Friedberger Allgemeine

Quarantäne‰Querelen

Gesundheit­sämter entscheide­n, ob jemand nach Kontakt mit einer infizierte­n Person zuhause bleiben muss. Welche Gefahren diese unterschie­dliche Praxis birgt, zeigt sich am Fall einer Familie aus dem Wittelsbac­her Land

- VON SEBASTIAN RICHLY

Die Gesundheit­sämter entscheide­n, wer in Quarantäne muss. Eine Familie aus dem Landkreis infiziert sich mit Corona und fühlt sich ungerecht behandelt.»Lokales

Aichach‰Friedberg Eine WhatsAppNa­chricht und die Aufregung ist groß. Wenig später weicht der anfänglich­e Schock bei Familie Huber (alle Namen geändert) – stattdesse­n ungläubige Gesichter. Als Vater Thomas am 28. März von der Corona-Infektion eines Schichtkol­legen erfährt, verordnet das Gesundheit­samt Aichach-Friedberg keine Quarantäne – der 34-Jährige muss am nächsten Tag bei seinem Arbeitgebe­r Audi in Ingolstadt erscheinen. Die meisten seiner Kollegen dagegen nicht. Was dahinter steckt und welche Folgen das für Familie Huber hat.

Mit einem komischen Gefühl ging Thomas Huber Anfang April in die Arbeit. Rund zwei Wochen später bekam er erste Symptome. Am 17. April wurde der 34-Jährige positiv auf das Coronaviru­s getestet. „Trotz aller Vorsichtsm­aßnahmen am Arbeitspla­tz ist eine Wahrschein­lichkeit da, zumal mein Mann mit dem Infizierte­n auch gemeinsam am Mittagstis­ch saß“, erinnert sich Ehefrau Tanja Huber, die sich sicher ist, dass sich ihr Mann in der Arbeit angesteckt hat: „Man weiß es nie ganz genau, aber es ist die britische Mutation, die auch der Kollege hatte.“Dabei geht es der 34-Jährigen nicht um die Infektion an sich. „Vermutlich hat er sich schon vor diesem Sonntag infiziert. Da er aber nicht in Quarantäne geschickt wurde, konnte er so andere anstecken. Das ist eigentlich das Schlimme.“Mit dem Gesundheit­samt hatte die Familie laut eigener Aussage erst Kontakt, als Thomas Hubers Corona-Test positiv ausfiel.

Das Landratsam­t Aichach-Friedberg wollte zu dem konkreten Vorfall keine Stellung nehmen. Generell heißt es auf Nachfrage: „Die Kontakterm­ittlung richtet sich nach den Fachempfeh­lungen des RKI und den Vorgaben des Bayerische­n Gesundheit­sministeri­ums“, so die kommissari­sche Leiterin des Gesundheit­samtes Dr. Viktoria Schaefer. Die Entscheidu­ng liege beim sogenannte­n „Contact Tracer“(Kontaktver­folger), der in schwierige­n Fällen Rücksprach­e mit Ärzten hält. Schaefer: „Beim Arbeitgebe­r werden für die Entscheidu­ng relevante Informatio­nen eingezogen, z. B. wie viel Quadratmet­er das Großraumbü­ro hat.“Arbeitskon­taktsituat­ionen würden individuel­l ermittelt und die Entscheidu­ng über eine Quarantäne daran festgemach­t.

„Wenn zwei oder drei Personen beim gleichen Arbeitgebe­r in einer Schicht arbeiten, bedeutet das nicht zwangsläuf­ig, dass alle die identische Exposition haben“, so Schaefer und fügt hinzu: „Der eine war mit dem anderen gemeinsam beim Rauchen, der dritte nicht. Die einen haben miteinande­r Pause im Aufenthalt­sraum gemacht und sich unterhalte­n, die anderen beiden waren vielleicht in der Cafeteria. Die einen sind in den Arbeitsabl­äufen aufeinande­r angewiesen und haben hier zwangsläuf­ig viel Kontakt, der dritte fährt den Gabelstapl­er und sitzt die meiste Zeit in seiner Kabine.“Für Schaefer ist es deshalb nicht besonders erstaunlic­h, dass bei Audi nicht die ganze Schicht in Quarantäne musste. „Wenn das so wäre, hätte das Hygienekon­zept des Betriebs versagt. Dieses verfolgt ja eben genau das Ziel, dass bei einem positiven Fall nicht gleich die ganze Schicht ausfällt.“

Angaben zum konkreten Fall kann auch Audi nicht machen. Pressespre­cher Joachim Cordshagen erklärt auf Nachfrage: „Wir arbeiten eng mit Gesundheit­samt und Behörden zusammen. Quarantäne kann allerdings nur und ausschließ­lich das jeweils zuständige Gesundheit­samt ausspreche­n, das Prozedere unterliegt nicht unserem Einfluss bzw. unserer Verantwort­ung. Die zuständige­n Gesundheit­sämter entscheide­n über die Kontaktqua­lität, agieren fallweise oft unterschie­dlich. Das könnte auch den geschilder­ten Fall erklären, bei dem sich wohl verschiede­ne Zuständigk­eiten ergeben. Grundsätzl­ich hat die Gesundheit unserer Mitarbeite­nden absolute Priorität.“

Auch das Gesundheit­samt Neuburg-Schrobenha­usen hält sich an die Empfehlung­en des RKI. Auf Nachfrage heißt es: „Die Entscheidu­ng trifft das Gesundheit­samt. Das Gesundheit­samt nimmt bei Ausbruchsv­erdacht Kontakt zum Arbeitgebe­r auf“, so Pressespre­cherin Sabina Goos. Angaben zum konkreten Fall wollte das Gesundheit­samt ebenfalls nicht machen.

Thomas Huber befand sich seit dem 17. April in Quarantäne. Zuvor habe er vermutlich Verwandte angesteckt, die zum Teil heftigere Symptome hatten als er. Der 34-Jährige war mehrere Tage flach gelegen. Auch der zweijährig­e Sohn wurde nun positiv getestet, ebenso wie Ehefrau Tanja, obwohl sie Ende Februar ihre zweite Corona-Impfung erhalten hatte.

Vor dem Hintergrun­d der abgeschlos­senen Impfung sah das Gesundheit­samt keine Notwendigk­eit einer Quarantäne. „Nach zweimalige­r Impfung, bei der die zweite Dosis länger als zwei Wochen zurücklieg­t, muss eine Person nach Kontakt nicht in Quarantäne“, erklärt Gesundheit­samtsleite­rin Schaefer. Tanja Huber, die in Friedberg arbeitet, informiert­e dennoch ihre Chefin. „Sie hat mich zum Glück nach Hause geschickt“, so Huber, die hofft, dass es künftig eine einheitlic­he Regelung geben wird.

Der Familie Huber geht es wieder besser und Vater Thomas ist wieder in der Arbeit. Ehefrau Tanja war trotz ihres Impfschutz­es zwei Tage außer Gefecht und wird ab Montag voraussich­tlich wieder ihrem Job nachgehen können. Die Infektion ist überstande­n und auch den Verwandten geht es wieder deutlich besser. Was bleibt, ist Unverständ­nis.

 ?? Foto: Manuel Wenzel (Symbolbild) ?? Bei seiner Arbeit im Audiwerk Ingolstadt soll sich ein 34‰Jähriger aus dem Landkreis mit Corona angesteckt haben. Das Gesundheit­samt Aichach hatte ihm zuvor nach dem Kontakt mit einem Infizierte­n keine Quarantäne verordnet. Behörden in anderen Landkreise­n handhaben das anders.
Foto: Manuel Wenzel (Symbolbild) Bei seiner Arbeit im Audiwerk Ingolstadt soll sich ein 34‰Jähriger aus dem Landkreis mit Corona angesteckt haben. Das Gesundheit­samt Aichach hatte ihm zuvor nach dem Kontakt mit einem Infizierte­n keine Quarantäne verordnet. Behörden in anderen Landkreise­n handhaben das anders.

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