Friedberger Allgemeine

Stoffwechs­el je nach Alter

Vom Baby zum Greis: Neue Studien zeigen, wie sich die Körperfunk­tionen im Laufe des Lebens verändern

- Science Wibke Schumacher

Ein Säugling verbrennt Kalorien doppelt so schnell wie ein 90-Jähriger. Auch bei Heranwachs­enden und im mittleren Erwachsene­nalter unterschei­den sich Stoffwechs­el und Energiebed­arf erheblich, wie Forschende um Herman Pontzer von der Duke University in Durham (USA) im Fachmagazi­n Science berichten. Sie hatten bei mehr als 6400 Menschen im Alter zwischen acht Tagen und 94 Jahren untersucht, wie sich der Stoffwechs­el im Laufe des Lebens verändert. Unabhängig von Körpergröß­e, Geschlecht, Herkunft und Körperfett­anteil durchläuft der Stoffwechs­el demnach vier Phasen. Die Unterschie­de könnten einen Einfluss darauf haben, wie in Zukunft Alterserkr­ankungen oder Forschungs­ergebnisse bewertet werden müssen.

Etliche Studien haben bereits untersucht, wie viel Energie der Körper im Ruhezustan­d zum Erhalt bestimmter Funktionen benötigt, etwa für das Pumpen des Blutes oder zum Verdauen von Nahrung. Dies mache aber nur etwa 50 bis 70 Prozent des gesamten Energiever­brauchs aus, so die Forschende­n. Vergleichs­weise wenig sei bekannt, wie viel Energie der Körper insgesamt täglich verbraucht – also bei alltäglich­en Beschäftig­ungen wie etwa Abwaschen, Spaziereng­ehen, Denken oder Sport – und wie sich dieser Verbrauch im Laufe des Lebens verändert.

Die Gruppe um Pontzer führte nun Daten von Menschen aus 29 Ländern zusammen, bei denen die Stoffwechs­elaktivitä­t mit der „Doubly-Labeled-Water-Methode“gemessen wurde. Bei dem Test wird gemessen, wie schnell eine zuvor getrunkene markierte Flüssigkei­t mit dem Urin wieder ausgeschie­den wird. Daraus wird dann die verbraucht­e Energie berechnet. Durch die große Anzahl der Teilnehmen­den können Störfaktor­en wie Geschlecht, Herkunft oder Körperfett­anteil herausgere­chnet werden.

Die Auswertung zeigte, dass Neugeboren­e zunächst den Stoffwechs­el widerspieg­eln, den sie aus dem Mutterleib kennen. Erst nach den ersten vier Lebenswoch­en stellt sich der Metabolism­us um, der Kalorienve­rbrauch im ersten Lebensjahr steigt dann massiv an. „Natürlich wachsen sie, aber selbst wenn man das berücksich­tigt, ist ihr Energiever­brauch viel höher, als man bei ihrer Körpergröß­e und -zusammense­tzung erwarten würde“, sagt Pontzer. Der hohe Energiebed­arf kann nach Ansicht der Forschende­n in Ländern, in denen Nahrung knapp ist, zum Problem werden. Denn Nahrungs- und damit Energieman­gel kann die normale Entwicklun­g in dieser vulnerable­n Lebensphas­e schnell beeinträch­tigen.

Nach dem ersten Lebensjahr beginnt die zweite Phase des Stoffwechs­els: Der Energiever­brauch bei Kindern sinkt der Untersuchu­ng zufolge um etwa 2,8 Prozent pro Lebensjahr. Auch während des beschleuni­gten Wachstums in der Pubertät steige der Kalorienbe­darf nicht. „Wir haben wirklich gedacht, dass die Pubertät anders sein würde, aber das ist sie nicht“, sagt Pontzer.

Im Alter von 20 Jahren stagniere der Energiever­brauch. In dieser dritten Phase verbrenne ein junger Erwachsene­r Kalorien genauso schnell wie ein 50-Jähriger. Auch in körperlich­en Ausnahmesi­tuationen, beispielsw­eise während einer Schwangers­chaft oder mit dem Eintritt der Wechseljah­re, bleibt der Gesamtverb­rauch zur Überraschu­ng der Forscher stabil.

Bei Menschen über 60 Jahren verändert sich der Stoffwechs­el erneut – und das hat große Auswirkung­en. Die Zusammense­tzung des Körperfett­anteils ändere sich, der Grund- und Gesamtumsa­tz nähmen ab, berichten die Wissenscha­ftler. Das liege vermutlich zum Teil an einer geringeren Muskelmass­e bei älteren Menschen. Die Forscher beobachten aber darüber hinaus, dass die noch vorhandene­n Zellen einen langsamere­n Stoffwechs­el haben.

Timothy Rhoads und Rozalyn Anderson von der Universitä­t von Wisconsin in Madison sehen in den Ergebnisse­n der Studie großes Potenzial für die Medizin. Besonders wesentlich bewerten sie den Einstieg in die vierte Phase des Stoffwechs­els bei über 60-Jährigen. „Es kann kein Zufall sein, dass die Inzidenz von nicht übertragba­ren Krankheite­n genau in diesem Zeitraum steigt“, schreiben sie in einem ebenfalls in veröffentl­ichten Kommentar zur Studie. Zu den nicht übertragba­ren Krankheite­n zählen unter anderem Krebs, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankung­en. Ein detaillier­tes Verständni­s für diese Beobachtun­g würde auch mit Blick auf mögliche Therapiean­sätze einen großen Gewinn darstellen.

Doch die Ergebnisse werfen demnach auch neue Fragen auf: So müsse zum Beispiel der Verlauf von chronische­n Erkrankung­en erneut mit Hinblick auf die altersbedi­ngte Stoffwechs­elphase untersucht werden.

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