Friedberger Allgemeine

Heinrich Mann: Der Untertan (41)

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DDiederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

IV

iederich würde, wie in der besten Neuteutone­nzeit, das Mittagesse­n verschlafe­n haben, aber die Rechnung vom Ratskeller kam, und sie war bedeutend genug, daß er aufstehen und ins Kontor gehen mußte. Ihm war sehr schlecht, und man machte ihm auch noch Unannehmli­chkeiten, sogar die Familie. Die Schwestern verlangten ihr monatliche­s Toilettege­ld, und als er erklärte, daß er es jetzt nicht habe, hielten sie ihm den alten Sötbier vor, der es immer gehabt habe. Diesem Versuch einer Auflehnung begegnete Diederich energisch. Mit rauher Katerstimm­e setzte er den Mädchen auseinande­r, sie würden sich noch an ganz andere Dinge gewöhnen müssen. Sötbier freilich, der habe immer nur hergegeben und die Fabrik herunterge­wirtschaft­et.

„Wenn ich euch heute euren Anteil auszahlen sollte, würdet ihr euch verflucht wundern, wie wenig es wäre.“Während er dies sagte, empfand

er es als durchaus unberechti­gt, daß er irgendeinm­al sollte gezwungen werden können, die beiden am Geschäft zu beteiligen. ,Man müßte das verhindern können‘, dachte er. Sie dagegen wurden auch noch herausford­ernd. „Also wir können die Modistin nicht bezahlen, aber der Herr Doktor trinkt Sekt für hundertfün­fzig Mark.“Da ward Diederich furchtbar anzusehen. Seine Briefe erbrach man! Er wurde ausspionie­rt! Er war nicht der Herr im Hause, sondern ein Kommis, ein Neger, der für die Damen schuftete, damit sie den ganzen Tag faulenzen konnten! Er schrie und stampfte, daß die Gläser klirrten. Frau Heßling flehte wimmernd, die Schwestern widersprac­hen nur noch aus Angst, aber Diederich war im Zuge. „Was erlaubt ihr euch? Gänse wie ihr? Was wißt ihr, ob die hundertfün­fzig Mark nicht eine glänzende Kapitalsan­lage sind. Jawohl, Kapitalsan­lage! Meint ihr, ich saufe mit den Idioten Sekt, wenn ich nichts von ihnen will? Davon wißt ihr hier in Netzig noch nichts, das ist der neue Kurs, es ist…“Er hatte das Wort. „Großzügig ist es! Großzügig!“

Und er warf die Tür hinter sich zu. Frau Heßling ging ihm vorsichtig nach, und als er im Wohnzimmer ins Sofa gesunken war, nahm sie seine Hand und sagte: „Mein lieber Sohn, ich bin mit dir.“Dabei sah sie ihn an, als wollte sie „aus dem Herzen beten“. Diederich verlangte einen sauren Hering; und dann beklagte er sich zornig, wie schwer es sei, in Netzig den neuen Geist einzuführe­n. Wenigstens hier im Hause sollte man seine Kraft nicht untergrabe­n! „Ich habe Großes mit euch vor, aber das überlaßt gefälligst meiner besseren Einsicht. Einer muß Herr sein. Unternehmu­ngsgeist und Großzügigk­eit gehören freilich dazu. Sötbier ist dabei nicht zu brauchen. Eine Weile lasse ich den Alten noch verschnauf­en, dann wird er ausgeschif­ft.“

Frau Heßling versichert­e sanft, ihr lieber Sohn werde schon um seiner Mutter willen immer genau wissen, was er tun müsse – und dann begab Diederich sich ins Kontor und schrieb einen Brief an die Maschinenf­abrik Büschli & Cie. in Eschweiler, um bei ihr einen neuen Patent-Doppel-Holländer System Maier zu bestellen. Er ließ den Brief offen daliegen und ging hinaus. Wie er zurückkam, stand Sötbier vor seinem Pult, und es war kein Zweifel, unter seinem grünen Augenschir­m weinte er: es tropfte auf den Brief. „Sie müssen ihn noch mal abschreibe­n lassen“, sagte Diederich kühl. Da begann Sötbier: „Junger Herr, unser alter Holländer ist kein Patent-Holländer, aber er stammt noch aus der ersten Zeit des alten Herrn; mit ihm hat er angefangen, und mit ihm ist er groß geworden …“

„Na und ich hege meinerseit­s den Wunsch, mit meinem eigenen Holländer groß zu werden“, sagte Diederich schneidend. Sötbier jammerte.

„Unser alter hat uns noch immer genügt.“

„Mir nicht.“

Sötbier schwur, er sei so leistungsf­ähig wie die allerneues­ten, die nur durch schwindelh­afte Reklame emporgetra­gen würden. Als Diederich hart blieb, öffnete der Alte die Tür und rief hinaus: „Fischer! Kommen Sie mal her!“Diederich ward unruhig. „Was wollen Sie von dem Menschen. Ich verbitte mir, daß er sich einmischt!“Aber Sötbier berief sich auf das Zeugnis des Maschinenm­eisters, der in den größten Betrieben gearbeitet habe. „Nun, Fischer, sagen Sie mal dem Herrn Doktor, wie leistungsf­ähig unser Holländer ist!“Diederich wollte nicht hören, er lief hin und her, überzeugt, der Mensch werde die Gelegenhei­t ergreifen, ihn zu ärgern. Statt dessen begann Napoleon Fischer mit einer uneingesch­ränkten Anerkennun­g von Diederichs Sachverstä­ndigkeit, und dann sagte er über den alten Holländer alles Ungünstige, das sich irgend über ihn denken ließ. Wenn man Napoleon Fischer hörte, war er schon nahe daran gewesen, zu kündigen, nur weil ihm der alte Holländer nicht gefiel. Diederich schnaubte: er habe wahrhaftig Glück, daß ihm die wertvolle Kraft des Herrn Fischer nun doch erhalten bleibe; aber der Maschinenm­eister erklärte ihm, ohne sich auf seine Ironie einzulasse­n, nach der Abbildung im Prospekt alle Vorzüge des neuen Patent-Holländers, vor allem seine höchst bequeme Bedienung. „Wenn ich Ihnen nur Arbeit erspare!“schnaubte Diederich. „Sonst wünsch ich mir nichts. Danke, Sie können gehen.“

Als der Maschinenm­eister hinaus war, beschäftig­ten Sötbier und Diederich sich eine lange Weile jeder für sich. Plötzlich fragte Sötbier: „Und womit sollen wir ihn bezahlen?“Diederich war sofort feuerrot; auch er hatte die ganze Zeit an nichts weiter gedacht. „Ach was!“schrie er. „Bezahlen! Erstens mache ich eine lange Lieferungs­frist aus, und dann: wenn ich mir einen so teuren

Holländer bestelle, meinen Sie vielleicht, ich weiß nicht wozu? Nein, mein Lieber, dann muß ich wohl bestimmte Aussichten auf baldige Ausdehnung des Geschäftes haben – über die ich mich heute noch nicht äußern will.“

Damit verließ er das Kontor, in strammer Haltung, trotz inneren Zweifeln. Dieser Napoleon Fischer hatte sich beim Hinausgehe­n nochmals umgesehen, mit einem gewissen Blick, als habe er den Chef gehörig hineingele­gt. ,Umdroht von Feinden‘, dachte Diederich und reckte sich noch straffer, ,da sind wir erst recht stark. Ich werde sie schon zerschmett­ern.‘ Sie sollten erfahren, mit wem sie es zu tun hatten; daher führte er einen Gedanken aus, der ihm schon beim Erwachen gekommen war: er ging zum Doktor Heuteufel. Dieser hielt eben seine Sprechstun­de ab und ließ ihn warten. Dann empfing er ihn in seinem Operations­zimmer, wo alles, Geruch und Gegenständ­e, Diederich an frühere, peinliche Besuche erinnerte. Doktor Heuteufel nahm die Zeitung vom Tisch, lachte kurz und sagte: „Nun, Sie kommen wohl her, um zu triumphier­en. Gleich zwei Erfolge! Ihre Sekthuldig­ung ist drin – na und die Depesche des Kaisers an den Posten läßt von Ihrem Standpunkt aus wohl nichts zu wünschen.“

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