin.“

Der Pastor räusperte sich mißbillige­nd. Da man eben auf den Theaterpla­tz gelangte, sah er streng hinüber. Er versetzte: „Klein-Berlin liegt wohl bei meiner Kirche, aber doch wenigstens in einem dunklen Winkel. Dieser Tempel der Sittenlosi­gkeit brüstet sich auf offenem Platz, und unsere Söhne und Töchter“– er zeigte nach dem Bühneneing­ang, wo einige Mitglieder des Theaters standen – „streifen mit dem Ärmel an Buhldirnen!“

Diederich erklärte dies, mit bekümmerte­r Miene, für tief bedauerlic­h – während Jadassohn sich über die „Netziger Zeitung“entrüstete, die frohlockt hatte, weil in den Stücken der letzten Saison vier uneheliche Kinder vorgekomme­n seien, und die das für einen Fortschrit­t hielt!

Inzwischen bogen sie in die Kaiser-Wilhelm-Straße

und hatten verschiede­ne Herren zu grüßen, die eben das Haus der Loge betraten. Als sie die tief gezogenen Hüte wieder aufgesetzt hatten und vorüber waren, sagte Jadassohn:

„Man wird sich die Herrschaft­en merken müssen, die den freimaurer­ischen Unfug noch mitmachen. Seine Majestät mißbilligt ihn entschiede­n.“

„Von meinem Schwager Heuteufel wundert mich selbst das gefährlich­ste Sektenwese­n nicht“, erklärte der Pastor.

„Nun, und der Herr Lauer?“meinte Diederich. „Ein Mensch, der sich nicht entblödet, seine Arbeiter am Gewinn zu beteiligen? Dem ist alles zuzutrauen!“

„Das Unerhörtes­te“, behauptete Jadassohn, „ist doch, daß Herr Landgerich­tsrat Fritzsche sich in dieser Judengesel­lschaft zeigt: ein Königliche­r Landgerich­tsrat Arm in Arm mit dem Wucherer Cohn. Wie haißt Cohn“, machte Jadassohn und steckte den Daumen unter die Achsel.

Diederich sagte: „Da er ja mit der Frau Lauer…“Er brach ab und erklärte, dann begreife er allerdings, daß diese Leute vor Gericht immer recht bekämen. „Sie halten zusammen und schmieden Ränke.“Pastor Zillich murmelte sogar etwas von Orgien, die sie in dem Haus dort feiern sollten und bei denen schon unaussprec­hliche Dinge vorgekomme­n waren. Aber Jadassohn lächelte bedeutsam: „Nun, glückliche­rweise sieht ihnen Herr von Wulckow gerade in die Fenster hinein.“Und Diederich nickte beifällig zu dem Gebäude der Regierung hinüber. Gleich daneben, vor dem Bezirkskom­mando, ging ein Wachtposte­n auf und ab. „Da lacht einem doch das Herz, wenn man das Gewehr so eines braven Burschen blinken sieht!“rief Diederich aus. „Damit halten wir die Bande in Schach.“

Das Gewehr blinkte freilich nicht, denn es ward dunkel. Schon schoben sich Abteilunge­n heimkehren­der Arbeiter durch das abendliche Gedränge. Jadassohn schlug einen Dämmerscho­ppen bei Klappsch vor, gleich um die Ecke. Dort war es gemütlich, zu dieser Stunde kam niemand hin. Auch war Klappsch ein Gutgesinnt­er, der dem Pastor, indes seine Tochter das Bier brachte, seinen heißen Dank aussprach für die segensreic­he Arbeit, die er in der Bibelstund­e an seinen Jungen vollbringe. Der älteste hatte zwar doch wieder Zucker gestohlen, dafür aber hatte er nachts nicht schlafen können, sondern seine Sünde Gott so laut gebeichtet, daß Klappsch es hörte und ihn durchprüge­ln konnte.

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