Wie ein Mann den totalen Stillstand für sich ausprobiert
Die Schriftstellerin Christina Walker, mit dem Schwäbischen Literaturpreis ausgezeichnet, legt ihren ersten Roman vor
Auf dem Buchcover laufen Ameisen zusammen, auf ein schwarzes Loch zu. Wer in den Roman „Auto“der Augsburger Autorin Christina Walker hineinliest, erfährt bald, dass es die Ameisen sind, die im Garagenhof an einer „aufgeplatzten Blechwüste“als Kolonne hinaufwandern und in einem Loch neben der Garage verschwinden. Zu solchen Betrachtungen hat Vertreter Busch, die Hauptfigur im Roman, jetzt Zeit. Er hat gekündigt und ist in seinen alten Mercedes im Hof eingezogen – eine Form des radikalen Stillstands – zur Irritation seiner Frau Susanne und seines zehnjährigen Sohnes Matti, die oben, im Haus wohnen. Einen spannenden Gedanken hat Christina Walker in ihrem Roman entfaltet: Ist es überhaupt möglich, dem Getriebe der Welt heute zu entkommen und sein Leben zu entschleunigen, wenn’s sein muss total?
Es ist der erste Roman von Christina Walker, die im vergangenen Jahr für eine Kurzgeschichte den ersten Preis beim Schwäbischen Literaturpreis erhalten hatte. Zwei Jahre zuvor schon hatte die gebürtige Vorarlbergerin für diesen Roman „Auto“den Vorarlberger Literaturpreis gewonnen. „Ich habe ganz frech einfach die ersten Kapitel eingereicht – mehr hatte ich noch nicht“, berichtet sie. Noch vor der Corona-Pandemie hatte sie das Buch fertig geschrieben. Die Verlage hätten aber zunächst gezögert, es in einer Zeit, in der „allen der Stillstand verordnet wurde“, auf den Markt zu bringen. Jetzt aber ist es da, erschienen im Wiener Braumüller Verlag.
Der Grundimpuls für diese Geschichte, erzählt Christina Walker, war tatsächlich ein Auto, das monatelang im Hof zu ihrer Augsburger Wohnung gestanden hatte und nicht bewegt wurde. Irgendwann setzte die Autorin gedanklich einen Menschen hinein. Ihr wurde bewusst, welche Paradoxie es doch sei, dass ein Auto, das ja dafür geschaffen wurde, um bewegt zu werden, einfach nur stillsteht, „bis sogar Pflänzchen aus der Motorhaube wachsen“. Und dies in der heutigen, so temporeichen Zeit, wenn nicht gerade Corona-Stillstand herrscht. Die Autorin lässt die Leserinnen und Leser am Experiment ihrer Hauptfigur Busch teilhaben, der sich ja selbst nicht so ganz sicher ist, ob das mit dem absoluten Stillstand überhaupt funktioniert. So heißt es auf den ersten Seiten einmal: „Er möchte den
Stillstand trotzdem nicht gleich aufgeben, er möchte das Nichtstun aushalten und das schlichte Da-Sein. Doch es gibt einige Dinge, die er nicht bedacht hat.“Busch hat sein Leben bis dahin dauernd im Auto verbracht, quer durch die Republik unterwegs zu den Buchhändlern, als Vertreter eines Verlags. Die „emsigen Ameisen“stehen für diese Zeit.
Christina Walker gelingt es gut, im Entschleunigungsmodus 200 Seiten zu füllen und dabei die Spannung zu halten. Denn bei allem Stillstand halten ja die Gedanken ihres Protagonisten nicht still, die plötzlich um ganz andere Dinge als bisher kreisen.
Mit großem Interesse beobachtet er die wandernden Ameisen, zählt die wenigen Schritte, die er doch mal gehen muss, um sich im Supermarkt das Nötigste, zum Beispiel Äpfel und eine Leberkässemmel, zu kaufen. Er beobachtet die Katzen im Hof, zählt die Löcher im Kunststoff-Innendach über dem Beifahrersitz, und hin und wieder geht er auch mal in die Wohnung hinauf, um zu duschen, etwas zu essen oder mit seinem Psychiater zu telefonieren, der ihm nach längerer Zeit rät, „endlich raus aus dem Stillstand zu kommen, weil der Stillstand beginne, seltsame Reaktionen auszulösen“. Busch hatte Eisberge auf sich zutreiben sehen.
„Gegen die Bewegung rundherum kann er so wenig tun wie gegen die Erdrotation“, wächst die Erkenntnis in diesem Buch, das auch durch seinen subtilen Humor besticht.
» Christina Walker: Auto, Braumüller Verlag, Wien, 208 Seiten, 20 Euro