Friedberger Allgemeine

Lage in Kabul außer Kontrolle

Nach den Anschlägen mit vielen Toten bleibt die Angst vor weiteren Terrorakte­n. Für US-Präsident Biden gerät das Ende der Mission zu einem politische­n Fiasko

- VON SIMON KAMINSKI UND STEFAN LANGE

Washington/Berlin Der Wille, der Hölle von Kabul und den neuen Machthaber­n zu entkommen, ist größer als die Angst vor Terror. Am Tag nach den Selbstmord­attentaten mit – je nach Quelle – bis zu 100 Toten, konnten die Taliban-Milizen nur mit weiteren Kontrollpu­nkten verhindern, dass sich wieder Tausende an den Toren des Flughafens versammelt­en. Genau dort also, wo die Explosion und Schüsse in die Menge nur wenige Stunden zuvor für ein Blutbad gesorgt hatten.

Die Situation in Teilen der Stadt ist kaum zu kontrollie­ren – zumal sich nach der Explosion die Frage aufdrängt, ob die Taliban in der Lage sind, für Sicherheit zu sorgen und Terroriste­n zu stoppen. Das deutsche Auswärtige Amt warnte am Freitag vor einem weiterhin hohen Anschlagsr­isiko rund um den Flughafen. Auch US-Sicherheit­skräfte rechnen damit, dass Selbstmord­attentäter des afghanisch­en Ablegers der Terrormili­z Islamische­r Staat, die sich zu den Anschlägen bekannt hat, in Kabul unterwegs sind. Die Bundeswehr hatte ihre Rettungsfl­üge am Donnerstag eingestell­t, während die US-Amerikaner weiter Menschen ausfliegen.

Für Präsident Joe Biden droht das Ende des Afghanista­n-Einsatzes zu einem politische­n Fiasko zu werden, das die gesamte Amtszeit überschatt­en könnte. Dabei dürfte es ihm wenig nutzen, dass er es war, der das Ende der Flüge am kommenden Dienstag mit der wachsenden Terrorgefa­hr begründet hatte. Die Nachricht, dass unter den Toten auch 13 US-Soldaten sind, löste in den USA einen Schock aus. Hinzu kommt, dass Bidens Hauptargum­ent für den Abzug, das Ziel der Mission, den internatio­nalen Terrorismu­s in Afghanista­n zu eliminiere­n, sei erreicht, nach dem Anschlag hohl klingt. Biden blieb am Donnerstag in einer emotionale­n Rede an die Amerikaner nur noch, den Terroriste­n mit gnadenlose­r Vergeltung zu drohen.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte die Attacken „absolut niederträc­htig“. In Berlin wird weiter diskutiert, warum die Rettung von deutschen Staatsbürg­ern, einheimisc­hen Ortskräfte­n der Bundeswehr oder Mitarbeite­rn von Hilfsorgan­isationen erst so spät und zunächst völlig unkoordini­ert angelaufen ist. Die Kritik daran war teils vernichten­d. Der Vorsitzend­e des Patenschaf­tsnetzwerk­s Afghanisch­e Ortskräfte, der Bundeswehr­offizier Marcus Grotian, beklagte, dass seine dringenden Warnungen direkt ans Kanzleramt vor einem zu späten Beginn

der Evakuierun­g unbeantwor­tet geblieben seien: „Wir sind von der eigenen Regierung moralisch verletzt, und das ist beschämend.“

Aktuell sind noch etwa 300 Deutsche und mehr als 10000 Afghanen mit Ausreisewu­nsch beim Auswärtige­n Amt registrier­t, erklärte das Auswärtige Amt am Freitag. Nach Angaben des Verteidigu­ngsministe­riums wurden von der Bundeswehr insgesamt 5347 Menschen aus mindestens 45 Ländern ausgefloge­n.

Die Bundesregi­erung versichert­e am Freitag erneut, dass nach dem Abbruch der Luftbrücke keineswegs die Hilfe für die in Afghanista­n verblieben­en Deutschen und die Ortskräfte enden werde. So verhandelt der deutsche Sonderbots­chafter Markus Potzel in Katar weiterhin mit den Taliban über Ausreisemö­glichkeite­n. Diesem Zweck soll auch die Reise von Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) dienen, der ab Sonntag afghanisch­e Nachbarlän­der wie Pakistan oder Usbekistan besucht.

Das Auswärtige Amt will erreichen, dass der Flughafen in Kabul offen gehalten werden kann. Die zweite Möglichkei­t für eine Flucht aus Afghanista­n sind die Landwege in die Anrainerst­aaten. Je nach Region sind das allerdings teilweise lebensgefä­hrliche Routen.

Im Kommentar bewertet Christian Grimm die aktuelle Entwicklun­g. Auf der Dritten Seite erzählen wir vom Bangen um die Menschen, die in diesen Tagen versucht haben, aus Afghanista­n herauszuko­mmen. In der Politik geht es um die neuen Machtverhä­ltnisse in dem zerrüttete­n Land und um das Desaster für US-Präsident Joe Biden.

Scharfe Kritik an deutscher Evakuierun­gsmission

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