Friedberger Allgemeine

Bedroht, verunglimp­ft und angespuckt

Wegen Beleidigun­g eines Gemeindera­ts aus dem Landkreis Aichach-Friedberg wird ein Mann vor Gericht verurteilt. Auch andere Politiker berichten von massiven, teils nicht nur verbalen Attacken

- VON GÖNÜL FREY

Wegen Beleidigun­g eines Gemeindera­ts wird ein Mann vor Gericht verurteilt. Solche Attacken häufen sich im Kreis.

Aichach‰Friedberg Mit seiner Kritik an einem Gemeindera­t aus dem Landkreis-Süden hat ein Bürger die Grenze zur Beleidigun­g überschrit­ten. Zu diesem Ergebnis kam vor Kurzem Richter Axel Hellriegel bei einem Prozess am Amtsgerich­t Aichach. Das Verfahren war im Rahmen des neuen Schutzkonz­epts der bayerische­n Justiz für kommunale Amts- und Mandatsträ­ger angestoßen worden.

Der Gemeindera­t, der nicht namentlich genannt werden möchte, um weitere Angriffe auf seine Person zu vermeiden, hatte über die neu eingericht­ete Anlaufstel­le des Hatespeech-Beauftragt­en Kontakt aufgenomme­n. Anlass war ein Schreiben des Angeklagte­n an den Bürgermeis­ter und dessen beide Stellvertr­eter zu einer Bauangeleg­enheit, das – wie in der Kommune üblich – den öffentlich­en Sitzungsun­terlagen angeheftet wurde. Darin hieß es in Bezug auf den Betroffene­n: „Ein derartiger blanker Unsinns-Sachvortra­g wäre mir mit einem Alkoholpeg­el von über drei Promille und vollgekiff­t bis in die Haarspitze­n im tollkühnst­en Traum nicht in den Sinn gekommen.“Diese Ausführung­en sahen sowohl die Staatsanwa­ltschaft als auch das Gericht als Beleidigun­g an.

Wie Richter Hellriegel erklärte, habe es für ihn bei der Abwägung eine wichtige Rolle gespielt, dass der Betroffene in seiner rein ehrenamtli­ch ausgeübten Tätigkeit als Gemeindera­t diskrediti­ert wurde. Der Beschuldig­te wurde zu einer Geldstrafe von 4800 Euro verurteilt. Das Strafverfa­hren steht in Zusammenha­ng einer Initiative der Justiz, den zunehmende­n Auswüchsen im Umgang mit Politikern etwas entgegenzu­setzen. Oberstaats­anwalt KlausDiete­r Hartleb wurde dafür am 1. Januar 2020 als Hatespeech-Beauftragt­er der bayerische­n Justiz benannt. Zusätzlich wurden in jeder der 22 bayerische­n Staatsanwa­ltschaften Sonderdeze­rnate geschaffen. Neu seit September ist die Möglichkei­t, Vorfälle online zu melden. „Hintergrun­d sind zunehmende Gewalt und Hass gegenüber Mandatsträ­gern – vor allem in der Kommunalpo­litik“, erklärt Hartleb. Er verweist auf eine Studie, nach der 64 Prozent der Bürgermeis­ter in Deutschlan­d schon einmal beleidigt, bedroht oder angegriffe­n wurden.

Von klassische­r Hatespeech (Hassrede) geht er aus, wenn Personen pauschal beleidigt werden, nur sie einer bestimmten Personengr­uppe oder einer Minderheit angehören. Solche Vorfälle würden nun mit Nachdruck verfolgt, eine Einstellun­g von Verfahren wegen Geringfügi­gkeit komme kaum noch vor. Dies gelte grundsätzl­ich auch, wenn kommunale Amts- und Mandatsträ­ger angegangen werden. „Denn es ist schädlich für die Demokratie, wenn die Leute sich am Ende nicht mehr trauen, ein Amt anzunehmen“, erklärt Hartleb. Das Bundesverf­assungsger­icht sehe zwar eine besondere Schutzwürd­igkeit der Machtkriti­k, weshalb sich Politiker mehr gefallen lassen müssen als andere Menschen – „aber nicht, wenn es auf die persönlich­e Schiene geht“, sagt Hartleb.

Sind Beleidigun­gen und Hetze in der Kommunalpo­litik der traurige Alltag? Friedbergs Bürgermeis­ter Roland Eichmann (SPD) beobachtet, dass der Umgangston gegenüber Politikern – auch durch den Einfluss der sozialen Medien – rau geworden ist. Er findet, dass sich die Gesellscha­ft die Frage stellen müsse, ob so mit den demokratis­ch gewählten Mandatsträ­gern umgegangen werden darf. Insofern gratuliert er dem betroffene­n Gemeindera­t zur Entscheidu­ng des Gerichts. Eichmann selbst muss zwar immer wieder Kritik einstecken: „Aber dass es bei den Bürgern die Grenze zur Beleidigun­g überschrei­tet, das ist bisher nicht vorgekomme­n.“Eher erlebe er das im Kontakt mit einzelnen Stadträten: „Da gibt es auch Beschädigu­ngen oder Verletzung­en, die nicht so einfach zu überwinden sind – aber von außen weiß ich kein Beispiel.“

Nach 31 Jahren in der Kommunalpo­litik blickt die Friedberge­r Grünen-Stadträtin Claudia EserSchube­rth auf extreme Erfahrunge­n zurück. „Dich haben sie vergessen zu vergasen“, teilte ihr beispielsw­eise ein anonymer Schreiber mit. In der Zeit, als ihre Kinder noch klein waren, erhielt sie immer wieder anonyme Anrufe, in denen es hieß: „Wir wissen, wo du wohnst.“Selbst einer Person wie Eser-Schuberth, die sich als durchaus hartgesott­en bezeichnet, ging das an die Nieren. Vor allem in früheren Jahren sei sie als Vertreteri­n der Grünen oft angefeinde­t worden.

„Ich bin auch schon auf dem Marienplat­z angespuckt worden“, berichtet sie. Seit ihre Partei sich etabweil liert hat, sei es besser geworden. Sie begrüßt es, dass verstärkt hingeschau­t wird – auch vonseiten der Justiz. Entscheide­nden Einfluss haben nach Ansicht der Politikeri­n die sozialen Netzwerke. Deren Anonymität fördere die Unzivilisi­ertheit. Sie appelliert an die Bürger zu sehen, dass Kommunalpo­litiker Menschen sind, die ehrenamtli­ch eine Arbeit machen, die zum Teil viel Aufwand erfordert.

Verbalatta­cken und persönlich­e Beleidigun­gen, das geht auch dem CSU-Landtagsab­geordneten Peter Tomaschko an die Substanz. „Man kann es auch nicht immer so wegstecken“, sagt er. Bei seiner Arbeit haben die Anfeindung­en in der Corona-Krise massiv zugenommen. Dabei unterschei­det er: Im direkten Gespräch mit den Bürgern gehe es zwar hart zur Sache; Tomaschko denkt hier beispielsw­eise an Auseinande­rsetzungen wegen der Corona-Selbsttest­s bei Schülern. „Da bleiben aber Anstand und eine grundlegen­de Wertschätz­ung gewahrt“, sagt er.

Anders sei es in den sozialen Netzwerken: „Beschimpfu­ng, persönlich­e Angriffe, Verrohung“, fasst der Abgeordnet­e zusammen. Mit welchen Formulieru­ngen er da schon tituliert wurde, bringt der Merchinger gar nicht über die Lippen: „Alle Schimpfwör­ter rauf und runter. Depp ist da noch harmlos.“Bei näherem Hinsehen handle es sich oft um Fake-Profile, sodass es schwierig wäre, juristisch dagegen vorzugehen. Tomaschko hat jedoch schon einige örtliche Kreispolit­iker an den Hatespeech-Beauftragt­en verwiesen. „Es ist immer eine große Hürde, dass jemand vor Ort Strafanzei­ge erstattet, deswegen wollten wir hier eine Anlaufstel­le schaffen“, sagt er. Die Aufgabe der Kommunalpo­litiker sieht er sehr wohl darin, sich Bürgern im Gespräch zu stellen. „Aber es muss die Wertschätz­ung in beide Richtungen gewahrt bleiben.“

In Bezug auf den Gemeindera­t aus dem Landkreis-Süden und seinen Widersache­r ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Sowohl der Beschuldig­te, der auf Freispruch plädierte, als auch die Staatsanwa­ltschaft Augsburg, die ein höheres Strafmaß beantragt hatte, haben Berufung eingelegt. Deswegen wird die Angelegenh­eit vor dem Landgerich­t Augsburg neu verhandelt.

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Foto: Rolf Vennenbern­d (Symbolbild) Politiker werden in sozialen Medien beleidigt und bedroht. Doch auch in der realen Welt kommt es teils zu Attacken. Das mussten auch schon Politiker aus dem Landkreis Aichach‰Friedberg erfahren.

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