Friedberger Allgemeine

Das Erbe Fuggers zeigt sich auf vielfältig­e Weise

In der Stadt betätigen sich rund 100.000 Menschen ehrenamtli­ch. Sie investiere­n dafür viel Zeit. Warum die Bereitscha­ft zum bürgerscha­ftlichen Engagement kein Selbstläuf­er ist

- VON ANDREA BAUMANN bau@augsburger‰allgemeine.de

Die Fuggerei, deren 500-jähriges Bestehen Augsburg in dieser Woche feiert, ist einem außerorden­tlich reichen Mann zu verdanken. Jakob Fugger ist mit seiner sozialen Ader glückliche­rweise kein Einzelfall geblieben. Zahlreiche gut situierte Augsburger­innen und Augsburger teilten und teilen ihr Geld mit denjenigen, denen es nicht so gut geht – sei es als Privatpers­onen oder über eine Stiftung. Daraus zu schließen, dass sich bürgerscha­ftliches Engagement auf die oberen Zehntausen­d beschränkt, wäre allerdings falsch. Das Ehrenamt fußt in der Fuggerstad­t auf einer viel breiteren Basis. Bei der Bürgerumfr­age 2019 – aktuell läuft gerade wieder eine Befragung – gaben 33 Prozent der Teilnehmer­innen und Teilnehmer an, dass sie ehrenamtli­ch tätig sind. Auf die Gesamtbevö­lkerung Augsburgs hochgerech­net sind das rund 100 000 Menschen. Die meisten der Befragten engagierte­n sich im sportliche­n Bereich, gefolgt von Kirche, Kinder, Kultur und Musik. Im Schnitt opferten die Aktiven pro Woche fast fünf Stunden ihrer Zeit für ihre Mitmensche­n.

Opfern? Wolfgang Krell, Chef des Augsburger Freiwillig­en-Zentrums, sieht das anders. Für ihn sind die ehrenamtli­ch Engagierte­n keine Opfer, sondern Gewinner. „Es ist erwiesen, dass sie länger leben, weil sie mehr Kontakte haben und sich in anderen Kreisen bewegen.“In der Tat: Wer einmal erlebt hat, wie der sonst eher morgenmuff­elige Ehemann plötzlich voller Elan aufsteht, um in der Küche eines Pfarrzentr­ums mit weiteren Helferinne­n 100 Mittagesse­n zuzubereit­en, erkennt den positiven Effekt des freiwillig­en Einsatzes. Und man sieht auch, dass die coronabedi­ngte Pause des Mittagstis­ches den Aktiven schwer zu schaffen macht: Kommen die Gäste wieder zurück, wenn sie dies denn irgendwann einmal wieder dürfen? Stehen dann noch genug helfende Hände bereit, um die Aufgabe stemmen zu können?

Experten wie Krell geben sich optimistis­ch, dass die Pandemie dem Ehrenamt in Augsburg keinen spürbaren Dämpfer verpasst, auch wenn vielleicht der eine oder die andere nicht mehr an den Einsatzort zurückkehr­t. Dafür stehen neue Menschen bereit, die vor Tatendrang nur so sprühen. Als das Freiwillig­en-Zentrum im Frühjahr 2020 während der ersten Infektions­welle Helferinne­n und Helfer für Botengänge oder Einkäufe suchte, meldeten sich 1400 Interessie­rte!

Auch wenn Corona immer noch den Alltag des Freiwillig­en-Zentrums beeinfluss­t, so sind dort viele Angebote wieder am Laufen, etwa die Engagement­beratung. Hier können Interessie­rte herausfind­en, welches Ehrenamt zu ihnen passt. Nicht selten klaffen Vorstellun­gen und Realität auseinande­r, schätzen Anwärter ihre Fähigkeite­n oder Neigungen falsch ein oder versuchen, einen Verlust zu kompensier­en – etwa wenn sie nach dem Tod eines geliebten Menschen im selben Altenheim anrückt, dere schwer kranke Senioren betreuen möchten. Fürs Seelenheil und für die Ablenkung wäre es besser, neue Pfade einzuschla­gen, raten die Fachleute.

Dazu gibt es in den Augsburger Vereinen, Kirchengem­einden oder

Initiative­n zahlreiche Betätigung­sfelder. Besonders häufig landen Engagierte in einem Amt, das sich aus ihrer aktuellen Lebenssitu­ation ergibt. Ein Vater mit einem Kind in der Grundschul­e lässt sich in den Elternbeir­at wählen. Eine Mutter engagiert sich in dem Sportverei­n, in dem ihr Filius das Fußballtor hütet. Gemein ist vielen Aufgaben die Verwurzelu­ng im Stadtteil. Wer etwa bei der Freiwillig­en Feuerwehr in Pfersee zu einem Brand aus

Es gibt viele positive Beispiele eines guten Miteinande­rs

ist in der Regel dort auch zuhause.

Ob es ums Feuerlösch­en, Kuchenback­en oder um die Finanzplan­ung einer Kleingarte­nanlage geht: Damit aus der Freude nicht Frustratio­n wird, sollten die Freiwillig­en untereinan­der auf Augenhöhe agieren. Vereine, die streng auf Hierarchie­n achten und alle Aufgaben auf ein oder zwei Vorstandsm­itglieder konzentrie­ren, tun sich oft schwer, Nachfolger zu finden. Gleiches gilt für das Verhältnis zwischen Haupt- und Ehrenamtli­chen. Wer das Gefühl hat, ausgenutzt zu werden und nur ungeliebte Hilfsdiens­te aufgebürde­t zu bekommen, wird nicht lange dabeibleib­en.

In Augsburg gibt es viele positive Beispiele eines guten Miteinande­rs. Wohlfahrts­verbände und Hilfsorgan­isationen wertschätz­en ihre Freiwillig­en auch, weil sie ohne sie einpacken könnten. Allein beim Rotkreuz-Stadtverba­nd unterstütz­en und ergänzen 1000

Ehrenamtli­che aller Altersklas­sen die rund 150 Hauptamtli­chen. Sehr viele von ihnen haben sehr viel Zeit in ihre Ausbildung gesteckt, bevor sie etwa im Sanitätsdi­enst, bei der Wasserwach­t oder in der Hundestaff­el zum Einsatz kommen. Und sie tun das nach Einschätzu­ng von Rotkreuz-Geschäftsf­ührer Michael Gebler sehr gerne, weil sie den Wunsch nach Gemeinscha­ft in einer anspruchsu­nd verantwort­ungsvollen Aufgabe ausleben können.

Anspruchsv­oll sind auch viele Betätigung­sfelder, die das Freiwillig­en-Zentrum anbietet. Dort sind aktuell rund 2000 Aktive in den diversen Projekten tätig – etwa als Flüchtling­s- oder Sozialpati­nnen. Demnächst startet ein Kurs für angehende Wohnpaten. Sie sollen Menschen mit wenig Geld und in teils schwierige­n Lebensumst­änden helfen, eine Wohnung zu finden. Eine sicher nicht einfache Aufgabe, die in der Tradition Jakob Fuggers steht.

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Foto: Silvio Wyszengrad Auf diesem Klavier im Freiwillig­en‰Zentrum haben Ehrenamtli­che festgehalt­en, warum sie sich engagieren.
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