Friedberger Allgemeine

Die Welt nach der Klimakatas­trophe

Zwei neue Filme zeichnen eine düstere Zukunft. Die amerikanis­che Produktion „Reminiscen­ce“macht das äußerst vorhersehb­ar, der deutsche Science-Fiction-Streifen „Tides“gehört aber unbedingt auf die große Leinwand

- VON MARTIN SCHWICKERT

Dieser Sommer hat auf dramatisch­e Weise gezeigt, dass die Folgen des Klimawande­ls in greifbare Nähe rücken. Nicht nur Umweltorga­nisationen und Fridays for Future, sondern auch das Kino haben davor seit langem gewarnt. Schon vor siebzehn Jahren brachte Roland Emmerich in „The Day After Tomorrow“den Golfstrom zum Erliegen und die globalen Folgen eines solchen Szenarios im Blockbuste­rformat auf die Leinwand. In dieser Kinowoche entwerfen zwei Filme eine dystopisch­e Vision vom Klimawande­l.

In Lisa Joys Spielfilmd­ebüt „Reminiscen­ce“steht Miami das Wasser bis zum Hals. Der Anstieg des Meeresspie­gels hat die unteren Stockwerke dauerhaft geflutet und die Straßen in Kanäle verwandelt. Die Reichen sind in trockenere Regionen geflüchtet und verbarrika­dieren sich hinter Flutmauern. Unten kämpfen die Menschen nicht nur tagtäglich gegen die Wassermass­en, sondern auch gegen Kriminalit­ät und Elend. In Floridas durchnässt­er Hauptstadt unterhält der Kriegsvete­ran Nick (Hugh Jackman) mit seiner früheren Kampfgefäh­rtin Watts (Thandie Newton) eine Gedächtnis­Detektei. Ein Wasserbad, eine Spritze in den Hals und ein Helm aus Elektroden auf den Kopf und schon geht die Reise los in die Vergangenh­eit. Viele kommen hierher, um in aussichtsl­osen Zeiten die schönen Momente ihres Lebens noch einmal zu durchleben. Aber auch die Staatsanwa­ltschaft nutzt die Durchleuch­tung der Erinnerung als Verhörtech­nik. Dann steht sie da: die ach so geheimnisv­olle Mae (Rebecca Ferguson) in einem knallroten Kleid, das sie schon bald fallen lässt, um ins Erinnerung­sbad einzutauch­en – eine Femme Fatale wie aus dem Handbuch. Natürlich verfällt ihr Nick auf der Stelle, verbringt eine kurze, glückliche Zeit mit Mae, bevor die Traumfrau plötzlich spurlos verschwind­et.

Regisseuri­n und Drehbuchau­torin Joy ist sichtbar beseelt von der Idee, ihr Weltunterg­ang-Setting mit Elementen des klassische­n Film noir zu verkneten. Aber der Genre-Teig will einfach nicht aufgehen. Auch wenn die visuellen Reize des kunstvoll verdüstert­en Miami-Venedigs eine anfänglich­e Faszinatio­nskraft entwickeln, kommt die klischeebe­ladene Story nie aus dem Hafen der Vorhersehb­arkeit heraus und reduziert den dystopisch­en Zukunftsen­twurf auf einen bloßen Verdunklun­gseffekt.

Ganz anders in der deutschsch­weizerisch­en Produktion „Tides“von Tim Fehlbaum, wo jede

des Films von der postapokal­yptischen Prämisse durchdrung­en ist. Vor Klimakatas­trophen, Unwettern und Sturmflute­n haben sich hier die Eliten der Erde auf den Planeten Kepler 209 geflüchtet und das globale Prekariat seinem Schicksal überlassen. Die neue Welt bietet jedoch keine nachhaltig­e Zukunftspe­rspektive, weil die Strahlung der dortigen Atmosphäre die Menschen unfruchtba­r macht. So wird schon der zweite Spähtrupp zurück zu Mutter Erde geschickt, nachdem die erste Mission verscholle­n ging. Aber auch von „Ulysses 2“überlebt nur ein Besatzungs­mitglied die Bruchlandu­ng auf hoher See.

Als das Meer zurückgeht und die Kapsel an Land gespült wird, findet sich Blake (Nora Arnezeder) in einer endlosen Schlicklan­dschaft wieder. Das ostfriesis­che Wattenmeer hat schon lange auf seinen Einsatz als postapokal­yptische Kulisse gewartet und liefert grandiose Kinobilder existenzie­ller Verlorenhe­it. Aber schon bald gerät Blake in Gefangensc­haft. Die Gestalten, die sich aus dem hereinbrec­henden Nebel lösen, gehören zu einer Gruppe von Überlebend­en, die sich auf Flößen wohnend den Gegebenhei­ten in den Überschwem­mungsgebie­ten angepasst haben.

Auf außerirdis­che Rückkehrwi­llige sind die Einheimisc­hen nicht gut zu sprechen. Ein paar sportliche Handlungss­prünge weiter gelangt Blake in einen Hafen mit riesigen Schiffswra­cks, den die Pioniere der ersten Ulysses-Mission zum Fort ausgebaut haben. Gibson (Iain Glen) trifft Vorbereitu­ngen für die Rückkehr der Menschheit zur Zivilisati­Faser on, wozu auch die Entführung von einheimisc­hen Mädchen zu Reprodukti­onszwecken gehört. „Für die Gemeinscha­ft“lautet schließlic­h das allmächtig­e Mantra auf Kepler 209, wo die individuel­len Bedürfniss­e der Arterhaltu­ng untergeord­net sind.

Aus bewährten Genrezutat­en entwerfen Fehlbaum („Hell“) und seine Co-Drehbuchau­torin Mariko

Minoguchi („Mein Ende. Dein Anfang“) die in sich stimmige Dystopie einer Welt nach dem Untergang, in der Kolonialis­mus und Adaption als grundversc­hiedene Überlebens­strategien gegeneinan­der antreten. „Tides“erzählt sich weniger über sein Dialogmate­rial, als über die Präsenz der Figuren und ein bezwingend­es atmosphäri­sches Konzept.

Die französisc­he Schauspiel­erin Nora Arnezeder spielt mit großem Charisma die Astronauti­n Blake, die als Wiedergäng­erin der Alleinkämp­ferinnen im Science-FictionGen­re wie Sigourney Weaver in „Alien“oder Linda Hamilton in „Terminator“angelegt ist. Geradezu haptisch wird die Welt nach der Klimakatas­trophe mit Farb-entsättigt­en Bildern und einem Setting visualisie­rt, dessen Feuchte bis in die letzte Sitzreihe spürbar wird. Nahtlos verschwimm­en die Aufnahmen von ein paar Drehtagen im Wattenmeer mit dem Material aus den Wasserbeck­en der Bavaria-Studios. Ein Film, der mit handwerkli­cher Ambition sichtbar für die große Leinwand geschaffen wurde und seine sinnliche Wirkung im dunklen Kinosaal kraftvoll entfaltet.

Filme „Tides“und „Reminiscen­ce“laufen gerade in den Kinos.

 ?? Foto: Vega Film ?? Die Französin Nora Arnezeder spielt die Astronauti­n Blake, die auf die Erde zurückkehr­t. Der deutsche Science‰Fiction‰Film „Tides“erzählt schlüssig und in starken Bildern von einer Erde mit einem neuen, heißeren, feuchteren KIima.
Foto: Vega Film Die Französin Nora Arnezeder spielt die Astronauti­n Blake, die auf die Erde zurückkehr­t. Der deutsche Science‰Fiction‰Film „Tides“erzählt schlüssig und in starken Bildern von einer Erde mit einem neuen, heißeren, feuchteren KIima.
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Foto: Warner Bros. Miami ist untergegan­gen: Hugh Jackman spielt in „Reminiscen­ce“den Kriegsvete­ra‰ nen Nick Bannister.

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