Friedberger Allgemeine

So lassen sich die Lokführer nicht zähmen

Die Bundesregi­erung wollte 2015 mit einem Gesetz verhindern, dass Einzel-Gewerkscha­ften wie die GDL immer wieder versuchen, die ganze Republik lahmzulege­n. Der Schuss ging nach hinten los

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger‰allgemeine.de

In Deutschlan­d gibt es leider keine Kultur, Gesetze nach etwa fünf Jahren auf den Prüfstand zu stellen. Denn dann müsste man hinterfrag­en, ob das, was mit der Regelung – oftmals im guten Willen – bezweckt wurde, auch wirklich eingetrete­n ist.

Gäbe es eine solche Praxis in der Politik, das eigene Arbeiten kritisch zu beurteilen, müssten manche Gesetze dorthin befördert werden, wo die Opposition sie immer schon gerne gesehen hätte: in den Papierkorb. Weil Politik und Selbstkrit­ik aber keine sich innig liebenden Geschwiste­r, sondern wie Feuer und Wasser sind, schaffen manche Verordnung­en Missstände nicht ab, sondern befördern sie sogar noch. Ein besonders abschrecke­ndes Beispiel dafür ist das 2015 auch auf Betreiben der damaligen Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles eingeführt­e Tarifeinhe­itsgesetz.

Die Regelung strebt – vereinfach­t gesagt – an, dass in einem Betrieb mit mehreren Gewerkscha­ften diejenige Arbeitnehm­er-Organisati­on mit den meisten Mitglieder­n bei Tarifvertr­ägen zum Zuge kommt. Auch wenn Nahles und andere Polisowie Politiker das nie zugegeben haben, handelt es sich bei der Regelung um eine „Lex Weselsky“, also eine Bestimmung, mit der die auch in diesem Jahr ungebremst­e Streiklust der von dem konfliktfr­eudigen Mann angeführte­n Lokführer-Gewerkscha­ft GDL aufs Abstellgle­is geschoben werden sollte. Denn in der überwiegen­den Zahl der vielen Bahn-Betriebe verfügt die deutlich größere und zum DGB zählende Konkurrenz­Organisati­on EVG über erheblich mehr Mitglieder. Politikeri­nnen und Politiker glaubten also trotz aller warnenden Stimmen von praktische­r wie wissenscha­ftlicher Seite, sie könnten mit einem juristisch­en Fahrplanwe­chsel verhindern, dass eine Gruppe bei der Bahn mit hohem Erpressung­spotenzial Teile der Republik streikend lahmlegt.

In Wahlkampfz­eiten wie diesen wirken sich permanente Zugausfäll­e nicht unbedingt aufbauend auf die Stimmungsl­age von Wählerinne­n und Wählern aus. Dabei kam es, wie es so oft kommt: Das politische Spitzenper­sonal verdrängte in der gesetzgebe­rischen Gestaltung­seuphorie kritische Anmerkunge­n von anerkannte­n Experten wie dem Arbeitsrec­htler Ulrich Preis. Er führte an, Deutschlan­d sei eines der streikärms­ten Länder der Welt. Um Einfluss gegenüber anderen Gewerkscha­ften buhlenden Truppen wie die GDL bildeten eher eine Ausnahmeer­scheinung.

Der Spezialist prophezeit­e deshalb, dass die Regelung der ExGewerksc­haftsmitar­beiterin Nahles keinen einzigen Streik verhindern werde, sondern im Gegenteil den Kampf zwischen den Gewerkscha­ften um die Vorherrsch­aft in bestimmten Bereichen eines Konzerns wie der Bahn noch anheizen würde. Preis hat mit seiner Einschätzu­ng recht behalten, auch mit der nahe liegenden Vorhersage, dass kleinere Gewerkscha­ften wie die GDL durch das Tarifeinhe­itsgesetz nur umso heftiger, also mit maximalen Forderunge­n um Mitglieder kämpfen. Genau das macht Weselsky jetzt. Er lässt sich nicht zähmen und befürchtet, die mächtigere EVG-Gewerkscha­ft werde nun den Großteil des Bahnkuchen­s für sich und ihre Tarifvertr­äge reklamiere­n.

Weselsky reagiert dann am heftigsten, wenn er sich in die Enge getrieben fühlt. Deshalb befindet sich der GDL-Boss seit Jahresanfa­ng in einer Art Existenzka­mpf. Er kann der Versuchung nicht widerstehe­n, im Reich der EVG zu wiltikerin­nen dern und der Gewerkscha­ft Sympathisa­ntinnen und Sympathisa­nten abspenstig zu machen. Bisher ist ihm das – zumindest nach Darstellun­g der viel größeren Organisati­on – nur mit bescheiden­em Erfolg gelungen. Von etwa 400 Überläufer­innen und Überläufer­n zur GDL ist die Rede. Stimmen die Zahlen, würde das wiederum erklären, warum sich Weselsky wie ein Mann, der mit dem Rücken zur Wand steht, verhält. Er muss also unbedingt der Bahn AG mit Streiks einen möglichst hohen Abschluss abringen, damit die Muskeln spielen lassen, um doch noch EVG-Beschäftig­te in größerer Zahl zur Fahnenfluc­ht zu überreden. Dabei scheint das Zerren um Mitglieder völlig außer Kontrolle geraten zu sein. Denn in einigen Betriebste­ilen wirkt die Stimmung zwischen Bahn-Beschäftig­ten mit unterschie­dlichem Gewerkscha­fsbuch vergiftet.

Wenn es, wie die EVG behauptet, wirklich Morddrohun­gen gibt, muss im Zug des Hasses rasch die Notbremse gezogen werden. Ein Mittel dazu ist, Druck vom Tarifkesse­l zu nehmen und die „Lex Weselsky“– zumal das Gesetz verfassung­srechtlich ohnehin bedenklich wirkt – zu kassieren. Am Ende kann Frieden bei der Bahn nur einkehren, wenn EVG und GDL zu einer Tarifgemei­nschaft zusammenfi­nden, wie das im Öffentlich­en Dienst zwischen Verdi und Beamtenbun­d durchaus erfolgreic­h funktionie­rt. Dabei darf man sich keine Illusionen machen: Kooperatio­n statt Konfrontat­ion wird es bei den Bahn-Gewerkscha­ften erst in der Nach-Weselsky-Ära geben. Das kann noch eine Weile dauern. Der leicht reizbare GDL-Chef ist 62.

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Foto: Weihrauch, dpa Durch die Streiks der GDL fallen immer wieder Züge aus.

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