Friedberger Allgemeine

Hilfe, neben meinem Haus wird gebaut!

Bezahlbare­r Wohnraum fehlt in Aichach-Friedberg, doch stoßen viele Bauprojekt­e auf Widerstand. Wie lässt sich das lösen? Architektu­rprofessor Marcus Rommel hat ein paar Ideen

- VON UTE KROGULL Was können Städte und Gemeinden konkret tun? schweren sich dann, das sei Erpressung.

Herr Professor Rommel, viele Menschen im Landkreis Aichach-Friedberg suchen fast verzweifel­t ein Haus oder eine Wohnung, die Flächen sind bereits knapp. Wie kann man das Problem lösen?

Prof. Marcus Rommel: Das ist nicht einfach, doch wir werden einiges infrage stellen müssen. Im Jahr 2019 betrug die Wohnfläche pro Person durchschni­ttlich 47 Quadratmet­er, 30 Jahre zuvor waren es 34. Das frei stehende Einfamilie­nhaus lehren wir Studenten an der Hochschule Augsburg gar nicht mehr, es braucht zu viel Platz. Auch die Erkenntnis­se der Klimakrise gilt es zu berücksich­tigen.

Aber das eigene Häuschen ist anscheinen­d der Traum der meisten Menschen, vor allem auf dem Land! 83 Prozent der Wohngebäud­e in Deutschlan­d sind Einfamilie­nhäuser. Rommel: Weil die Menschen die Alternativ­en zu wenig kennen! Es scheint als einfachste­r Weg, seinen Freiheitsd­rang zu erfüllen. Doch wenn die Städte und Gemeinden den Weg „Innenentwi­cklung vor Außenentwi­cklung“gehen, braucht es andere Konzepte.

Welche Konzepte können das sein? Wenn verdichtet wird und Wohnblocks entstehen, stößt das bei Nachbarn schnell auf Widerstand.

Rommel: Man muss über alternativ­e Wohnformen nachdenken, zum Beispiel über Hofhäuser. Das ist etwas, das Bauträger nicht standardmä­ßig auf der Palette haben – weil sie meinen, etwas anderes besser verkaufen zu können. In der Regel werden immer noch Grundrisse wie in den 1960er-Jahren geplant, für Vater, und zwei Kinder. Es gilt, alternativ­e Wege für eine Verdichtun­g zu suchen, zum Beispiel indem Alt und Jung zusammenwo­hnen oder indem mehrere Parteien Räume wie einen Hobbykelle­r gemeinsam nutzen.

Rommel: Kommunen sollten sich darauf besinnen, dass sie immer noch die Planungsho­heit haben, und Investoren bei der Hand nehmen. Besser als das Prinzip „ein großes Gebiet, ein Investor, ein Architekt“ist ein Wettbewerb. Und man sollte die Bürgerinne­n und Bürger möglichst im Vorfeld beteiligen. Denn Widerstand gibt es immer. Es gilt die Alternativ­en zu diskutiere­n, auch mit der Bevölkerun­g, und einen Interessen­ausgleich zu schaffen. Das ist der einzige Weg, die Lage zu befrieden.

Man kann einem Investor ruhig sagen: „Wenn du keinen Wettbewerb ausschreib­st, wirst du hier nicht bauen.“

Ein solches Vorgehen macht aber der Politik und der Verwaltung viel Arbeit – und Häuselbaue­r beschweren sich jetzt schon, dass nichts vorangeht. Rommel: Ja, die Bauverwalt­ungen sind oft unterbeset­zt. Das beantworte­t die Frage: Wie viel ist uns gute Planung wert?

Oft haben die Menschen Angst, dass ihr Ortsbild durch Neubauten zerstört wird.

Rommel: Wir können viel lernen von dem, was die Alten gemacht haben, zum Beispiel wie Höfe gebaut wurden oder wie der Einklang mit der Natur erreicht wurde. Die Fragen sind:

Wovon ist ein Ortsbild stark geMutter prägt? Und wo stehen die Gebäude für zeitgemäße­s Wohnen? Warum gefallen den Menschen die alten Gebäude besser? Sie haben eine höhere Detail- und bessere Materialqu­alität! Wir würden gerne alle besser bauen – das Beste ist es, sich gute Beispiele anzuschaue­n.

Der Landkreis Aichach-Friedberg ist Münchner Einzugsgeb­iet. Neubaugebi­ete können schnell zu „Schlafstäd­ten“werden, wo die Zugezogene­n leben, ohne Verbindung zum eigentlich­en Ort.

Rommel: Es ist wichtig, Alt- und Neuort zu vernetzen und öffentlich­e Begegnungs­flächen im Grünen zu schaffen – dafür kann an anderer Stelle dichter gebaut werden.

Stadt- und Gemeinderä­te machen immer öfter vom Mittel der Veränderun­gssperre Gebrauch. Bauherren be

Rommel: Das ist keine Erpressung, sondern der Versuch, am Ende zu einem besseren Ergebnis zu kommen als der maximalen Ausnutzung im Sinne des Bauträgers.

Der anfangs viel gepriesene Paragraf 13 b Baugesetzb­uch, der das Überplanen kleiner Flächen unkomplizi­ert ermögliche­n sollte, ist inzwischen umstritten. Wie sehen Sie ihn?

Rommel: Das ist ein verfluchte­r Paragraf, wir Fachleute sind dagegen. Er ist das falsche Signal, denn er verstärkt die Versiegelu­ng.

Die Stadt Friedberg setzt auf Dorfentwic­klungskonz­epte für die Ortsteile. In Rinnenthal haben Bürger in diesem Rahmen selber ermittelt, welche Freifläche­n es im Ort gibt, was die Inhaber damit vorhaben und wie viel Bedarf an Wohnraum – von der Seniorenwo­hnung bis zum Einfamilie­nhaus – besteht.

Rommel: Ortsentwic­klungskonz­epte sind ein guter Ansatz, denn jedes Dorf hat seine eigene Qualität, Ausrichtun­g und Altersstru­ktur. Ein grundlegen­des Problem ist nämlich, dass Kommunen immer nur auf das reagieren, was von außen auf sie zukommt, und auch die Flächenbev­orratung vernachläs­sigen. Es braucht langfristi­ge Planung. Wie man da in Rinnenthal vorgeht, ist absolut gut.

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In einer Serie berichten wir in den kommenden Monaten über viele Facetten zum Thema „Wohnen im Wittelsbac­her Land“und zur Situation in den einzelnen Kommunen.

Professor Marcus Rommel leitet seit zehn Jahren das Fachgebiet für Städtebau und Architektu­r an der Hochschule für angewandte Wis‰ senschafte­n in Augsburg. Er hat au‰ ßerdem ein Architektu­rbüro in Stuttgart.

 ?? Foto: Ute Krogull ?? Alle wollen Wohnungen – aber lieber nicht neben dem eigenen Häuschen. Neubaugebi­ete – hier an der Friedberge­r Afrastraße – sind oft umstritten.
Foto: Ute Krogull Alle wollen Wohnungen – aber lieber nicht neben dem eigenen Häuschen. Neubaugebi­ete – hier an der Friedberge­r Afrastraße – sind oft umstritten.

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