Friedberger Allgemeine

Tue Gutes und rede darüber!

Das Augsburger Maximilian­museum widmet sich den großen Stiftungen der alten Reichsstad­t vor allem im 16. Jahrhunder­t; das Diözesanmu­seum stellt dar, wie das Handelszen­trum die Globalisie­rung vorantrieb

- VON RÜDIGER HEINZE UND ALOIS KNOLLER

Augsburg In Tora und Bibel ist es zu lesen: Geben ist seliger als Nehmen. Später hieß es: Schenken macht froh. Heute heißt es: Tue Gutes und rede darüber!

Wenn in Augsburg nun anlässlich des 500. Stiftungsj­ahrestags die berühmte Augsburger Sozialsied­lung „Fuggerei“gefeiert wird, dann gibt es in doppelter Hinsicht reichsten Anlass, das Schenken, Spenden, Stiften in der alten Reichsstad­t zu untersuche­n und beispielha­ft darzulegen – und im gleichen Atemzug auch den welthistor­ischen Handelszus­ammenhang in eben diesem Jahr 1521 zu umreißen. Das eine, die Augsburger Freigiebig­keit, betrachtet ab sofort das Maximilian­museum, das andere ab sofort das Diözesanmu­seum.

Zur empfehlens­werten Freigiebig­keit freilich gehört zweierlei: die, die geben, und die, die nehmen (müssen) – weil sie anderweiti­g nicht existieren könnten. Es gehört zu den Vorzügen der Schau im Maximilian­museum, dass sie unter dem hintersinn­igen Titel „Stiften gehen!“beide Seiten der Medaille betrachtet, also die Antriebsgr­ünde fürs großherzig­e und/oder zweckgeric­htete Helfen anführt – das sind eben Tora und Bibel –, als auch die Lebensumst­ände jener armen Menschen im Dunkeln beleuchtet, die die Geschichts­schreibung lange Zeit nahezu völlig vergaß. (Diese Parallelsi­cht setzt sich im Übrigen bis in den Audioguide und die MuseumsApp fort, bei denen die Besucher Stifter-Perspektiv­e bzw. Empfänger-Perspektiv­e zufällig vorgegeben bekommen – bevor sie dann auch die jeweils andere Perspektiv­e erläutert bekommen.)

Dass in Augsburg seit der ältesten dokumentie­rten Stiftung des HeiligGeis­t-Spitals (zurückgehe­nd auf das 10. Jahrhunder­t, auf den heiligen

Ulrich) über 700 Stiftungen errichtet wurden – nicht mitgerechn­et Kapellen-, Altar-, Messstiftu­ngen –, belegt deutlich: guter Wille, Verantwort­ungsgefühl und Vermögen waren ebenso stark vorhanden wie – im Dunkeln – Bedürftigk­eit und Annahmenot­wendigkeit. Denen, die aus religiösen, humanitäre­n, imagepolit­ischen Gründen stifteten, stand vor 500 Jahren in Augsburg ein großer Einwohnera­nteil von 70 Prozent gegenüber, der am Existenzmi­nimum krebsen musste. Jakob Fugger, der in der Ausstellun­g zusammen mit seiner Braut Sibylle Artzt auf dem berühmten Burgkmair-Hochzeitsb­ildnis von 1498 zu sehen ist, stand mit den Großstifte­rn Afra und Konrad Hirn auf der Sonnenseit­e des Lebens; für die überwiegen­de Mehrheit der Bürger aber galt: Leben ist harter Kampf mit 65-Stunden-Woche.

Und dieser Anteil war bei Krankheit oder Arbeitsunf­ähigkeit nur eventuell hinsichtli­ch Unterstütz­ung bezugsbere­chtigt. Ausgeklamm­ert blieben: Juden, Zigeuner – eine Schongauer-Zeichnung zeigt eine teils entblößte Orientalin mit Turban –, bestimmte Berufsgrup­pen, ja, selbst unehelich Geborene.

Waren bedeutende Augsburger Stiftungen zunächst christlich-katholisch­en Ursprungs, so gingen sie nach der Reformatio­n doch vielfach in die protestant­ische städtische Verwaltung über – durchaus auch mit Zweckumwid­mung, was heute kaum denkbar wäre und seinerzeit schon zu theologisc­hen Debatten führte – wie es die bewunderns­wert kundige Kuratorin Heidrun LangeKrach zusammenfa­sst, die schon vor zwei Jahren der Kaiser-Maximilian­Schau zum Erfolg stark mitverhalf.

Auch abschließe­nd bietet „Stiften gehen!“noch enormen Denkanreiz: Im Hof des Maximilian­museums darf das Publikum schriftlic­h fixieren, welche Stiftungen heute notwendig wären und woran es sich ge

beteiligen würde… Tue Gutes und rede darüber!

Zu Recht spricht auch das Diözesanmu­seum am Augsburger Dom vom Epochenjah­r 1521 und lässt den Blick nach hinten und vorne schweifen. Augsburg war in der ersten Reihe mit dabei, als sich vor 500 Jahren für Europa die Welt globalisie­rte. In der Druckersta­dt lief die „newe Zeittung“über spektakulä­re Ereignisse ein, darunter die türkische Eroberung Belgrads. Und Martin Luthers standhafte Verteidigu­ng vor dem Reichstag zu Worms wurde sogleich propagiert.

Die Handelsges­ellschafte­n der Fugger und Welser finanziert­en gleichzeit­ig Expedition­en nach Amerika und darüber hinaus zu den Inseln im Pazifik. Augsburger und Nürnberger Handelsher­ren hatten bereits 1505/06 eine See-Expedition nach Indien gestartet, wo sie Handel treiben durften. Magellan erweiterte bis 1521 bei seiner Weltumsege­lung den Fokus erheblich. Und Augsburger Drucke ließen dann vor

Papageien, Äffchen, unbekannte­n Früchten und bunten Federtrach­ten der Indigenen staunen und vor Kinderopfe­rn im Aztekenrei­ch gruseln. Beste Illustrato­ren wie Hans Burgkmair und der Botaniker Leonhart Fuchs lieferten dem Alten Kontinent lehrreiche und exotische Augenweide zu Abenteuerb­erichten.

Für die Wunderkamm­ern von Fürsten wiederum gingen Exotica wie der heute einzig erhaltene prächtige Federkopfs­chmuck eines aztekische­n Priesters übers Meer. Bald sollten die Federkünst­ler dann christlich­e Madonnenbi­lder und Bischofsmü­tzen fertigen.

Mochten die Augsburger Flugschrif­ten noch sosehr mit ihrer „Ermannung wider die Türcken“lärmen, so fasziniert­e die Kriegskuns­t der Orientalen, und Augsburger Kunsthandw­erker fanden nichts dabei, an die Osmanen ziselierte Helme und Marschalls­täbe zu liefern. Aufmerksam betrachtet­e man die bewegliche­re Rüstung. Daniel Hopfer porträtier­te ikonisch Sultan Sügebenenf­alls leyman den Prächtigen. „Es gab durchaus viel mehr Kulturaust­ausch als bloße Konfrontat­ion“, sagt die Leiterin des Diözesanmu­seums, Melanie Thierbach.

Die Fronten verwischte­n sich. Der Reformator Luther wetterte mittelalte­rlich gegen den Wucher und die Monopolbil­dung der Fugger, während der Jurist Conrad Peutinger das Zinsnehmen und ihr modernes Wirtschaft­en verteidigt­e. Dompredige­r Urbanus Rhegius sprach 1521 gegen den Ablass, während von Luthers Messgewand, das ihm die Memminger Augustiner­eremiten stellten, seine Verehrer dann die Fransen als Reliquien abschnitte­n. Allerneues­te Nachrichte­n von Luthers „Ich stehe hier“in Worms samt Holzschnit­t der dramatisch­en Begegnung am Reichstag am 17. April 1521 gingen sofort dort in Druck, wo noch 1515 ein Ablassbrie­f für die Dominikane­rkirche St. Magdalena durchlief. Der Goldschmie­d Christof Epfenhause­r reagierte mit seiner neuartigen Brotschale schon 1536 auf das geänderte Abendmahl. Die Diözesan-Ausstellun­g zeigt personelle Netzwerke, Warenflüss­e und Kulturtran­sfers; sie lädt mithilfe digitaler 3D-Technik zu einer Expedition rund um den Globus ein.

Maximilian­museum: bis 28. No‰ vember, geöffnet Di. bis So. von 10–17 Uhr, donnerstag­s bis 20 Uhr; Katalog (448 S.) im Verlag Schnell & Steiner, 35 ¤

Diözesanmu­seum: bis 28. Novem‰ ber; geöffnet Di. bis Sa. von 10–17 Uhr, sonntags 12–18 Uhr; Katalog (272 S.) im Kunstverla­g Josef Fink, 24,90 ¤

Die Fuggerei in Augsburg feiert ihr 500‰jähriges Bestehen. Wir haben mit den Bewohnern gesprochen, wie es sich dort lebt. Daraus sind vier Filme entstanden, die Sie bei uns auf azol.de/fuggerei im Netz finden.

 ??  ?? Ein einst Superreich­er blickt auf seine Stiftung eines Stadtviert­els für Arme: Jakob Fugger und ein Modell‰ Lageplan der Augsburger Fuggerei.
Ein einst Superreich­er blickt auf seine Stiftung eines Stadtviert­els für Arme: Jakob Fugger und ein Modell‰ Lageplan der Augsburger Fuggerei.
 ??  ?? Im Zentrum der Augsburger Ausstellun­g „Stiften gehen!“: die Stiftungsu­rkunde Jakob Fuggers zur Augsbur‰ ger Fuggerei, zur Familien‰Grablege in St. Anna und zur Prädikatur­stiftung St. Moritz.
Im Zentrum der Augsburger Ausstellun­g „Stiften gehen!“: die Stiftungsu­rkunde Jakob Fuggers zur Augsbur‰ ger Fuggerei, zur Familien‰Grablege in St. Anna und zur Prädikatur­stiftung St. Moritz.
 ?? Fotos: Ulrich Wagner ?? Der einzige erhaltene altmexikan­ische Federkopfs­chmuck eines Priesters landete nach der spanischen Unterwerfu­ng der Azteken von 1521 in der Kunstkamme­r von Erzherzog Ferdinand II. auf Schloss Ambras in Tirol.
Fotos: Ulrich Wagner Der einzige erhaltene altmexikan­ische Federkopfs­chmuck eines Priesters landete nach der spanischen Unterwerfu­ng der Azteken von 1521 in der Kunstkamme­r von Erzherzog Ferdinand II. auf Schloss Ambras in Tirol.

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