QuarantäneQuerelen
Gesundheitsämter entscheiden, ob jemand nach Kontakt mit einer infizierten Person zuhause bleiben muss. Welche Gefahren diese unterschiedliche Praxis birgt, zeigt sich am Fall einer Familie aus dem Wittelsbacher Land
Die Gesundheitsämter entscheiden, wer in Quarantäne muss. Eine Familie aus dem Landkreis infiziert sich mit Corona und fühlt sich ungerecht behandelt.»Lokales
AichachFriedberg Eine WhatsAppNachricht und die Aufregung ist groß. Wenig später weicht der anfängliche Schock bei Familie Huber (alle Namen geändert) – stattdessen ungläubige Gesichter. Als Vater Thomas am 28. März von der Corona-Infektion eines Schichtkollegen erfährt, verordnet das Gesundheitsamt Aichach-Friedberg keine Quarantäne – der 34-Jährige muss am nächsten Tag bei seinem Arbeitgeber Audi in Ingolstadt erscheinen. Die meisten seiner Kollegen dagegen nicht. Was dahinter steckt und welche Folgen das für Familie Huber hat.
Mit einem komischen Gefühl ging Thomas Huber Anfang April in die Arbeit. Rund zwei Wochen später bekam er erste Symptome. Am 17. April wurde der 34-Jährige positiv auf das Coronavirus getestet. „Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen am Arbeitsplatz ist eine Wahrscheinlichkeit da, zumal mein Mann mit dem Infizierten auch gemeinsam am Mittagstisch saß“, erinnert sich Ehefrau Tanja Huber, die sich sicher ist, dass sich ihr Mann in der Arbeit angesteckt hat: „Man weiß es nie ganz genau, aber es ist die britische Mutation, die auch der Kollege hatte.“Dabei geht es der 34-Jährigen nicht um die Infektion an sich. „Vermutlich hat er sich schon vor diesem Sonntag infiziert. Da er aber nicht in Quarantäne geschickt wurde, konnte er so andere anstecken. Das ist eigentlich das Schlimme.“Mit dem Gesundheitsamt hatte die Familie laut eigener Aussage erst Kontakt, als Thomas Hubers Corona-Test positiv ausfiel.
Das Landratsamt Aichach-Friedberg wollte zu dem konkreten Vorfall keine Stellung nehmen. Generell heißt es auf Nachfrage: „Die Kontaktermittlung richtet sich nach den Fachempfehlungen des RKI und den Vorgaben des Bayerischen Gesundheitsministeriums“, so die kommissarische Leiterin des Gesundheitsamtes Dr. Viktoria Schaefer. Die Entscheidung liege beim sogenannten „Contact Tracer“(Kontaktverfolger), der in schwierigen Fällen Rücksprache mit Ärzten hält. Schaefer: „Beim Arbeitgeber werden für die Entscheidung relevante Informationen eingezogen, z. B. wie viel Quadratmeter das Großraumbüro hat.“Arbeitskontaktsituationen würden individuell ermittelt und die Entscheidung über eine Quarantäne daran festgemacht.
„Wenn zwei oder drei Personen beim gleichen Arbeitgeber in einer Schicht arbeiten, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass alle die identische Exposition haben“, so Schaefer und fügt hinzu: „Der eine war mit dem anderen gemeinsam beim Rauchen, der dritte nicht. Die einen haben miteinander Pause im Aufenthaltsraum gemacht und sich unterhalten, die anderen beiden waren vielleicht in der Cafeteria. Die einen sind in den Arbeitsabläufen aufeinander angewiesen und haben hier zwangsläufig viel Kontakt, der dritte fährt den Gabelstapler und sitzt die meiste Zeit in seiner Kabine.“Für Schaefer ist es deshalb nicht besonders erstaunlich, dass bei Audi nicht die ganze Schicht in Quarantäne musste. „Wenn das so wäre, hätte das Hygienekonzept des Betriebs versagt. Dieses verfolgt ja eben genau das Ziel, dass bei einem positiven Fall nicht gleich die ganze Schicht ausfällt.“
Angaben zum konkreten Fall kann auch Audi nicht machen. Pressesprecher Joachim Cordshagen erklärt auf Nachfrage: „Wir arbeiten eng mit Gesundheitsamt und Behörden zusammen. Quarantäne kann allerdings nur und ausschließlich das jeweils zuständige Gesundheitsamt aussprechen, das Prozedere unterliegt nicht unserem Einfluss bzw. unserer Verantwortung. Die zuständigen Gesundheitsämter entscheiden über die Kontaktqualität, agieren fallweise oft unterschiedlich. Das könnte auch den geschilderten Fall erklären, bei dem sich wohl verschiedene Zuständigkeiten ergeben. Grundsätzlich hat die Gesundheit unserer Mitarbeitenden absolute Priorität.“
Auch das Gesundheitsamt Neuburg-Schrobenhausen hält sich an die Empfehlungen des RKI. Auf Nachfrage heißt es: „Die Entscheidung trifft das Gesundheitsamt. Das Gesundheitsamt nimmt bei Ausbruchsverdacht Kontakt zum Arbeitgeber auf“, so Pressesprecherin Sabina Goos. Angaben zum konkreten Fall wollte das Gesundheitsamt ebenfalls nicht machen.
Thomas Huber befand sich seit dem 17. April in Quarantäne. Zuvor habe er vermutlich Verwandte angesteckt, die zum Teil heftigere Symptome hatten als er. Der 34-Jährige war mehrere Tage flach gelegen. Auch der zweijährige Sohn wurde nun positiv getestet, ebenso wie Ehefrau Tanja, obwohl sie Ende Februar ihre zweite Corona-Impfung erhalten hatte.
Vor dem Hintergrund der abgeschlossenen Impfung sah das Gesundheitsamt keine Notwendigkeit einer Quarantäne. „Nach zweimaliger Impfung, bei der die zweite Dosis länger als zwei Wochen zurückliegt, muss eine Person nach Kontakt nicht in Quarantäne“, erklärt Gesundheitsamtsleiterin Schaefer. Tanja Huber, die in Friedberg arbeitet, informierte dennoch ihre Chefin. „Sie hat mich zum Glück nach Hause geschickt“, so Huber, die hofft, dass es künftig eine einheitliche Regelung geben wird.
Der Familie Huber geht es wieder besser und Vater Thomas ist wieder in der Arbeit. Ehefrau Tanja war trotz ihres Impfschutzes zwei Tage außer Gefecht und wird ab Montag voraussichtlich wieder ihrem Job nachgehen können. Die Infektion ist überstanden und auch den Verwandten geht es wieder deutlich besser. Was bleibt, ist Unverständnis.