Wie fühlende Maschinen unser Leben verändern
Unser Alltag wird immer digitaler, aber das macht ihn nicht automatisch einfacher. Elisabeth André erforscht an der Uni Augsburg, wie Mensch und Computer besser zusammenfinden können
Augsburg Jetzt ist Florian Lingenfelser doch mal kurz wütend geworden. Seine Stimme hebt sich, er spricht schneller und sein Gesichtsausdruck verfinstert sich. Aber alles dauert nur ganz kurz, dann kehrt seine gute Laune zurück. Dafür gibt es auch einen Grund. Seine Demonstration hat geklappt, der Computer vor ihm auf dem Tisch hat den gespielten Wutanfall erkannt. Eine Webcam hat dafür seinen Gesichtsausdruck gefilmt, ein Mikrofon Sprechgeschwindigkeit, Tonhöhe und Lautstärke erfasst. In Echtzeit analysiert ein Programm aus diesen Daten Lingenfelsers Gefühlszustand. Was einfach klingt, ist in der Realität natürlich etwas komplexer. Aber es liefert die Basis für viele Anwendungen.
Florian Lingenfelser ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Menschzentrierte Künstliche Intelligenz an der Uni Augsburg. Dort wird unter der Leitung von Lehrstuhlinhaberin Prof. Elisabeth André daran geforscht, wie Mensch und Maschine sich besser verstehen können. Denn im Grunde genommen ist es bei diesem Verhältnis nicht anders als bei Begegnungen von Menschen untereinander: Verständnis ist der Anfang von allem. Wo man auch hinkommt, überall ist man heute von Maschinen und Robotern umgeben. Die Technik ermöglicht immer komplexere Anwendungen. Doch oft hat man das Gefühl, dass der Mensch nicht mehr ganz Schritt halten kann. „Was nutzt mir eine super Waschmaschine mit x Programmen, wenn ich sie nicht bedienen kann?“, fasst Elisabeth André das Dilemma ganz lebensnah zusammen. Sicher ist: Die Technik lässt sich nicht mehr zurückdrängen. Aber man kann ihre Entwicklung beeinflussen. Und weil man sich den Menschen lieber nicht kalt und gefühllos vorstellen will, sollen in Zukunft die Maschinen etwas menschlicher werden.
„Die Technik muss für den Menschen da sein. Sie soll dem Menschen dabei helfen, besser zu werden bei dem, was er tut. Aber es ist falsch, dem Menschen etwas wegzunehmen, was ihm Spaß macht“, sagt André resolut. Oft genug ist es genau andersherum. Die Maschine kann eine bestimmte Arbeit schneller und besser erledigen als ein Mensch. Mit der Folge, dass der Mensch eher in die Rolle des Zuarfür die Maschine rutscht. Das will André ändern.
Für ihre Leistungen auf diesem Gebiet ist die 59-jährige Forscherin vergangenes Jahr mit dem LeibnizPreis ausgezeichnet worden, einem der renommiertesten Wissenschaftspreise in Deutschland. An Beispielen für ihr Anliegen fehlt es André nicht. Im Pflegebereich etwa sieht sie ein enormes Potenzial für den Einsatz von Robotern. „Autonomie ist ein Grundbedürfnis des Menschen“, sagt André. Wer aber Pflege braucht, möchte meist am liebsten von Angehörigen unterstützt werden. „Es wird uns in bestimmten Bereichen nichts anderes übrig bleiben, als darauf zu hoffen, dass Roboter uns helfen, die Pflege besser zu gestalten, und Menschen erlauben, möglichst lange selbstbestimmt zu Hause zu leben“, so die Forscherin weiter.
André berichtet von Versuchen mit einem Roboter, der wie ein überdimensionierter Teddybär aussieht und Menschen aus dem Bett helfen kann. Allerdings sei die Maschine so groß, dass dabei kaum noch ein Blickkontakt zwischen Pflegepersonal und der pflegebedürftigen Person möglich ist. Statte man das Pflegepersonal dagegen mit Exoskeletten aus, kleinen anschnallbaren Robotern, die eine körperschonende Unterstützung beim Heben leisten, sei die Funktion die gleiche. „Wenn ein Roboter zwar effizienter ist, aber ein freundliches Lächeln fehlt, ist kein gesellschaftlicher Fortschritt erreicht“, sagt André.
Noch einmal zurück zu Andrés Mitarbeiter Lingenfelser. Auch er sieht mögliche Anwendungen der von ihm optimierten Software im medizinischen Bereich, etwa bei der Nachsorge von Menschen, die unter einer Depression gelitten haben. Aber es gebe auch längst viele Spracherkennungssysteme – im Handy oder in intelligenten Lautsprechern etwa. Die könnten in Zukunft nicht nur auf das reagieren, was man gesagt hat, sondern auch auf das Wie. Doch Computer, die unsere Stimmungen und Gefühle verstehen, könnten noch viel mehr.
Ein Zimmer weiter auf dem Gang teilt sich Hannes Ritschel ein Büro mit Reeti. Reeti ist knapp einen halben Meter groß, hat ein glänzend weißes Plastikkleid und große Kulleraugen, die regelmäßig blinzeln. Eine französische Firma hat diesen Roboter entwickelt. So richtig zum Leben erwecken muss ihn aber jeder Nutzer selbst. Ritschel hat ihm zum Beispiel beigebracht Witze zu erbeiters zählen. Je nachdem, wie sein Gegenüber auf den Witz reagiert, passt Reeti sich an und versucht beim nächsten Mal, den Humor der Zuhörenden noch besser zu treffen. Aber der ernste Kern hinter dem Projekt ist auch hier, Menschen im Alltag zu unterstützen.
Als Begleiter könnte ein Roboter, der Gefühle erkennt, allein lebenden Menschen etwa Tipps geben, um sich besser zu fühlen: „Geh früher ins Bett, damit du am nächsten Tag frisch und ausgeruht bist“, könnte so ein Reeti dann seiner Besitzerin sagen, erklärt Ritschel. Wenn der Roboter weiß, wie der Mensch gelaunt ist, könnte er auch seine Ansprache anpassen: mal eher ermahnend, dann wieder aufmunternd.
Einmal in Fahrt gekommen, erzählt André mit großer Begeisterung von den Herausforderungen ihrer Arbeit. Schnell wird klar: Mit
Technik hat ihre Forschung natürlich zu tun. Aber in Wahrheit lernt man bei der Arbeit an Maschinen, die den Menschen verstehen sollen, vor allem sehr viel über die Menschen. „Wir arbeiten ganz viel mit Psychologen zusammen“, erklärt André. Viele Ansätze kommen aus diesem Bereich. Sie und ihr Team versuchen diese dann technisch umzusetzen.
In einem aktuellen Projekt geht es zum Beispiel darum, wie Lehrkräfte besser mit verhaltensauffälligen Schülerinnen und Schülern zurechtkommen können. In einem anderen soll die Zusammenarbeit von Menschen und Robotern so optimiert werden, dass die Menschen nicht über- und nicht unterfordert werden, damit ihnen die Arbeit langfristig gefällt. Was bleibt, ist die Frage, ob die Menschen das überhaupt wollen: So viel Nähe zu Robotern?
Andrés Antwort ist klar: „Man muss sich immer die Frage stellen: Für wen ist das eigentlich? Wenn die Menschen das Gefühl haben, der Roboter arbeitet für sie und soll sie nicht ersetzen, dann steigt auch die Akzeptanz.“Technikfeindlichkeit und Ängste würden vor allem dadurch genährt, dass nicht alle von der Digitalisierung profitieren, ist sich die Forscherin sicher.
„Die Technik soll dem Menschen dabei helfen, besser zu wer den bei dem, was er tut.“Elisabeth André