ExAmtsleiter spricht von „Panikdemie“
Experten kritisieren den ehemaligen Aichacher Gesundheitsamts-Chef Friedrich Pürner für seine jüngsten Aussagen. Was ihn mit der Aktion #allesdichtmachen verbindet und warum sein Fall bald wieder die Justiz beschäftigt
AichachFriedberg/München Friedrich Pürner trägt inzwischen Pferdeschwanz. Seit Beginn der CoronaPandemie sei er nicht mehr beim Friseur gewesen, sagt er. Damals habe er ein „richtig schönes Leben“gehabt. „Ich hatte eine gute Stelle, ein funktionierendes Team, Freizeit, ich bin Motorrad gefahren. Die Welt war in Ordnung.“Und heute? Ist der 54-Jährige überregional bekannt: Die einen sehen in ihm einen Kämpfer für die Meinungsfreiheit, die anderen einen, der die Pandemie verharmlost. Und zu Letzterem gibt Pürner aus Expertensicht zunehmend Anlass.
Es war Herbst 2020, als der Leiter des Gesundheitsamts AichachFriedberg zum „Fall Pürner“wurde. Pürner kritisierte öffentlich die Corona-Politik der Staatsregierung. Seine Kritik an Maskenpflicht im Unterricht oder am Sieben-TageInzidenzwert als Grundlage für Maßnahmen war nicht neu; dass sie so unverhohlen aus dem Mund eines Behördenleiters kam, dagegen schon. Pürner wurde ans Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) abgeordnet. „Strafversetzt“, so nennt er es bis heute.
Laut LGL ist Pürner „im Rahmen der LGL-Dienstaufgabe ,Digitalisierung und Qualitätssicherung im öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD)‘ mit konzeptionellen Überlegungen zu Strukturen und Prozessen eines zukunftsfähigen ÖGD betraut“. Er selbst sagt im Gespräch mit unserer Redaktion, dass er sich auf schriftliche Anweisung hin zu seiner Arbeit am LGL nicht äußern dürfe. „Ich habe etwas mehr Freizeit als früher“, sagt er lediglich.
Wie er diese unter anderem verbringt, zeigt ein Blick auf Twitter, wo ihm knapp 20 000 Nutzer folgen. Zu seinen meistbeachteten Beiträgen der jüngeren Vergangenheit zählen Interviews von ihm und seine Unterstützung der umstrittenen Aktion #allesdichtmachen. Mit der wollten prominente Schauspieler in satirisch gemeinten Videos eine Debatte über Corona-Maßnahmen anstoßen. Nach Ansicht von Kritikern spielten sie Verschwörungsideologen, „Querdenken“-Bewegung oder Rechtspopulisten in die Hände. Interessant ist hier Pürners Verbindung zu Paul Brandenburg, mit der sich auch der Berliner Tagesspiegel kürzlich befasste. Der Berliner Not
ist Begründer der Initiative „1bis19“, die von Beteiligten an #allesdichtmachen unterstützt wird. Der Tagesspiegel, der Brandenburgs Auftritte in „alternativen Medien“und dessen „antidemokratische Meinungsäußerungen“anführte, schrieb, dass er „die eigentlich interessante Figur im Hintergrund“der Schauspieleraktion sei. Die Berührungspunkte zur „Querdenken“-Bewegung sind vielfältig. Pürner hat mit Brandenburg Ende März einen offenen Brief an Karl Lauterbach mitinitiiert, in dem dem SPD-Gesundheitspolitiker „das Schüren irrationaler und extremer Angst“vorgeworfen wird.
Wie Brandenburg gibt Pürner Medien, die bei Verschwörungsideologen und „Querdenkern“beliebt sind, Interviews: Ende Februar etwa RT DE, dem deutschsprachigen Portal des russischen Auslandssenders, oder Mitte April Reitschuster.de. Bereits vor mehr als einem Jahr warnte das Bundesinnenministerium vor Desinformationskampagnen zur Corona-Krise durch RT DE. Im Interview mit Reitschuster.de sagte Dr. Friedrich Pürner: „Die Pandemie ist bereits zu Ende. Sie wird nur künstlich durch das Spiel der Zahlen samt ständiger Angstmacherei und Drohungen aufrecht erhalten. Wenn eine Pandemie derartige Einschränkungen und Drohkulissen braucht, um die Bürger davon zu überzeugen, dann ist es keine Pandemie mehr.“
Matthias Pöhlmann, Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, sagt dazu: „Dass Pürner die Pandemie für beendet erklärt, ist angesichts der Tatsachen äußerst problematisch. Auch, weil er damit Querdenkern oder CoronaLeugnern in die Karten spielt – mir fehlt da eine klare Distanzierung.“Statt Distanzierung sei eher das Gegenteil zu beobachten: „Bewusst wählt Pürner rechtsalternative Kafallmediziner näle oder Kanäle, die Halbwahrheiten oder Verschwörungsideologien verbreiten, für seine Botschaften.“
Pürner, im November auf einer „Querdenken“-Demo in Aichach als Held gefeiert, dagegen sagt, er wolle sich nicht vereinnahmen lassen. Sowie: „Ich habe einen Grundsatz: Jedes Medium, das bei mir anfragt, bekommt eine Antwort. Und zwar deshalb, weil es um die Sache geht.“Er habe schließlich fachliche Expertise – und keine Berührungsängste. Auch an seiner Aussage, die Pandemie sei beendet, hält er am Montag fest. Er verweist dabei auf das Robert-Koch-Institut. Das bezeichnet eine Pandemie als eine „neu, aber zeitlich begrenzt in Erscheinung tretende, weltweite starke Ausbreitung einer Infektionskrankheit mit hohen Erkrankungszahlen und i. d. R. auch mit schweren Krankheitsverläufen“. Gerade Letzteres, dass schwere Krankheitsverläufe „in der Regel“aufträten, sei aus seiner Sicht nicht der Fall. Pürner, der Wert darauf legt, Corona „nie geleugnet“zu haben und „sicher kein Rechter“zu sein, bekräftigt sogar: Der Begriff „Pandemie“ebenso wie das Szenario überlasteter Intensivstationen würden von der Politik dazu verwendet, „um mehr Dramatik ins Bild zu bekommen und so von eigenen Verfehlungen – wie dem Kaputtsparen der Krankenhäuser – abzulenken“. Dass Intensivstationen in den vergangenen Monaten punktuell überlastet gewesen seien, bestreite er nicht. Dies sei jedoch „nichts Neues, das hat es auch vor Corona schon gegeben“.
Professor Clemens Wendtner, Chefarzt der München Klinik, wendet sich entschieden gegen derlei Aussagen. „Leider ist die Pandemie mitnichten bereits zu Ende“, sagt er. „In den Kliniken sehen wir derzeit noch täglich steigende Neuaufnahmen von Patienten mit gesicherter Covid-19-Erkrankung.“Selbst wenn der Höhepunkt hoffentlich in den nächsten Wochen in den Kliniken überstanden sei, bedeute das keinesfalls ein Ende der Pandemie. „Es bleiben Unsicherheiten, wie es in den nächsten Wochen und Monaten mit dem Infektionsgeschehen weitergehen wird: neue Virusvarianten, fragliche Effekte von Lockerungen zum Sommer hin, unsicherer Erfolg der Impfkampagne im Sinne eines Erreichens einer Herdenimmunität“, zählt Wendtner auf. Er betont: „Eine Leugnung der Pandemie ist in diesem Zusammenhang der schlechteste Ratgeber.“
Im Mai oder Juni soll ein Buch Pürners erscheinen: „Diagnose Pan(ik)demie“. Auch damit spielt er nach Ansicht Pöhlmanns mit Narrativen von Verschwörungsideologen und der in Teilen bundesweit vom Verfassungsschutz beobachteten „Querdenken“-Bewegung. Pöhlmann erklärt: „‚Panikdemie‘ ist ein in diesen Kreisen durchaus bekannter Begriff, ähnlich wie ‚Plandemie‘. Gemeint ist hier unter anderem, dass Politiker oder andere Angst schüren beziehungsweise die Pandemie inszeniert hätten.“Pürner helfe demnach, so Pöhlmann, mit, Verschwörungsideologien oder Halbwahrheiten zu verbreiten und salonfähig zu machen.
Der „Fall Pürner“beschäftigt auch die Justiz: Pürner reichte beim Verwaltungsgericht Augsburg einen Eilantrag ein, der sich de facto gegen seine Abordnung vom Gesundheitsamt Aichach-Friedberg richtet. Formell geht es um „die Überprüfung der dienstlichen Gründe für die Abordnung“. Die mündliche Verhandlung soll am 17. Juni sein.
„In den Kliniken sehen wir derzeit noch täglich steigende Neuaufnahmen.“
Professor Clemens Wendtner