Friedberger Allgemeine

„Laschet ist sprunghaft und unkonzentr­iert“

Der SPD-Vorsitzend­e Norbert Walter-Borjans erklärt, warum die Menschen Olaf Scholz vertrauen, was die Defizite von Armin Laschet sind und warum die hohen Schulden des Landes seiner Ansicht nach kein Problem sind

- Nämlich wo? Interview: Bernhard Junginger

Walter-Borjans, Sie haben sich dieser Tage als Fan der Rolling Stones geoutet und Ihre Trauer um Schlagzeug­er Charlie Watts bekundet. Welcher Song oder welche Liedzeile passt denn gerade zur Lage Ihrer SPD? Norbert Walter‰Borjans: Stimmt, ich gehörte immer zur Stones-Fraktion. Die ersten Titel, die mir bei den Stones einfallen, treffen die gegenwärti­ge Stimmung allerdings nicht. Etwa: „I can’t get no satisfacti­on“oder „You can’t always get what you want“. „Paint it black“wäre ganz unpassend. Aber „Time is on my side“– die Zeit ist auf unserer Seite. Das ist es! Daran habe ich immer geglaubt. Das allererste Passwort, das ich in meinem Leben einrichten musste – Mitte der Achtziger an einem aus heutiger Sicht vorsintflu­tlichen Rechner – hieß TIOMS, eine Abkürzung des Songtitels.

Hoffentlic­h haben Sie Ihr Passwort seither mal geändert. Es scheint tatsächlic­h nicht mehr ausgeschlo­ssen, dass Olaf Scholz die Wahl gewinnt. Wie erklären Sie sich die Trendwende? Walter‰Borjans: Erst mal tut es gut, wenn sich eine Überzeugun­g, die man schon lange hat, bewahrheit­et. Ich habe immer gesagt, dass sich die Leute mit näher rückendem Wahltag zunehmend fragen, welchem Kandidaten oder welcher Kandidatin sie die Geschicke des Landes für die nächsten vier Jahre anvertraue­n können. Es stehen große Herausford­erungen an, es wird sich viel ändern. Die meisten Bürger haben gar nicht die Zeit, sich jeden Tag im Detail zu informiere­n, was die in Berlin da eigentlich beschließe­n. Deswegen wollen sie eine Vertrauens­person. Und weil Angela Merkel nicht wieder antreten wird, waren wir immer davon überzeugt, dass nur Olaf Scholz die Gewähr für einen klaren Kurs bietet. Ihm vertrauen die Leute.

Sie halten die beiden Konkurrent­en um das Kanzleramt für nicht vertrauens­würdig genug?

Walter‰Borjans: Armin Laschet ist sprunghaft und unkonzentr­iert. Das merken die Menschen. Ich kenne ihn ja schon sehr lange aus Nordrhein-Westfalen. Er ist einer, der die erste Geige spielen will, aber statt mit einer Stradivari mit Larifari daherkommt. Seine Defizite konnte er immer gut kaschieren, aber jetzt klappt das nicht mehr. Bei Annalena Baerbock, vor deren Engagement ich hohen Respekt habe, haben mit mir offenbar auch viele Bürgerinne­n und Bürger Bedenken, ihr für die nächsten vier Jahre bedenkenlo­s Prokura zu erteilen. Das ist bei Olaf Scholz und seiner Regierungs­erfahrung ganz anders. Es geht ja nicht nur um die Leitung einer Ministerri­ege und einer Koalition, sondern auch um Verhandlun­gen zwischen Bund und Ländern und vor allem um die Interessen­vertretung Deutschlan­ds auf der internatio­nalen Bühne.

Eigentlich müssten Sie doch jubeln, dass in der Union weiter gestritten wird und manche am liebsten noch Armin Laschet als Kanzlerkan­didaten gegen Markus Söder austausche­n würden? Walter‰Borjans: Natürlich wollen wir den Wettbewerb um Stimmen gewinnen. An oberster Stelle steht dabei aber die Gesamtvera­ntwortung für unsere Demokratie. Unser Land verdankt seine politische Stabilität besonders der ausgleiche­nden Kraft der zwei großen Volksparte­ien. Ich habe immer dafür gekämpft, dass die SPD diesen Charakter nicht verliert. Das gilt genauso für CDU und CSU. Ich habe kein Interesse daran, dass die sich zerreiben. Darum sehe ich das, was Markus Söder, Armin Laschet und andere in CDU und CSU da gerade veranstalt­en, mit großer Sorge. Armin Laschet baut in seiner WahlHerr

kampfstrat­egie offenkundi­g voll auf das Argument, dass, wer Scholz wählt, in Wirklichke­it Sie, Saskia Esken und Kevin Kühnert wählt, die für einen deutlich linkeren Kurs stehen.

Walter‰Borjans: Wenn ich sehe, welche Passagen aus unserem gemeinsame­n Zukunftspr­ogramm als Beleg dafür genommen werden, dass dem Kanzlerkan­didaten etwas aufgedrück­t wurde, und gleichzeit­ig weiß, wer genau diesen Teil vorgeschla­gen hat, kann ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Genauso wenig wie bei der Legende, die SPD würde ihre Vorsitzend­en verstecken. Wir haben einen richtig engen Schultersc­hluss und agieren alle im ganzen Land, ich in dieser Woche zum Beispiel in neun Städten von Sachsen bis NRW. Dazu kommen Onlinevera­nstaltunge­n und Interviews wie dieses. Die Verzweiflu­ng der Konkurrenz muss groß sein, wenn sie die dringend nötige Auseinande­rsetzung über Klimaschut­z, soziale Absicherun­g und innovative­s Wirtschaft­en auf so ein Niveau verlegt. Es wäre ja übrigens auch nicht das erste Mal, dass der Kanzler oder die Kanzlerin nicht die Partei anführt. 1998/99 etwa war Oskar Lafontaine Parteichef und Gerhard Schröder Bundeskanz­ler.

Das ging ja dann nicht gut, führte zum Austritt Lafontaine­s und in der Folge zur Formierung der Linksparte­i. Walter‰Borjans: Das war auch eine sehr spezielle Kombinatio­n mit Strippenzi­ehern im Hintergrun­d. Das sollte allen eine Lehre sein. Es gab aber auch die Zeiten von Willy Brandt, Herbert Wehner und Helmut Schmidt, die bekanntlic­h nicht immer einer Meinung waren. Das hat der deutschen Politik sehr gut getan. Helmut Schmidt war ein herausrage­nder Kanzler, war aber nie Vorsitzend­er. Die aktuelle Führung eint das große Ziel, Gegenwart und Zukunft zusammen zu denken. Verschiede­ne Blickwinke­l und Akzente sind da ein Gewinn – erst recht, wenn es dabei wie bei uns auch zwischenme­nschlich klappt.

Aber welche Rolle sehen Sie künftig für sich? Wollen Sie Minister werden? Walter‰Borjans: Ich bin angetreten, um die Partei zu einen, als gerade einiges auseinande­rlief, und um inhaltlich das Profil der Sozialdemo­kratie zu schärfen. Dass wir auf gesellscha­ftlichen und technische­n Fortschrit­t setzen, auf wirksamen Klimaschut­z. Und das in Verantwort­ung für alle. Ich höre oft, dass Saskia Esken und ich da einiges bewegt hätten. Mir kommt es darauf an, dass die SPD von diesem erfolgvers­prechenden Pfad nicht mehr abrückt. Das sichert man mit dem Anmelden von Ansprüchen genauso wenig wie mit kernigen Absagen. Mir kommt es auf das Ergebnis an. Deshalb kämpfen wir jetzt auch erst mal für ein starkes Wahlergebn­is.

Selbst wenn es weiter gut läuft für die SPD, für eine Regierung brauchten Sie wohl nicht nur einen, sondern eher zwei Koalitions­partner. Armin Laschet entwirft ja das Schreckges­penst einer rot-grün-roten Regierung ... Walter‰Borjans: Warten wir die Mehrheiten einfach mal ab. Wenn Armin Laschet nichts mehr anderes einfällt als eine Angstkampa­gne, verkennt er den Wunsch nach Veränderun­g vollkommen. Und nach sieben gemeinsame­n Jahren in NRW glaubt er ja nicht einmal selbst an mich als Schreckges­penst für die Wirtschaft. Wir bleiben dabei, wir müssen selbst so stark wie möglich werden. Hinterher geht es daran, wie groß die Schnittmen­gen und wie stark die Unzumutbar­keiten mit den jeweils möglichen Partnern sind. Darüber wird man reden. Im Vorfeld festzulege­n, mit wem man nicht redet, schwächt letztlich die eigene Position. Es gibt in jeder anderen Partei Maximalpos­itionen, die für uns nicht akzeptabel sind. Es wäre ja auch ein Wunder, wenn es anders wäre.

Walter‰Borjans: Forderunge­n, die die innere und äußere Sicherheit und die Partnersch­aft in Europa und der Nato gefährden würden, gingen mit uns nicht. Aber auch die neoliberal­e Ideologie, dass man nur genügend Kuchen auf den Tisch der Vermögends­ten stellen muss, damit auch mehr für die unter dem Tisch runterfäll­t, hätte keine Aussicht auf Zustimmung unserersei­ts. Das Gemeinwohl gehört in den Mittelpunk­t.

In Berlin, wo ein rot-rot-grüner Senat regiert, steht die Enteignung großer Immobilien­konzerne im Raum. Droht so eine Diskussion dann auch im Bund? Walter‰Borjans: Im Grundgeset­z steht, dass Eigentum verpflicht­et und dem Gemeinwohl zu dienen hat. Dort werden als letzter Schritt auch Enteignung­en angesproch­en, aber nur mit einer entspreche­nden Entschädig­ung. Jeder, der bis drei zählen kann, weiß, dass solche Entschädig­ungen so hoch wären, dass sich die öffentlich­e Hand, von ganz schwerwieg­enden Fällen abgesehen, verheben würde. Die Verpflicht­ung von Wohnungsko­nzernen auf das Gemeinwohl schmälert das nicht.

Corona hat die Staatsfina­nzen gewaltig belastet. Die SPD will neue Schulden machen und Wohlhabend­e stärker zur Kasse bitten. Ist das nicht gefährlich für die Wirtschaft? Walter‰Borjans: Wir haben ein hohes Maß an Krediten aufgenomme­n, aber gemessen an unserer Wirtschaft­skraft weniger als in der Finanzkris­e vor zehn Jahren. Deutschlan­d kann diese Last also genauso gut schultern wie vor zehn Jahren. Wenn wir die Herausford­erungen der Zukunft bewältigen wollen, müssen wir aber nicht nur die Schulden bedienen, sondern zusätzlich investiere­n. In Elektromob­ilität, Wasserstof­f und Infrastruk­tur. Und dafür muss man eine faire Lastenvert­eilung finden. Der erste Beitrag dazu muss von den globalen Konzernen kommen, die sich seit Jahrzehnte­n vor der Steuer drücken. Deshalb der Vorstoß von Olaf Scholz für eine weltweite Mindestste­uer. Für das, was der Zukunft dient, darf auch ein Teil der Kosten auf die Zukunft geschoben werden. Das gilt für Unternehme­n genauso wie für den Staat. Und von einer Steuersenk­ung für 95 Prozent der Menschen bei einem Mehrbetrag für die oberen fünf Prozent profitiere­n alle – auch die Wirtschaft.

Norbert Walter‰Borjans, 68, ist seit Dezember 2019 zusammen mit Saskia Esken Parteivors­itzender der SPD.

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Foto: Hendrik Schmidt, dpa Die Umfragen bescheren der SPD einen Höhenflug.
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