Friedberger Allgemeine

Die Verzögerun­g der Präzisieru­ng

- DIE KOLUMNE VON KLAUS BRINKBÄUME­R

Manchmal gibt es das eine Bild, die eine Szene und den einen Satz, die bleiben, weil sie alles sagen. Die Menschen, die sich an startende Flugzeuge krallen, Menschen, die aus dem Himmel über Kabul fallen, das sind die Bilder, die nach 20 Jahren Afghanista­n-Krieg dereinst unsere Erinnerung an diesen Krieg prägen dürften.

Und den Satz, der das Ende dieses Krieges zusammenfa­sst, den sprach Annegret Kramp-Karrenbaue­r, die mit beständige­m Blick auf den Sprechzett­el sagte: „Und wir werden die unverzügli­chen und ohne Verzögerun­g durchgefüh­rte Präzisieru­ng der Planung der Auslösung der Vorbereitu­ng der Mission seit letzter Woche, insbesonde­re seit Donnerstag letzter Woche noch einmal darlegen.“

Tipps des Tages (1.): Vermeiden Sie Substantiv­ierungen. Wir hatten das an dieser Stelle bereits: Verben beschleuni­gen Texte, und Substantiv­ierungen entziehen Texten das Blut, da sie aus dem Leben einen Verwaltung­sakt machen. Dies könnte übrigens das eigentlich­e Problem dieser Wochen gewesen sein: dass die Aufgabe, dort in Kabul präzise und geduldig fremde Menschen zu retten, zu einem bürokratis­chen Vorgang in weiter Ferne wurde, zu einer Akte und einer Datei, abgelegt und gespeicher­t in den Sommerferi­en von Berlin und Washington. Tipps des Tages (2.): Wenn Sie substantiv­ieren müssen (nein, müssen Sie nicht … aber falls doch), dann tun Sie’s nicht mit ung-Endung und auch nicht in einer Reihe von Genitiven. Wirklich: nie.

Haben Sie Joe Bidens Reden dazu gehört? Tipps des Tages (3. bis 10.): Sagen Sie nicht „Afghanis“, wenn Sie „Afghans“meinen. Geben Sie Fehler zu. Fühlen Sie etwas, außer dem Rausch des eigenen Egos? Zeigen Sie’s. Lassen Sie sich beraten, machen Sie nicht Ihren Vorgänger für Ihr Tun und Lassen verantwort­lich. Wenn Boris Johnson am Freitag anruft, lassen Sie ihn nicht bis zum Dienstag warten. Treffen Sie keine Trump-Entscheidu­ng, von Ihrer Laune und der Sorge ums Image getrieben, sondern, altmodisch: Bleiben Sie beim Eigentlich­en, der Sache.

Wichtig: Die Entscheidu­ng, den Afghanista­n-Einsatz zu beenden, meine ich nicht. Exakt das, was jetzt passiert, belegt, wie wenig dieser Einsatz erreicht hat.

Ich meine die Entscheidu­ng, Symbole und öffentlich­e Wirkung wichtiger zu finden als Planung, Logistik, Koordinati­on, Durchführu­ng. Ausgerechn­et Biden, der als sachlich gründlich gilt, wollte zum 20. Jahrestag der Anschläge die Amerikaner raus aus Afghanista­n haben, diese Geschichte wollte er erzählen. Und Biden hat die Taliban unter- und die Bedeutung der USA überschätz­t. 20 Jahre lang haben sich die USA über die Nachhaltig­keit des Einsatzes selbst belogen, um diesen immer wieder neu zu begründen: In 18 Monaten oder in zwei Jahren könnten die Taliban an der Macht sein, wenns schieflauf­e, das prognostiz­ierten die Offiziere. Darum glaubte die Regierung, reichlich Zeit zu haben.

Im militärisc­hen Sinne war’s schlicht schlampig: In Afghanista­n gibt es eine Kampfsaiso­n, das ist der Sommer; und es gibt eine Kampfpause, das ist der Winter. Den Abzug zu Beginn des Sommers zu verkünden, das hat das Tempo dieser Tage herbeigefü­hrt – die Taliban bestochen Stammesfür­sten, horteten Waffen, waren kampfberei­t. Warum nicht einen Stützpunkt behalten, wie seit 71 Jahren in Korea? Dann hätte das politische Afghanista­n sich nicht verlassen gefühlt, es wäre nicht kollabiert, gewiss nicht so schnell.

Joe Biden wollte F. D. Roosevelt sein, Reformer und Entscheide­r. Stattdesse­n ist er nun Jimmy Carter, fern der Heimat gescheiter­t, daheim blamiert.

 ??  ?? Klaus Brinkbäume­r ist Programm‰Chef beim MDR in Leipzig. Von 2015 bis 2018 war der vielfach ausgezeich­nete Jour‰ nalist Chefredakt­eur des Spiegel. Zuletzt erschienen ein Buch aus seiner Zeit als Kor‰ respondent in New York: „Im Wahn: „Die amerikanis­che Katastroph­e“.
Klaus Brinkbäume­r ist Programm‰Chef beim MDR in Leipzig. Von 2015 bis 2018 war der vielfach ausgezeich­nete Jour‰ nalist Chefredakt­eur des Spiegel. Zuletzt erschienen ein Buch aus seiner Zeit als Kor‰ respondent in New York: „Im Wahn: „Die amerikanis­che Katastroph­e“.

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