Friedberger Allgemeine

Die Kunst, 7000 Eichen zupflanzen

- VON RÜDIGER HEINZE

Was Joseph Beuys unter dem Begriff einer „sozialen Plastik“verstand, lässt sich an keinem anderen seiner Werke so leicht verständli­ch darlegen, wie an seiner Baum-Aktion 1982 in Kassel. Sie hat die documentaA­mStadt geprägt. Hier trifft das Wort nachhaltig zu. Anfang freilich stand – wie bei so vielen Kunst-Unternehmu­ngen – scharfer Protest. Bürger und Einzelhand­el bangten um Parkplätze

So groß, so frei, so friedferti­g wie der Friedrichs­platz im Herzen der Stadt Kassel daliegt, sieht keiner ihm an, welches Unverständ­nis, welche Empörung, welche Wut hier immer mal wieder herrschte. Unverständ­nis, Empörung, Wut über Skulpturen und künstleris­che Aktionen, die als Grenzübers­chreitunge­n, als Anti-Ästhetik, als Sinnlosigk­eit empfunden wurden.

Beispielsw­eise 1977, gleich zweifach zur Weltkunsta­usstellung documenta 6. Kopfschütt­eln und Protest erntete Walter De Maria, dieser USLand-Art-Künstler, der ein 1000 Meter tiefes Loch in den Friedrichs­platz bohren ließ, in das er unter dem Namen „Vertikaler Erdkilomet­er“167 Messing-Rundstäbe von sechs Meter Länge und fünf Zentimeter Stärke senkte. Der Drang zu erkunden, warum De Maria dies tat, war in der Bevölkerun­g geringer ausgeprägt als die Kritik an Bauzaun und Bohrturm.

Noch dazu sah der Sommer 1977 in Bochum Richard Serras zwölf Meter hohe Stahlplatt­enskulptur „Terminal“, die umgehend kommentier­t wurde, indem Passanten sie zweckentfr­emdeten. Worauf sie „Kunstklo“geheißen wurde. Mittlerwei­le spaltet sie die Bürgerscha­ft Bochums.

1982 schlugen in Kassel die Wellen abermals hoch. Nun betrat mit Hut und Schaufel der Künstler Joseph Beuys den Friedrichs­platz. Was er hinterließ, war ein frisch gepflanzte­s Eichenbäum­chen, dem eine Basaltstel­e zur Seite gegeben wurde. Einzeln betrachtet: wenig spektakulä­r als – wenn da nicht die große und ganze Idee gewesen wäre, die auf erhebliche­n Unmut in der Bevölkerun­g Kassels stieß.

Zum Großen und Ganzen aber gehörte auf dem Friedrichs­platz auch jener keilförmig­e Haufen an 7000 Basaltstel­en, dessen Spitze auf das einsam treibende Bäumchen wies. Denn Beuys wollte ja nicht nur ein Eichenbäum­chen pflanzen; er wollte binnen fünf Jahren 7000 Jung-Eichen nebst 7000 Basaltstel­en über das gesamte Stadtgebie­t verteilen. Und das führte zu scharfem Einspruch und gewalttäti­gen Reaktionen auf Jahre hinaus – was fast 40 Jahre später nicht leicht nachzuvoll­ziehen ist.

Manches kam da explosiv zusammen: Ältere Bürger fühlten sich angesichts des Basaltstei­nhaufens in der guten Stube der Stadt an das zerbombte Kassel nach dem Zweiten Weltkrieg und an gestapelte Leichen erinnert; die Stadtverwa­ltung sah große praktische Probleme, da es für sie schon in den Jahren zuvor schwierig genug war, tausende von Bäumen für die Bundesgart­enschau 1981 einzusetze­n – und unter solcher Vorgabe war das Aktions-Motto „Stadtverwa­ldung statt Stadtverwa­ltung“gewiss nicht geeignet zur Besänftigu­ng –; hinzu kam die Angst des Einzelhand­els und der Bürger vor tausendfac­hem Parkplatzv­erlust. Grauen ging um.

Auch die Verkehrssi­cherheit spielte eine Rolle – erst recht, als 1984 ein Motorradfa­hrer in der LudwigMond-Straße tödlich verunglück­te. Nun wurde die Gleichung plakatiert: „Bäume = Mörder“. Andere liefen

Sturm gegen die Aussicht auf herabfalle­ndes Laub, herabfalle­nden Vogeldreck, tropfendes Harz. Selbst dort, wo tieferes Verständni­s, höhere Toleranz erwartbar gewesen wäre, wurde gewettert: im Kunstverei­n Kassel.

Das waren der Aufruhr und die Ressentime­nts der ersten Pflanz-Jahre. Knapp 40 Jahre später, zu einem Zeitpunkt, da es geboten erscheint, weltweit Bäume, nichts als Bäume zu pflanzen, sieht die Sache anders aus, nämlich: grüner. Knapp 40 Jahre später ist die BeuysAktio­n „7000 Eichen“längst als visionäre Handlung anerkannt, die soundsovie­l gesellscha­ftspolitis­che Kunst nach sich zog – auch in floraler Form, auch in Kassel knapp 40 Jahre später existiert längst die praktisch hilfreiche Stiftung „7000 Eichen“und steht das gesamte organisch-anorganisc­he Kunstwerk – auch jene Baumgruppe mit Basaltstel­en auf dem abgeschlos­senen Gelände der Justizvoll­zugsanstal­t – unter Denkmalsch­utz. Das Stadtbild hat sich enorm verwandelt, man konnte das Grün wachsen sehen – hin zu gesteigert­er Lebens-, Luft- und Kleinklima­qualität. Auch wenn es hier und da immer noch Diskussion­en darüber gibt, wer für die Baum-Bewässerun­g, speziell auf Privatgrun­d, zuständig sei. Gleichwohl: Kein anderes Kunstwerk von Joseph Beuys steht so unmittelba­r einleuchte­nd da für das, was er eine „soziale Plastik“nannte – heuKunstak­tion te an seinem 100. Geburtstag. Andere Städte – wie Chicago – haben sich von den „7000 Eichen“zu vergleichb­aren Pflanzakti­onen inspiriere­n lassen.

Denn alles, was geschah, war ja ausgelegt zum Wohl eines Naturraums in der Stadt und damit – untrennbar verbunden – zum Wohl des Menschen. Beuys im April 1982, also kurz nach dem Pflanzen des ersten Bäumchens auf dem Friedrichs­platz vor dem Fridericia­num, einem der ältesten Museen weltweit: „Es soll also auf die Umgestaltu­ng des gesamten Lebens, der gesamten Gesellscha­ft, des gesamten ökologisch­en Raumes hingewiese­n werden mit einer solchen Aktion.“Letztlich suchte Beuys’ soziale Plastik für die Gesellscha­ft Verbesseru­ngen zu erzielen – und ihre Wunden zu heilen. Das gehörte maßgeblich zu seinem erweiterte­n Begriff von Kunst. Schon zwei Jahre zuvor, kurz nach dem Gründungsp­arteitag der Grünen in Karlsruhe, hatte Beuys erklärt: „Ich weiß, dass schon morgen Menschen zu den Grünen kommen werden, weil es gar keine andere Möglichkei­t gibt in dieser Gesellscha­ft, als sich in eine Gemeinscha­ft von Menschen zu begeben, die ... an den ökologisch­en Fragen, an den Fragen des Lebens von Mensch und Natur, intensiv und kompromiss­los arbeiten wollen.“Heute bleibt tiefstapel­nd zu konstatier­en: Unrecht hat er nicht gehabt. Und der Klimawande­l treibt’s voran.

Selbst Andy Warhol und Robert Rauschenbe­rg halfen mit

Freilich können Eichen – und andere Bäume – zum Wohl des Menschen auch ohne Basaltstel­en gepflanzt werden. Warum Beuys die häufig sechseckig­en Lava-Kristallis­ationen neben den Jungbäumen aufrichten ließ, hat in erster Linie den einfachen Grund: „Der Stein macht jeden von mir gepflanzte­n Baum zu einer Skulptur, zu einem Kunstwerk.“Aber man darf auch tiefer schürfen und auf grundsätzl­iche Dualitäten im Werk von Beuys hinweisen. Bei den „7000 Eichen“beispielsw­eise besteht die Dualität im Nebeneinan­der von Erstarrtem und Wachsenden, von Tod und Leben – ganz abgesehen davon, dass der Basalt über die Jahrzehnte und Jahrhunder­te Spurenelem­ente an die Wurzeln der Bäume abgibt.

Aber wer glaubt, dass in Kassel nur Eichen das Kunstwerk ausmachen, geht fehl. Natürlich sind es hauptsächl­ich Eichen – womit Beuys auf erwartbare­s Lebensalte­r sowie die mythischen, spirituell­en und historisch­en Bedeutunge­n der Art anspielen wollte –, aber eben nicht nur. An die 20 Baumarten – von der Blutpflaum­e bis zur Zierkirsch­e – gehören heute zum Bestand, der nach letzter Zählung 6983 Bäume umfasst, wie Volker Schäfer, der Vorstandsv­orsitzende der Stiftung „7000 Eichen“erklärt. Er, früher einmal Kulturdeze­rnent Kassels, bestätigt auch, dass mittlerwei­le – eben aufgrund des Klimawande­ls – nur noch im Herbst jene Bäume ersetzt werden können, die beispielsw­eise eingingen oder beschädigt wurden oder wegen Bauvorhabe­n entfernt sind.

Eine weitere Schwierigk­eit, 1982 die „7000 Eichen“zu errichten, war die Finanzieru­ng des Projekts. Gut 500 Deutsche Mark wurden pro Baum, Stele und Pflanzung an Kosten veranschla­gt – beziehungs­weise 4,3 Millionen Gesamtkost­en. Zwar half die New Yorker „Dia Art Foundation“, die auch schon den Erdkilomet­er bezahlt hatte, mit einer Anschubfin­anzierung, doch dann stockte der Geldfluss. Beuys und seine Helfer und Befürworte­r mussten sich Originelle­s ausdenken, um weiterpfla­nzen zu können – neben den üblichen Künstler-Finanzieru­ngsmodelle­n wie Kunst-Editionen und Fan-Artikel.

Das Originelle aber waren: das Einschmelz­en der Replik einer Zarenkrone Iwans des Schrecklic­hen, woraus Beuys – unter Protest – einen Friedensha­sen goss und für 777000 Mark einem Sammler verkaufte; der Auftritt des Künstlers in einer Werbekampa­gne für einen japanische­n Whisky (400000 Mark) und eine Hilfsaktio­n von 34 Künstlerko­llegen, die eigene Werke versteiger­n ließen (eine Million Mark) – darunter Andy Warhol, Robert Rauschenbe­rg und Jannis Kounellis. So bleibt festzuhalt­en, dass zur Aktion „7000 Eichen“auch jene Kunst gehörte, die ebenso zur Kunst Christos gehörte: das Überwinden von politische­n, gesellscha­ftlichen und finanziell­en Gegenkräft­en.

Am 23. Januar 1986 starb Joseph Beuys. Am 12. Juni 1987 pflanzten seine Frau Eva und sein Sohn Wenzel zur Eröffnung der documenta 8 auf dem Friedrichs­platz die Eiche Nummer 7000 neben der erste Eiche.

 ??  ?? Joseph Beuys – wie so oft mit Hut – im Jahr 1979. Rechts die Pflanz‰Aktion „7000 Eichen“anlässlich der Documenta 1982 in der Ludwig‰Mond‰Straße von Kassel – und wie sich das Straßenbil­d genau dort nach gut drei Jahrzehnte­n zum Grünen hin verändert hat.
Joseph Beuys – wie so oft mit Hut – im Jahr 1979. Rechts die Pflanz‰Aktion „7000 Eichen“anlässlich der Documenta 1982 in der Ludwig‰Mond‰Straße von Kassel – und wie sich das Straßenbil­d genau dort nach gut drei Jahrzehnte­n zum Grünen hin verändert hat.
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