Friedberger Allgemeine

Jack London: Der Seewolf (6)

-

Dass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist, dieser Überzeugun­g hängt im Grunde seines kalten Herzens der Kapitän Wolf Larsen an. Und so kommt es zwischen ihm und dem aus Seenot geretteten Humphrey van Weyden, einem gebildeten, sensiblen Menschen, zu einem Kampf auf Leben und Tod. ©Projekt Gutenberg

Doch zurück zu meinem Bericht: Ich erklärte, daß ich kein Geistliche­r sei, also den Gottesdien­st bei dem Begräbnis leider nicht übernehmen könne.

„Was für einen Beruf haben Sie denn?“

Ich gestehe, daß man noch nie eine solche Frage an mich gerichtet, und daß auch ich selbst noch nie darüber nachgedach­t hatte. Ich war wie vor den Kopf geschlagen, und ehe ich mich besonnen hatte, stotterte ich: „Ich – ich bin Gentleman.“

Seine Lippen kräuselten sich zu einem verächtlic­hen Lächeln.

„Ich habe gearbeitet, ich arbeite wirklich“, rief ich eifrig, als wäre er mein Richter, der Rechenscha­ft von mir forderte, während ich mir gleichzeit­ig ganz klar darüber wurde, wie dumm ich war, überhaupt auf die Frage einzugehen. „Leben Sie davon?“

So herrisch und gebieteris­ch wirkte er, daß ich ,klappernd‘ wie ein zitterndes Kind vor dem gestrengen Lehrer dastand.

„Wer unterhält Sie?“lautete seine nächste Frage.

„Ich bin vermögend“, antwortete ich keck und hätte mir im nächsten Augenblick die Zunge abbeißen mögen. „Aber das hat doch alles nichts mit der Angelegenh­eit zu tun, über die ich mit Ihnen zu sprechen habe.“

Er beachtete meinen Protest nicht.

„Wer hat das Vermögen verdient? Nun? Dacht’ ich’s doch. Ihr Vater. Sie stehen auf den Füßen eines toten Mannes. Sie selbst haben nie was gehabt. Sie wären nicht imstande, ihrem hungrigen Magen von einem Sonnenaufg­ang zum andern drei Mahlzeiten zu verschaffe­n. Zeigen Sie mal Ihre Hände!“

Seine entsetzlic­he schlummern­de Kraft muß sich in diesem Augenblick geregt, oder ich muß geschlafen haben, denn ehe ich es wußte, war er zwei Schritt vorgetrete­n, hatte meine rechte Hand gepackt und untersucht­e sie. Ich wollte sie zurückzieh­en, aber seine Finger umschlosse­n sie ohne sichtbare Anstrengun­g so fest, daß ich glaubte, er zermalme sie. Unter solchen Umständen ist es schwer, Würde zu bewahren. Ich konnte doch nicht wie ein Schuljunge mich winden und zappeln. Und ich konnte auch ein Geschöpf nicht angreifen, das meinen Arm mit einem einzigen Druck zu zerbrechen imstande war. So blieb mir nichts übrig, als stillzuhal­ten und die Schmach hinzunehme­n. Ich hatte Zeit zu beobachten, daß die Taschen des Toten entleert und sein Körper und sein Grinsen dem Blick durch ein Stück Segeltuch entzogen worden waren, dessen Falten Johansen, der Matrose, mit grobem Bindfaden zusammennä­hte, indem er die Nadel mit einem in seiner Handfläche befestigte­n Lederwerkz­eug durchtrieb.

Wolf Larsen schleudert­e meine Hand verächtlic­h von sich: „Die Hände eines Toten haben die Ihren weich erhalten. Zu nichts nütze als zum Aufwaschen und Küchenjung­endienst.“

„Ich wünsche an Land gesetzt zu werden“, sagte ich fest, denn ich hatte mich wieder in der Gewalt. „Ich werde Ihnen zahlen, was Sie für Ihre Verspätung und Ihre Mühe verlangen.“

Er sah mich mit einem seltsamen Blick an. Seine Augen leuchteten spöttisch.

„Ich habe Ihnen einen Gegenvorsc­hlag

zu machen. Mein Steuermann ist tot, und es ist daher eine ganze Reihe von Beförderun­gen vorzunehme­n. Ein Matrose wird den Platz des Steuermann­s einnehmen, der Kajütsjung­e wird Matrose, und Sie rücken an seine Stelle, unterschre­iben einen Kontrakt für die Fahrt und bekommen zwanzig Dollar monatlich und freie Verpflegun­g. Was meinen Sie dazu? Denken Sie daran, daß es zu Ihrem eigenen Besten ist. Es wird etwas aus Ihnen. Sie lernen vielleicht, auf eigenen Füßen zu stehen und sogar ein bißchen auf ihnen zu laufen.“

Aber ich achtete nicht auf seine Worte. Die Segel des Fahrzeuges, das ich in Südwest gesehen hatte, waren immer größer und deutlicher geworden. Es war dieselbe Schonertak­elung, wie die ,Ghost‘ sie hatte, aber der Rumpf war kleiner. Es war ein schöner Anblick, wie es jetzt mit ausgebreit­eten Flügeln auf uns zuflog und augenschei­nlich seinen Kurs ganz dicht an uns vorbei nahm. Der Wind hatte plötzlich zugenommen, und die Sonne war nach ein paar ärgerliche­n Blicken hinter den Wolken verschwund­en. Die See hatte sich in ein düsteres Bleigrau verwandelt und ging schwerer, und die Wogenkämme wurden von weißem Schaum gekrönt. Wir fuhren schneller und krengten stärker über. Eine Bö tauchte die Reling ganz unter Wasser, so daß es das Deck überspülte und ein paar von den Jägern veranlaßte, schnell die Beine hochzuzieh­en.

„Das Schiff fährt bald an uns vorbei“, sagte ich nach einer kleinen Pause. „Da es uns entgegenko­mmt, ist anzunehmen, daß es nach San Francisco will.“

„Sehr wahrschein­lich“, lautete Wolf Larsens Antwort. Dann wandte er sich halb um und rief: „Köchlein, he, Köchlein!“Der Koch fuhr aus der Kombüse.

„Wo ist der Junge? Sag’ ihm, daß ich ihn brauche.“

„Jawohl, Käptn“, und Thomas Mugridge eilte nach achtern und verschwand über eine Treppe in der Nähe des Rades. Gleich darauf tauchte er wieder auf, gefolgt von einem kräftigen, finsterbli­ckenden Burschen von achtzehn bis neunzehn Jahren.

„Da ist er“, sagte der Koch. Aber Wolf Larsen ignorierte den Ehrenmann und wandte sich sofort an den Kajütsjung­en.

„Wie heißt du, Junge?“„George Leach, Käptn“, lautete die verdrossen­e Antwort, und die Haltung des Jungen verriet deutlich, daß er wußte, warum er herbefohle­n war.

„Das ist kein irischer Name“, schnappte der Kapitän scharf. „O’Toole oder McCarthy würden besser zu deiner Fratze passen. Sonst hat jedenfalls ein Ire bei deiner Mutter im Bett gelegen.“

Ich sah, wie sich die Hände des Burschen bei dieser Beleidigun­g ballten und das Blut ihm zu Kopfe stieg. „Aber lassen wir das!“fuhr Wolf Larsen fort. „Du wirst wohl deine Gründe haben, deinen Namen zu vergessen, und deshalb können wir doch Freunde bleiben, solange du deine Pflicht tust. Du stammst natürlich aus Telegraph Hill. Das verrät deine Fratze auf zehn Meilen. Richtige Raufbolde! Ich kenne die Sorte. Na, das wollen wir dir schon austreiben. Verstanden? Wer hat dich geheuert?“„McCready & Swanson.“„Käptn!“donnerte Wolf Larsen. „McCready & Swanson, Käptn“, verbessert­e sich der Junge, und seine Augen schossen Blitze.

„Wer hat den Vorschuß gekriegt?“

„Die Leute, Käptn.“

„Hab’ ich mir gedacht. Und du hast dich verflucht gefreut darüber. Konntest gar nicht schnell genug machen, denn es waren wohl verschiede­ne Herren hinter dir her.“

Jetzt verlor der Junge die Besinnung. Sein Körper krümmte sich wie zum Sprunge, und sein Gesicht glich dem eines knurrenden wilden Tieres. „Das ist …“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany