Der Goldjunge aus den Banlieues
Kylian Mbappé gilt als einer der begnadetsten Fußballer der Welt. Er hat sich vom Pariser Stadtrand emporgespielt. Jetzt wagt er wohl den größten Schritt seiner Karriere
In der grauen Tristesse der Pariser Vorstadt ist der Fußball so etwas wie eine Verheißung. Ein Rettungsseil im Sog der Perspektivlosigkeit. Wer sich auf den rauen Betonplätzen und in heruntergekommenen Turnhallen gegen tausende andere behauptet, kann es weit bringen. Der kann den Sprung schaffen in die schillernde Welt des Profitums. Nach Paris, Mailand, Madrid. Jeder Verein Europas, der etwas auf sich hält, sendet seine Scouts in die Banlieues, wie die Vorstädte in Frankreich genannt werden. So beginnt auch die märchenhafte Karriere des Kylian Mbappé.
Auf Youtube existieren Aufnahmen des damals Zehnjährigen, wie er seine Gegner auf dem Fußballplatz derart schwindelig spielt, dass sie einem leidtun können. Schnelligkeit, Spielintelligenz und die nötige Portion Dickköpfigkeit: Der Junge, das sah man früh, hat alles, was es für eine große Karriere braucht.
Mbappés Weg schien früh vorgezeichnet, eine Erzählung des klischeeund kometenhaften Aufstiegs. Und doch wuchs der Sohn eines Kameruners und einer Algerierin nicht nur mit dem Fußball auf. Die französische Zeitung Libération berichtete unlängst, Mbappé habe in seiner frühen Jugend zwei Jahre lang Querflöte am Konservatorium von Bondy, seiner Geburtsstadt, gespielt. Auch schleppten ihn seine Eltern in Bibliotheken und Museen. Der Ball war essenziell, Kultur und ein gesittetes Auftreten waren es auch. Vom AS Bondy wechselt Mbappé zum AS Monaco, wo er in der Saison 2016/17 französischer Meister wurde – einer der jüngsten der Geschichte. Der Wechsel zu Paris Saint-Germain, die grell leuchtende Verheißung eines jeden Banlieues-Jungen, war da nur noch Formalität. „Kyky“war oben angekommen. Mit Paris kam das große Geld. Der Emir von Katar, Besitzer des Vereins, zeigt sich noch immer sehr großzügig, wenn es um die Gehälter seiner Spieler geht. Der vorstädtische Traum von Sportwagen, Luxusuhren und marmorierten Badezimmern hat sich für Kylian Mbappé erfüllt. Seiner MillionenGage gerecht zu werden erhöhte den
Druck auf den Ausnahmespieler. Als er jüngst nach durchwachsener Leistung auf dem Platz von Medienvertretern scharf kritisiert worden war, beklagte sich der sonst so ruhige und ausgeglichene 22-Jährige offen. Ständig werde seine Leistung unter die Lupe genommen, sagte er, Tag für Tag. Weil er anders als viele seiner Nationalteam-Kollegen bei einem französischen Verein unter Vertrag stehe. Lag da schon ein leises „Au revoir“in der Luft?
Seit einigen Tagen verdichten sich die Gerüchte, dass Mbappé – mit 160 Millionen Euro der derzeit wertvollste Spieler der Welt – sich zu Real Madrid verabschieden wird. Dort wünscht man sich einmal wieder einen echten Galáctico, einen Superstar. „Kyky“passte da hervorragend ins Profil – und wäre damit an der Spitze des Weltfußballs angekommen. David Holzapfel