Liebe auf Abwegen
Die meisten Menschen wünschen sich Treue – und doch werden angeblich 40 Prozent der Deutschen untreu. Eine bayerische „Affärenmanagerin“weiß, warum
Augsburg Es soll es geben, das klassische Fremdgehszenario. Das Paar ist schon lange in einer Beziehung. Anfangs sehr verliebt ineinander, verliert es sich irgendwann zwischen Karriere, häuslichen Pflichten und Erziehung der Kinder im Alltag aus den Augen. Emotionale und sexuelle Bedürfnisse werden vernachlässigt. Und dann platzt irgendwann die Bombe: Mann oder Frau hat eine Affäre. Die vermeintlich perfekte Beziehung gleicht plötzlich einem Scherbenhaufen und das Paar weiß nicht, wie es so weit kommen konnte.
Ungefähr so beschreibt Melanie Mittermaier den roten Faden, der sich durch die Geschichten vieler ihrer Klienten und Klientinnen zieht. Mittermaier ist Paarberaterin und hat sich auf das Fremdgehen spezialisiert, wirbt offensiv damit, eine sogenannte Affärenmanagerin zu sein. Die Oberbayerin hat nach eigenen Angaben in den vergangenen zehn Jahren tausenden von Paaren nach Ausrutschern und Affären geholfen. „Als Affärenmanagerin geht es mir nicht darum, das Fremdgehen zu vertuschen, sondern die Paare aus der Krise zu coachen“, sagt die Paarberaterin.
Wer im Coachingraum Mittermaiers sitzt, dem ist meistens schon das sprichwörtliche Kind in den Brunnen gefallen. Einzuschätzen, wie viele Menschen tatsächlich schon einmal fremdgegangen sind, ist alles andere als einfach. Es gibt viele Definitionen für das Fremdgehen. Für den einen beginnt der Treuebruch mit dem Fremdknutschen, für die nächste sind es schon erotische Fantasien mit der attraktiven Nachbarin. „Und dann hatte ich vor kurzem ein Gespräch, da meinte die Person: Ich hatte beim Sex keinen Orgasmus, also bin ich nicht fremdgegangen“, erwähnt Paarberaterin Mittermaier.
Die Frage nach der Henne und dem Ei, also, ob erst die Untreue einen Riss in Beziehungen verursacht oder die Beziehungsprobleme Auslöser für einen Seitensprung sind, haben Forscherinnen der LudwigMaximilians-Universität München unter die Lupe genommen. Die Soziologinnen haben in ihre Auswertung nur Paare einbezogen, die in mindestens zwei aufeinanderfolgenden Befragungen zusammen waren, um Veränderungen in der Beziehungszufriedenheit nachvollziehen zu können. Im Durchschnitt waren diese Paare Anfang 30, erwerbstätig, seit acht Jahren in ihrer Partnerschaft, oftmals in einer Ehe mit Kindern – und nur fünf Prozent gaben an, untreu gewesen zu sein. Nur fünf Prozent? Soziologin Christiane Bozoyan erklärt: „Die fünf Prozent beziehen sich auf die Menschen, die jeweils angegeben haben, in den letzten zwei Jahren vor der Befragung fremdgegangen zu sein.“Allgemein seien etwa 40 Prozent der Deutschen wohl schon einmal untreu gewesen, so die aktuelle Forschungslage. Männer berichten etwas häufiger, fremdgegangen zu sein als Frauen. Dagegen sind Frauen mit ihrer Beziehung tendenziell etwas weniger zufrieden und geben auch häufiger an, ihre Beziehung sei in Schwierigkeiten oder sie hätten an eine Trennung gedacht.
In erster Linie sei nicht die geringe Beziehungszufriedenheit verantwortlich dafür, dass Menschen fremdgehen, sondern erst das Gefühl, dass die Partnerschaft in echten Schwierigkeiten sei. „Anders gesagt, erst wenn jemand über eine Trennung nachdenkt, steigt das Untreuerisiko“, sagt die Münchner Soziologin Claudia Schmiedeberg.
Die Studie zeigt, dass Untreue sowohl Ursache als auch Folge von Beziehungsunzufriedenheit sein kann. Kommt die Untreue zuerst, kann zum Beispiel kognitive Dissonanz die nachfolgende Beziehungsunzufriedenheit erklären, also das Schlechtreden der eigenen Beziehung im Nachhinein, um den Seitensprung vor sich selbst zu rechtfertigen. Die Forscherinnen haben nachgewiesen, dass Untreue in der Folge die Beziehungszufriedenheit beider Partner senkt. Dass ein Seitensprung eine Beziehung rettet, ist also zumindest in der Regel nicht der Fall.
Man kann es somit nicht richtig machen, mag nun die eine oder andere Person denken. Paarberaterin Mittermaier hält dagegen. Kommunikation ist für sie der Kitt, der Beziehungen zusammenhält. Umso mehr kritisiert sie das gesellschaftliche Stigma des gar nicht so seltenen Seitensprungs. „Jede Langzeitbeziehung gerät einmal in eine Krise“, betont Mittermaier. Man sollte einen Seitensprung als Krise und nicht als sicheren Trennungsgrund verstehen, sosehr der Vertrauensverlust auch schmerze. Jeder Mensch mache Fehler. Eine Affäre könne sogar ein Weckruf für eine erfülltere Beziehung sein, sagt Mittermaier.
Männer sind untreu, Frauen sind unzufrieden