Tue Gutes und rede darüber!
Das Augsburger Maximilianmuseum widmet sich den großen Stiftungen der alten Reichsstadt vor allem im 16. Jahrhundert; das Diözesanmuseum stellt dar, wie das Handelszentrum die Globalisierung vorantrieb
Augsburg In Tora und Bibel ist es zu lesen: Geben ist seliger als Nehmen. Später hieß es: Schenken macht froh. Heute heißt es: Tue Gutes und rede darüber!
Wenn in Augsburg nun anlässlich des 500. Stiftungsjahrestags die berühmte Augsburger Sozialsiedlung „Fuggerei“gefeiert wird, dann gibt es in doppelter Hinsicht reichsten Anlass, das Schenken, Spenden, Stiften in der alten Reichsstadt zu untersuchen und beispielhaft darzulegen – und im gleichen Atemzug auch den welthistorischen Handelszusammenhang in eben diesem Jahr 1521 zu umreißen. Das eine, die Augsburger Freigiebigkeit, betrachtet ab sofort das Maximilianmuseum, das andere ab sofort das Diözesanmuseum.
Zur empfehlenswerten Freigiebigkeit freilich gehört zweierlei: die, die geben, und die, die nehmen (müssen) – weil sie anderweitig nicht existieren könnten. Es gehört zu den Vorzügen der Schau im Maximilianmuseum, dass sie unter dem hintersinnigen Titel „Stiften gehen!“beide Seiten der Medaille betrachtet, also die Antriebsgründe fürs großherzige und/oder zweckgerichtete Helfen anführt – das sind eben Tora und Bibel –, als auch die Lebensumstände jener armen Menschen im Dunkeln beleuchtet, die die Geschichtsschreibung lange Zeit nahezu völlig vergaß. (Diese Parallelsicht setzt sich im Übrigen bis in den Audioguide und die MuseumsApp fort, bei denen die Besucher Stifter-Perspektive bzw. Empfänger-Perspektive zufällig vorgegeben bekommen – bevor sie dann auch die jeweils andere Perspektive erläutert bekommen.)
Dass in Augsburg seit der ältesten dokumentierten Stiftung des HeiligGeist-Spitals (zurückgehend auf das 10. Jahrhundert, auf den heiligen
Ulrich) über 700 Stiftungen errichtet wurden – nicht mitgerechnet Kapellen-, Altar-, Messstiftungen –, belegt deutlich: guter Wille, Verantwortungsgefühl und Vermögen waren ebenso stark vorhanden wie – im Dunkeln – Bedürftigkeit und Annahmenotwendigkeit. Denen, die aus religiösen, humanitären, imagepolitischen Gründen stifteten, stand vor 500 Jahren in Augsburg ein großer Einwohneranteil von 70 Prozent gegenüber, der am Existenzminimum krebsen musste. Jakob Fugger, der in der Ausstellung zusammen mit seiner Braut Sibylle Artzt auf dem berühmten Burgkmair-Hochzeitsbildnis von 1498 zu sehen ist, stand mit den Großstiftern Afra und Konrad Hirn auf der Sonnenseite des Lebens; für die überwiegende Mehrheit der Bürger aber galt: Leben ist harter Kampf mit 65-Stunden-Woche.
Und dieser Anteil war bei Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit nur eventuell hinsichtlich Unterstützung bezugsberechtigt. Ausgeklammert blieben: Juden, Zigeuner – eine Schongauer-Zeichnung zeigt eine teils entblößte Orientalin mit Turban –, bestimmte Berufsgruppen, ja, selbst unehelich Geborene.
Waren bedeutende Augsburger Stiftungen zunächst christlich-katholischen Ursprungs, so gingen sie nach der Reformation doch vielfach in die protestantische städtische Verwaltung über – durchaus auch mit Zweckumwidmung, was heute kaum denkbar wäre und seinerzeit schon zu theologischen Debatten führte – wie es die bewundernswert kundige Kuratorin Heidrun LangeKrach zusammenfasst, die schon vor zwei Jahren der Kaiser-MaximilianSchau zum Erfolg stark mitverhalf.
Auch abschließend bietet „Stiften gehen!“noch enormen Denkanreiz: Im Hof des Maximilianmuseums darf das Publikum schriftlich fixieren, welche Stiftungen heute notwendig wären und woran es sich ge
beteiligen würde… Tue Gutes und rede darüber!
Zu Recht spricht auch das Diözesanmuseum am Augsburger Dom vom Epochenjahr 1521 und lässt den Blick nach hinten und vorne schweifen. Augsburg war in der ersten Reihe mit dabei, als sich vor 500 Jahren für Europa die Welt globalisierte. In der Druckerstadt lief die „newe Zeittung“über spektakuläre Ereignisse ein, darunter die türkische Eroberung Belgrads. Und Martin Luthers standhafte Verteidigung vor dem Reichstag zu Worms wurde sogleich propagiert.
Die Handelsgesellschaften der Fugger und Welser finanzierten gleichzeitig Expeditionen nach Amerika und darüber hinaus zu den Inseln im Pazifik. Augsburger und Nürnberger Handelsherren hatten bereits 1505/06 eine See-Expedition nach Indien gestartet, wo sie Handel treiben durften. Magellan erweiterte bis 1521 bei seiner Weltumsegelung den Fokus erheblich. Und Augsburger Drucke ließen dann vor
Papageien, Äffchen, unbekannten Früchten und bunten Federtrachten der Indigenen staunen und vor Kinderopfern im Aztekenreich gruseln. Beste Illustratoren wie Hans Burgkmair und der Botaniker Leonhart Fuchs lieferten dem Alten Kontinent lehrreiche und exotische Augenweide zu Abenteuerberichten.
Für die Wunderkammern von Fürsten wiederum gingen Exotica wie der heute einzig erhaltene prächtige Federkopfschmuck eines aztekischen Priesters übers Meer. Bald sollten die Federkünstler dann christliche Madonnenbilder und Bischofsmützen fertigen.
Mochten die Augsburger Flugschriften noch sosehr mit ihrer „Ermannung wider die Türcken“lärmen, so faszinierte die Kriegskunst der Orientalen, und Augsburger Kunsthandwerker fanden nichts dabei, an die Osmanen ziselierte Helme und Marschallstäbe zu liefern. Aufmerksam betrachtete man die beweglichere Rüstung. Daniel Hopfer porträtierte ikonisch Sultan Sügebenenfalls leyman den Prächtigen. „Es gab durchaus viel mehr Kulturaustausch als bloße Konfrontation“, sagt die Leiterin des Diözesanmuseums, Melanie Thierbach.
Die Fronten verwischten sich. Der Reformator Luther wetterte mittelalterlich gegen den Wucher und die Monopolbildung der Fugger, während der Jurist Conrad Peutinger das Zinsnehmen und ihr modernes Wirtschaften verteidigte. Domprediger Urbanus Rhegius sprach 1521 gegen den Ablass, während von Luthers Messgewand, das ihm die Memminger Augustinereremiten stellten, seine Verehrer dann die Fransen als Reliquien abschnitten. Allerneueste Nachrichten von Luthers „Ich stehe hier“in Worms samt Holzschnitt der dramatischen Begegnung am Reichstag am 17. April 1521 gingen sofort dort in Druck, wo noch 1515 ein Ablassbrief für die Dominikanerkirche St. Magdalena durchlief. Der Goldschmied Christof Epfenhauser reagierte mit seiner neuartigen Brotschale schon 1536 auf das geänderte Abendmahl. Die Diözesan-Ausstellung zeigt personelle Netzwerke, Warenflüsse und Kulturtransfers; sie lädt mithilfe digitaler 3D-Technik zu einer Expedition rund um den Globus ein.
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Maximilianmuseum: bis 28. No vember, geöffnet Di. bis So. von 10–17 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr; Katalog (448 S.) im Verlag Schnell & Steiner, 35 ¤
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Diözesanmuseum: bis 28. Novem ber; geöffnet Di. bis Sa. von 10–17 Uhr, sonntags 12–18 Uhr; Katalog (272 S.) im Kunstverlag Josef Fink, 24,90 ¤
Die Fuggerei in Augsburg feiert ihr 500jähriges Bestehen. Wir haben mit den Bewohnern gesprochen, wie es sich dort lebt. Daraus sind vier Filme entstanden, die Sie bei uns auf azol.de/fuggerei im Netz finden.