Demokraten bangen um ihre Hochburg Kalifornien
Der Bundesstaat ist eigentlich eine Herzkammer der Partei. Doch nun könnte ein Trump-Anhänger Gouverneur der liberalen Hochburg Amerikas werden. Präsident Joe Biden will das Debakel noch abwenden
Washington Der Mann nennt sich selbst mit Bezug auf ein Stadtviertel von Los Angeles den „Weisen von South Central“. Den Klimawandel hält er für eine Erfindung, den strukturellen Rassismus bei der amerikanischen Polizei für eine „Lüge“, und sein Frauenbild ist bizarr: „Frauen wissen weniger als Männer über Politik, Wirtschaft und aktuelle Nachrichten“, behauptete er. Als sich seine Exfreundin 2015 von ihm trennte, soll er im Marihuana-Rausch eine Pistole an ihren Kopf gehalten haben.
Als Gastgeber einer Radio-Talkshow poltert der Afroamerikaner Larry Elder bislang regelmäßig gegen alles, was er als „links“empfindet. Dem Publikum gefällt das offenbar: Nun hat der 69-jährige Trump-Fan ernsthaft Chancen, im Herbst neuer Gouverneur der Demokraten-Hochburg Kalifornien zu werden. Nach neuesten Umfragen ist Amtsinhaber Gavin Newsom gerade noch einen Prozentpunkt von seiner Abwahl entfernt. „Diejenigen, die denken, dass dieses Ding nicht knapp ist, muss ich leider nerven: Das ist es!“, hat der derzeitige Regierungschef selbst gewarnt.
Ein ultrarechter Populist, der gegen Schwule pöbelt, den Mindestlohn abschaffen und Abtreibungen verbieten will, als neuer Gouverneur ausgerechnet im progressiven Kalifornien, wo im vorigen November elf Millionen Wähler für Joe Biden und nur sechs Millionen für Donald Trump stimmten?
Mit durchaus guten Absichten wurde 1911 im kalifornischen Wahlrecht die Möglichkeit geschaffen, den Gouverneur durch ein Misstrauensvotum der Bevölkerung des Amtes zu entheben, wenn ein bestimmtes Quorum erfüllt ist. Für die eigentliche Abwahl sind 50 Prozent plus eine der abgegebenen Stimmen erforderlich. In einem zweiten Schritt wird der Nachfolger bestimmt, der lediglich eine einfache Mehrheit braucht. Die vermeintlich basisdemokratische Regelung hat absurde Konsequenzen: Bei einem großen Bewerberfeld können einem Kandidaten zehn Prozent der Stimmen reichen, um Regierungschef des mit knapp 40 Millionen Einwohnern größten US-Bundesstaates zu werden.
Die drohende Revolte in Kalifornien speist sich aus vielen Quellen: Die relativ hohen Steuern, die Umweltauflagen und die Zuwanderung aus dem Süden sind rechten Wählern
schon lange ein Dorn im Auge. Hinzu kommen die explodierenden Mietpreise und die wachsende Obdachlosigkeit in den Metropolen Los Angeles und San Francisco. Konkreter Auslöser des Volksbegehrens aber ist die strikte Corona-Politik von Newsom mit allgemeinen Maskengeboten und Impfpflichten für das medizinische Personal, die Trump-Anhänger und Verschwörungsprediger in Rage bringt.
Zwar sind die Maßnahmen erfolgreich. Doch der Selfmade-Millionär Newsom hat unnötig selbst Öl ins Feuer der Kritik gegossen: Auf dem Höhepunkt der staatlichen Lockdown-Bestimmungen im vorigen November wurde er bei einer Feier mit Freunden in einem Nobelrestaurant im exquisiten Weinbaugebiet des Napa Valley gesichtet – ohne Maske. Rechte Bürgerinitiativen sammelten mehr als 1,5 Millionen Signaturen – das Quorum war übertroffen. Gleichwohl schien es noch im Juli, als würde der „Recall“genannte Absetzungsversuch scheitern. Da lagen bei Umfragen zwischen den Unterstützern und Gegnern des Gouverneurs zehn Prozentpunkte. Inzwischen ist der Abstand auf einen Punkt geschrumpft. Gleichzeitig führt Elder das zersplitterte Feld der 46 Nachfolge-Bewerber mit 19,3 Prozent und einem Zehn-Punkte-Abstand deutlich an.
Der mögliche Machtwechsel elektrisiert die Republikaner. „Die Abwahl könnte die letzte Chance sein, den Staat zu retten“, feuert sie Fox-Moderator Tucker Carlson an. Die Demokraten wirken – aus einer Mischung aus Selbstzufriedenheit und Frust über ihr verkrustetes Partei-Establishment – beinahe lethargisch. Das Weiße Haus ist alarmiert: Joe Biden will vor der Abstimmung am 14. September eigens nach Kalifornien fliegen, um für Newsom zu werben. Ein Sturz des Regierungschefs im Stammland der Demokraten wäre ein Albtraum für den Präsidenten und seine Partei. Beispiellos wäre er nicht: Genauso gelangte 2003 der Republikaner Arnold Schwarzenegger ins kalifornische Gouverneursamt.