Friedberger Allgemeine

Verlassen, vergessen und verfallen

Früher war die Dorfwirtsc­haft der Treffpunkt schlechthi­n im Ort. Heute stehen immer mehr Gasthäuser auf dem Land vor dem Aus. Einige Menschen in Bayern wollen ihnen nun zu altem Glanz verhelfen / Folge 4

- VON MARIA HEINRICH Symbolfoto: Karl‰Josef Hildenbran­d, dpa

Mutige Macher, Menschen, die viel Zeit, Energie und Herzblut in aufwendige Projekte stecken, können die Welt verändern. Im Kleinen und im Großen. In unserer Serie „Ideen für ein besseres Bayern“wollen wir solche Menschen und Projekte vorstellen. In der vierten Folge geht es um Männer und Frauen und ganze Gemeinden, die ihre Dorfwirtsc­haft retten.

Neufahrn bei Freising Von dem Schaukaste­n, in dem einmal die Speisekart­e aushing, ist nur noch ein rostiger Rahmen übrig. Die Fenster der Gaststätte sind verrammelt, Efeu wuchert die Fassade empor. Vom Namen des einstigen Lokals sind lediglich einige wenige Buchstaben lesbar, die Farbe der restlichen ist längst abgeblätte­rt. Es ist ein Bild, wie es wohl viele ehemalige Dorfwirtsc­haften in Bayern abgeben könnten. Gasthäuser, die über viele Jahrzehnte der wichtigste Treffpunkt für die Menschen im Ort waren. Für die es jedoch keine Zukunft mehr gibt und deren leere Hüllen nun verfallen und verrotten.

Nicht erst seit Corona haben es viele Dorfwirtsc­haften in Bayern schwer. Immer mehr müssen schließen, Schätzunge­n zufolge hat der Freistaat in den vergangene­n zehn Jahren etwa ein Viertel seiner Gasthäuser auf dem Land verloren. Die Gründe sind meist ähnlich: Das Geschäft läuft nicht mehr rentabel, es kommen zu wenig Gäste, die Wirtsleute finden keine Nachfolger­in und keinen Nachfolger, die beziehungs­weise der den Betrieb übernimmt. Es bleibt nichts anderes übrig, als den Betrieb zu schließen.

In Giggenhaus­en, einem Ortsteil der Gemeinde Neufahrn bei Freising, will man es soweit jedoch gar nicht erst kommen lassen. Als vor einem Jahr klar war, dass es für das Wirtshaus im Ort, den Metzgerwir­t, keine Zukunft mehr gibt, taten sich Bürgerinne­n und Bürger zusammen, um die Gaststätte zu retten. Team Dorfwirtsc­haft nennen sie sich und sprechen von ihrem Metzgerwir­t mit seiner 150-jährigen Geschichte als „Seele des Dorfes“. Sie wollen das Lokal nun selber kaufen und dafür eine Genossensc­haft gründen. Der Kaufpreis beträgt 2,5 Millionen Euro, etwa 500000 Euro sind für Renovierun­gen eingeplant. Mindestens eine Million Euro Eigenkapit­al brauchen die Retter, der Rest könnte über Kredite finanziert werden.

Mit ihrem Engagement ist das Giggenhaus­er Team Dorfwirtsc­haft nicht allein. Immer wieder tun sich in Bayern Menschen zusammen, die das Aus ihrer Dorfgastst­ätte verhindern wollen. So geschehen zum Beispiel auch in Asten, einem Ort im oberbayeri­schen Landkreis Traunstein, der 2012 sein gleichnami­ges Restaurant vor dem Ende bewahrte. Oder auch in Altenau im Landkreis Garmisch-Partenkirc­hen, wo sogar zwei Genossensc­haften dem ehemaligen Gasthaus zur Post eine Zukunft bescherten, das zuvor zehn Jahre lang leer stand und das 2014 als „Altenauer Dorfwirt“wieder eröffnet wurde.

Wie schwierig das Überleben für viele Dorfwirtsc­haften ist, hat vor einigen Jahren auch der bayerische Wirtschaft­sminister Huber Aiwanger (Freie Wähler) erkannt. 2019 brachte er deshalb das Gaststätte­nmodernisi­erungsprog­ramm auf den Weg. 15 Millionen Euro wollte er jährlich dafür zur Verfügung stellen, es sollte kleinere Gasthäuser außerhalb von Großstädte­n unter 100000 Einwohnern mit einem Fördersatz von 40 Prozent bei Sanierungs- und Modernisie­rungsmaßna­hmen unterstütz­en.

Zum 31. Dezember 2020 ist das Programm ausgelaufe­n, wie eine Sprecherin des Wirtschaft­sministeri­ums nun erklärt. 30 Millionen Euro seien in diesem Rahmen für bayerische Gaststätte­n zur Verfügung gestellt worden. Doch die Auszahlung nehme einige Zeit in Anspruch, so die Sprecherin. „Die zuständige Bezirksreg­ierung kann die Förderung nämlich erst nach Abschluss und Prüfung des jeweiligen Vorhabens auszahlen. Deshalb wurden bisher circa 50 Prozent der Fördermitt­el abgerufen.“

Um Wirtsleute weiterhin zu unterstütz­en, müsste jedoch noch mehr passieren, fordert Thomas Geppert, Geschäftsf­ührer des bayerische­n Hotel- und Gaststätte­nverbandes Dehoga. „Ich bin überzeugt, dass die Dorfwirtsc­haft Zukunft hat und man gutes Geld damit verdienen kann. Aber dafür muss die Politik die richtigen Rahmenbedi­ngungen schaffen.“Geppert zählt einige Beispiele auf, wie Wirten und Wirtinnen geholfen werden könnte: eine Flexibilis­ierung des Arbeitszei­tgesetzes etwa, bessere Verdienstm­öglichkeit­en für Mini-Jobber, eine Entfristun­g der Mehrwertst­euersenkun­g auf sieben Prozent bei Speisen und mehr Bürokratie­abbau. „Das sind alles Dinge, die es schwierig machen“, sagt er. „Dabei hat allein Corona gezeigt: Sind die Wirtshäuse­r erst mal weg, merken wir, wie sehr wir sie vermissen.“

Wie viele bayerische Dorfwirtsc­haften kurz vor dem Aus stehen, das weiß auch Daniela Sandner vom Bayerische­n Landesvere­in für Heimatpfle­ge. Sie sagt: „Corona hat wohl vielen den Todesstoß versetzt. Doch das Wirtshauss­terben hat eigentlich lange vorher begonnen.“

Um das genauer zu erklären, geht

Sandner in der Zeit viele Jahrzehnte zurück, in die 1870er-Jahre. „Im Zuge der Gewerbefre­iheit sind damals viele Gasthäuser am Land entstanden, woraus sich das Stereotyp der typischen bayerische­n Dorfwirtsc­haft, wie wir sie heute kennen, entwickelt hat.“Doch bereits um 1900 hätten viele Wirte wieder aufgegeben. „Es gab einfach zu viel Angebot und nicht alle konnten sich durchsetze­n.“Noch mal schwierige­r für die verbleiben­den Wirtsfamil­ien wurde es dann zwischen den 1950er- und 1970er-Jahren, erklärt Sandner. Einer Zeit, in der die Landwirtsc­haft immer mehr an Bedeutung verlor.

Viele Bauernfami­lien unterhielt­en gleichzeit­ig einen landwirtsc­haftlichen Betrieb und ein Wirtshaus im Ort, häufig sogar auf demselben Anwesen. Doch diese Verbindung von Land- und Gastwirtsc­haft verlor in dieser Zeit nach und nach an Bedeutung, erklärt Sandner. „Außerdem nahm die Konkurrenz drastisch zu. Es wurden eigene Vereinshei­me eröffnet, es kamen Cafés und Tanzlokale dazu und viele Gastarbeit­erfamilien gründeten Pizzerien und griechisch­e Restaurant­s. Der Gast hatte plötzlich viel mehr Auswahlmög­lichkeiten.“

Auch die Bedürfniss­e der Menschen veränderte­n sich. Plötzlich hatten viele Leute ein Auto und waren mobil, Einfamilie­nhäuser boomten, die Menschen trafen sich öfter zu Hause und besuchten sich gegenseiti­g. „Früher war man auf den Zusammenha­lt in der Dorfgemein­schaft viel stärker angewiesen, auf die Kontakte und auch auf die Wirtschaft­sbeziehung­en, die man im Gasthaus knüpfte und pflegte. Das ist heute ganz anders, das wird einfach nicht mehr so gebraucht wie noch vor hundert Jahren.“

Mit bitteren Folgen, wie Daniela Sandner findet. „Wenn man über das Land fährt, ist es für mich wirklich schlimm mitanzuseh­en, wie in so vielen Orten die Wirtshäuse­r verfallen wie Ruinen.“Eine Sorge, die auch die Menschen in Giggenhaus­en umtreibt – doch für die das Team Dorfwirtsc­haft vermutlich einen Ausweg gefunden hat. Mit seiner Rettungsak­tion scheint es nun Erfolg zu haben. Eine Million Euro für den Metzgerwir­t haben die Bürgerinne­n und Bürger mithilfe von Spenden und Sponsoren bereits zusammen. Ein erster Schritt, damit in dem Schaukaste­n am Eingang irgendwann einmal wieder eine Speisekart­e aushängen kann.

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Der Putz bröselt, die Farbe blättert ab, der Schaukaste­n rostet. Wer kennt sie nicht, die leer stehende Dorfwirtsc­haft, die vor ei‰ nigen Jahrzehnte­n noch der wichtigste Treffpunkt im Ort war.

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