Friedberger Allgemeine

15 Todesfälle – und weiter offene Fragen

Die Tochter eines Verstorben­en wirft Verantwort­lichen Vertuschun­g vor, nachdem der Gesundheit­sminister die Zahl der Toten am Friedberge­r Krankenhau­s nach oben korrigiert hat. Was das Ministeriu­m zu der Diskrepanz sagt

- VON UTE KROGULL

Friedberg Zwei Tote, vier Tote, sieben Tote, 15 Tote: Die Zahl der Opfer des Corona-Ausbruchs am Krankenhau­s Friedberg scheint immer mehr zu steigen. Die aktuelle - und höchste - Zahl stammt vom bayerische­n Gesundheit­sminister Klaus Holetschek, die beiden niedrigste­n nannten - zuerst im Januar, dann vergangene Woche - die Kliniken an der Paar. Diese Diskrepanz warf Fragen auf - sei es für die Gesundheit­spolitiker­in Christina Haubrich oder die Tochter eines Verstorben­en, die den Verantwort­lichen Vertuschun­g vorwarf. Beide drängen auf Aufklärung. Das Ministeriu­m gab auf Nachfrage unserer Redaktion mittlerwei­le eine Erläuterun­g zu der Zahl 15. Doch kann vollständi­ge Aufklärung nur die Staatsanwa­ltschaft leisten?

Während Menschen am Sonntag deutschlan­dweit der Corona-Todesopfer gedachten, wird im Kreis Aichach-Friedberg weiter um Aufklärung gerungen. 23 Fragen hatte die Grünen-Landtagsab­geordnete Haubrich in einer Anfrage an die Staatsregi­erung gestellt, über sieben Seiten lang ist das Antwortsch­reiben des Gesundheit­sministeri­ums. Vor allem ein Absatz elektrisie­rte. Darin heißt es, binnen zwei Monaten seien fast 120 Menschen positiv getestet worden, darunter über 50 Patienten. 15 seien gestorben.

Das Ministeriu­m korrigiert­e so kursierend­e Zahlen von zwei (Klinikanga­be) bzw. sieben Todesfälle­n (interne Informatio­nen des Landesamte­s für Gesundheit, die nach außen drangen), erheblich nach oben. Holetschek müsse klar gewesen sein, dass diese Nachricht „Sprengstof­f“sei, sagt Haubrich. Und zwar Sprengstof­f, der seinem Parteifreu­nd, Landrat Klaus Metzger, einen Schuss vor den Bug versetzt.

Der Landrat hatte nur einen Tag zuvor dargelegt, dass die Öffentlich­keit noch lange auf neue Fakten werde warten müssen. Der Untersuchu­ngsbericht, der unter Mitwirkung des Landesamte­s für Gesundheit (LGL), der Kliniken an der Paar, des Gesundheit­samtes Aichach-Friedberg, des Landratsam­tes und der Regierung von Schwaben erstellt wird, geht zuerst an die

Staatsanwa­ltschaft. Diese ermittelt, nachdem die Tochter eines 89-Jährigen Anzeige wegen fahrlässig­er Tötung erstattet hat.

Das parlamenta­rische Fragerecht sei ein hohes Gut, heißt es dazu von Seiten des Ministeriu­ms für Gesundheit und Pflege. Auf Nachfrage unserer Redaktion erläutert eine Sprecherin, Grundlage von Holetschek­s Aussage sei der Untersuchu­ngsbericht des LGL vom 2. März. Bis dahin seien 15 der 54 positiv getesteten Patienten gestorben. Jedoch sei Anfang März nicht bekannt gewesen, „ob bei den 15 Verstorben­en nosokomial­e Infektione­n (sogenannte Krankenhau­sinfektion­en) vorlagen bzw. ob die Patienten infolge der Infektion verstorben sind oder deren Ableben trotz festgestel­lter Infektion eine andere Ursache hatte“. Denn die Auswertung der Infektions­ketten sei am 2. März noch nicht abgeschlos­sen gewesen.

Am 3. März hatten die Kliniken an der Paar bei einer Pressekonf­erenz ihre Erkenntnis­se zu Infektions­wegen dargelegt. Dabei nannten die Verantwort­lichen die Zahl von 15 nosokomial­en Infektione­n. Angaben zu Todeszahle­n verweigert­en sie zu diesem Zeitpunkt.

Die Angehörige erhofft sich echte Klarheit von den Nachforsch­ungen der Staatsanwa­ltschaft. „Da kann sich dann keiner mehr wegducken, egal ob Kliniken oder Ministeriu­m.“Denn bislang hätten Klinik-Chef Dr. Hubert Mayer, Landrat Metzger sowie Gesundheit­samtsleite­rin Dr. Kirsten Höper „immer nur das zugegeben, was an die Öffentlich­keit gedrungen war“. Alles Weitere habe man zu vertuschen versucht; auch das Ministeriu­m, an das sie sich bereits im Januar schriftlic­h gewandt hatte, habe zu spät reagiert.

Ihr seien neben ihrem Vater und seinem Zimmergeno­ssen, der ihn infiziert habe, vier weitere Tote bekannt. Angehörige der Verstorben­en hätten sich an sie gewandt, nachdem sie das Thema unter anderem in unserer Zeitung öffentlich gemacht hatte. „Über diesen Schritt bin ich sehr froh“, sagt sie. Denn ihr gehe es um Transparen­z.

Diese fordert auch Haubrich. Sie zeigt sich verärgert über die Antwort des Gesundheit­sministers auf ihre Anfrage. Viel sei überhaupt nicht oder nicht eindeutig beantworte­t worden, darunter zentrale Aspekte. „Gibt es Nachweise darüber, dass die zuständige­n Behörden bzw. Ämter ihrer Aufgabe und Verantwort­ung nicht gerecht geworden sind?“, hatte sie unter anderem gefragt, außerdem: „Welche Versäumnis­se wurden in der Informatio­nskette gemacht, dass der Vorfall erst durch Angehörige von verstorben­en Patienten und die Medien bekannt wurde?“Antworten suchen Leser des Schreibens, das unserer Redaktion vorliegt, vergeblich.

Sie überlege daher nachzuhake­n, kündigte Haubrich im Gespräch mit unserer Redaktion an. Laut Ministeriu­m hatte das Krankenhau­s nach mehreren positiven Corona-Tests bei Patienten bereits Mitte Dezember einen Ausbruch an das Gesundheit­samt gemeldet. Erst Mitte Februar wurde er für beendet erklärt, forderte in dieser Zeit zahlreiche

Opfer, sei es Tote, Schwerkran­ke oder Menschen, die wegen unbemerkte­r Infektione­n angesteckt wurden. „Es ist viel Zeit vergangen, da darf man die Frage stellen: Gab es Versäumnis­se?“, findet sie.

Haubrich betont, es gehe ihr nicht darum, Einzelne an den Pranger zu stellen - vor allem nicht das Personal: „Die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r leisten unglaublic­h viel.“Ihr ist bewusst, dass sie unter jeder neuen negativen Schlagzeil­e leiden, obwohl sie ihr Bestes geben. In letzter Verantwort­ung sieht sie die Spitzen der Kliniken an der Paar und des Landkreise­s.

Das Krankenhau­s Friedberg ist nicht das Einzige in Bayern, an dem Corona grassierte. Zu Ausbrüchen kam es unter anderem an der Uniklinik und der Hessing-Klinik in Augsburg, am Klinikum Landsberg und am Krankenhau­s Schongau. Stationen standen unter Quarantäne, es gab Todesfälle. „Das lässt sich kaum verhindern“, weiß Haubrich. Andere Häuser seien mit dem Thema jedoch anders umgegangen.

 ?? Foto: Reinhard Gürtner ?? Im Landkreis Aichach‰Friedberg ringt man weiterhin um die Aufarbeitu­ng des Corona‰Ausbruchs am Friedberge­r Krankenhau­s. Derweil wurde am Sonntag deutschlan­dweit – wie hier in Kissing – der Opfer durch die Pandemie gedacht. Bürgermeis­ter Reinhard Gürtner wies unter anderem daraufhin, dass eine Vielzahl der Verstorben­en einsam, ohne ihre Liebsten, die letzten Stunden verbringen mussten. Nach einer kurzen Andacht, die Gemeindera­t Oliver Kosel gestaltete, wurden am südlichen Kreuz eine Blumenscha­le abgestellt und eine Kerze entzündet. Zudem ordnete Bürgermeis­ter Gürtner Trauerbefl­aggung für das Rathaus an.
Foto: Reinhard Gürtner Im Landkreis Aichach‰Friedberg ringt man weiterhin um die Aufarbeitu­ng des Corona‰Ausbruchs am Friedberge­r Krankenhau­s. Derweil wurde am Sonntag deutschlan­dweit – wie hier in Kissing – der Opfer durch die Pandemie gedacht. Bürgermeis­ter Reinhard Gürtner wies unter anderem daraufhin, dass eine Vielzahl der Verstorben­en einsam, ohne ihre Liebsten, die letzten Stunden verbringen mussten. Nach einer kurzen Andacht, die Gemeindera­t Oliver Kosel gestaltete, wurden am südlichen Kreuz eine Blumenscha­le abgestellt und eine Kerze entzündet. Zudem ordnete Bürgermeis­ter Gürtner Trauerbefl­aggung für das Rathaus an.

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