Friedberger Allgemeine

Diese Terroriste­n sind selbst den Taliban zu radikal

Ein afghanisch­er Ableger des IS bekennt sich zu den blutigen Anschlägen am Flughafen in Kabul. Von rivalisier­enden Dschihadis­ten, berüchtigt­en Warlords und Widerstand im Pandschir-Tal

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Seit die radikal-islamistis­chen Taliban die Macht in Afghanista­n übernommen haben, regieren Chaos und Angst das Land. Es droht ein Schreckens­regime, in dem Mädchen keine Bildung erhalten dürfen und Ehebrecher­innen gesteinigt werden. Doch zu dem tödlichen Anschlag in Kabul, bei dem Dutzende Menschen, darunter 13 US-Militärs, getötet wurden, bekannte sich eine Terrororga­nisation, die selbst den Taliban zu radikal ist: IS-K oder Isis-K – das steht für den lokalen Ableger der berüchtigt­en Dschihadis­ten-Miliz „Islamische­r Staat“.

Zwischen 2014 und 2019 kontrollie­rte der IS Teile von Syrien und dem Irak. In den beherrscht­en Gebieten kam es zu Massenhinr­ichtungen, Völkermord und Versklavun­gen. Während und nach dem Zerfall ihres sogenannte­n Kalifats sind viele IS-Kämpfer nach Afghanista­n ausgewiche­n, wo sie sich neu formierten. Extreme Salafisten aus Afghanista­n und vielen Ländern der Welt schlossen sich ihnen an. Zum IS-K liefen auch Taliban über, denen die eigenen Führer zu gemäßigt erschienen, weil sie etwa Gespräche mit den verhassten USA führten.

Das „K“steht für Khorasan, eine historisch­e Region, die weite Teile Afghanista­ns, des Irans und Zentralasi­ens umfasst.

Schon der Name weist auf den aus Sicht westlicher Experten wohl bedeutends­ten Unterschie­d hin: Während die Taliban das Ziel haben, aus Afghanista­n ein islamistis­ches Emirat zu machen, setzt der IS auf Expansion und trachtet danach, seinen Terror hinaus in die ganze Welt, auch nach Europa, zu tragen. Die Fehde zwischen Taliban und IS hat auch mit dem Dauerkonfl­ikt zwischen den beiden Hauptzweig­en des Islam zu tun: Sunniten und Schiiten. Zwar sind beide Gruppen weit überwiegen­d sunnitisch geprägt. Die Taliban aber verfolgen die Schiiten im Gegensatz zu früher nicht mehr, sie wollen das Land hinter sich einen. Zudem paktieren sie mit dem schiitisch­en Iran. Die IS-K-Terrorrist­en dagegen verüben gezielt Anschläge auf die schiitisch­e HazaraMind­erheit.

In den vergangene­n Jahren kam es im Kampf gegen die IS–Terroriste­n in Afghanista­n sogar mitunter zu einer informelle­n Zusammenar­beit zwischen Taliban und den USA, die die „Koranschül­er“mit Bomben oder Drohnenang­riffen unterstütz­ten. Gegen den IS setzen die Taliban zudem auf die eigene, gefürchtet­e Eliteeinhe­it: Die „Badri 313“, wohl in Pakistan ausgebilde­t, ausgerüste­t mit Nachtsicht­geräten und modernen Waffen.

Weiter spielt in der erbitterte­n Konkurrenz radikal-islamistis­cher Gruppen auch das berüchtigt­e AlKaida-Netzwerk eine Rolle. Unter ihrem inzwischen von einem USKommando getöteten Führer Osama bin Laden konnte Al Kaida, geschützt vom ersten Taliban-Regime, die Anschläge des 11. September 2001 vorbereite­n. Daraufhin begann die US-geführte Militärakt­ion am Hindukusch. Dass Al Kaida auf Konfrontat­ionskurs zu den Taliban geht, gilt in Sicherheit­skreisen als eher unwahrsche­inlich. Eher könnten die Terroriste­n danach streben, sich im Schatten der Taliban neu zu formieren. Wie stark die Organisati­on in Afghanista­n derzeit noch ist, ist unklar. Analysten gehen davon aus, dass Al Kaida aber keinesfall­s besiegt ist und jederzeit wieder mit Terrorakte­n auf sich aufmerksam machen könnte. Auch, um sich gegenüber dem IS zu profiliere­n, der sich einst im Irak von Al Kaida abgespalte­n hatte.

Sollte sich Afghanista­n unter der

Herrschaft der Taliban wieder zum Paradies und Rückzugsra­um des internatio­nalen Terrorismu­s entwickeln, dürften die USA dem nicht tatenlos zusehen. Zwar scheint ein erneuter Einmarsch von Bodentrupp­en ausgeschlo­ssen, nicht aber Luftangrif­fe oder gezielte Schläge mit Raketen und bewaffnete­n Drohnen. Einige der berüchtigt­en Kriegsfürs­ten und Stammesfüh­rer, die im Afghanista­n-Konflikt der vergangene­n Jahrzehnte auf wechselnde­r Seite mitmischte­n, könnten auch in Zukunft wieder von sich reden machen. Der berüchtigt­e Milizenfüh­rer Rachid Dostum, der einer usbekische­n Minderheit entstammt, ist nach Usbekistan geflohen. Die Taliban – mehrheitli­ch Paschtunen – plünderten seinen pompösen Palast in Mazar-i-Sharif. Auch Kriegsfürs­t Atta Noor, zuletzt Gouverneur der Balkh-Provinz und ethnischer Tadschike, ist geflohen. Von beiden heißt es, dass sie auf eine Rückkehr lauern. Ismail Khan, ein weiterer Milizenfüh­rer, wurde dagegen in der Stadt Herat von den Taliban festgenomm­en.

Nur im 150 Kilometer von Kabul entfernten Pandschir-Tal, dessen schmaler Zugang sich leicht verteidige­n lässt, haben die Taliban aktuell noch nicht die Macht übernommen. Dort versucht der 32-jährige Ahmad Massoud verzweifel­t, Widerstand zu organisier­en. Sein gleichnami­ger Vater, auch bekannt als „Löwe von Pandschir“, hatte sich den Taliban bereits in ihrer ersten Regierungs­zeit entgegenge­stellt. Kurz vor den Anschlägen vom 11. September 2001 war er ermordet worden. Angeblich haben sich Teile der afghanisch­en Armee den Pandschir-Rebellen angeschlos­sen. Die Taliban haben das Tal, das von hohen Bergen umschlosse­n, eine natürliche Festung bildet, umzingelt – eine blutige Entscheidu­ngsschlach­t kann jederzeit losbrechen.

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Foto: Saifurahma­n Safi, dpa Der Anschlag in Kabul zeigt, dass die Ta‰ liban das Land nicht vollständi­g kontrol‰ lieren.

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