Zu schmal für die Pferdetram: Das Frauentor fiel
Der Torturm wurde 1858 als „wüste unnütze Vogelscheuche“bezeichnet, dennoch löste der Abbruch 1885 starke Proteste aus. Schon kurze Zeit danach stellte sich Wehmut ein / Serie (8)
Die Frauentorstraße beginnt nach der Domkurve. Bis 1885 stand vom Dom aus gesehen das Frauentor im Blick. An den Torturm zwischen den Häusern Frauentorstraße 9 und 10 erinnert heute aber nur noch eine Inschrift am einstigen Standort. Das Frauentor wurde abgetragen, als die Bevölkerung glaubte, das „Entmittelaltern“in Augsburg wäre beendet. Man hatte ab 1860 manch Altes allzu schnell abgebrochen. Schon kurze Zeit danach stellte sich Wehmut ein. Das Frauentor galt als historisches Relikt, das die Augsburger gern erhalten hätten.
Das Problem aber war die enge Durchfahrt. Eine Umfahrungsmöglichkeit gab es nicht. So war 1856 der Abbruch ernsthaft ins Auge gefasst. Die Stadt hätte aber zuvor ein mit dem Tor verbundenes Haus erwerben müssen. Die hohen Kosten verhinderten 1856 das Vorhaben. In der Nacht zum 14. April 1858 brannte ein Haus an der Ecke zur Jesuitengasse in Tor-Nachbarschaft. Der Feuerwächter auf dem Perlachturm habe den Rauch zu spät entdeckt, da der „zu gar nichts dienende Frauentorturm“die Sicht verdeckt habe, meldete sich ein Leserbriefschreiber zu Wort.
In den Brandberichten wurde „die enge Passage durch den abgeschmackten Frauentorturm“als behindernd bei Feuerwehreinsätzen gerügt. Der Turm stand plötzlich heftig in der Kritik: Die „mächtige Vogelscheuche“sei „unnütz und wüst“. Man solle den Torturm nicht erhalten, „nur weil er alt ist und deshalb merkwürdig sein soll“.
1858 waren die Emotionen aufgestaut. Die Stadt war noch vollkommen von einer Stadtmauer umschlossen und man erwartete vergeblich die königliche Abbrucherlaubnis. Der Ärger darüber entlud sich offenbar am historischen Frauentor. Über dessen Beseitigung hätte die Stadt bereits 1858 alleine entscheiden können.
1860 durfte mit königlicher Erlaubnis die „Entfestigung“beginnen. Nun war das Frauentor nebensächlich und geriet aus dem Blickfeld. 20 Jahre später lebten die Abbruchpläne wieder auf. Der Grund war die Einführung der PferdeStraßenbahn im Jahr 1881. Die Gleise mussten in der engen Durchfahrt des Frauentors verlegt werden. Vier Jahre lang fuhren die von Pferden gezogenen Straßenbahnwagen unter dem noch vorhandenen Fallgitter hindurch.
1884 beschloss die Stadt die Beseitigung des Frauentors, koste es, was es wolle. Die Stadtpolitiker hatten nicht mit der Empörung eines Teils der Bürgerschaft gerechnet. Nun lag der Erhalt des letzten innerstädtischen Tores vielen am Herzen. In Augsburg war historisches
Selbstbewusstsein gewachsen. Es hieß, Augsburg habe bereits zu viel alte Bauten verloren. Diese Argumentation hatte zuvor beim Jakobertor Erfolg. Dessen Abbruch war 1876 beschlossen, jedoch verzögert worden. 1881 wurde der Abrissbeschluss revidiert: Das Jakobertor steht immer noch!
Einen ähnlichen Verlauf der Abbruchdebatte erhofften sich geschichtsbewusste Augsburger nun auch beim Frauentor. Doch die Stadtgestalter setzten sich durch. Ihr Hauptargument: Das Frauentor verstopfe die einzige Nord-SüdStraßentrasse der Innenstadt. Im Frühjahr 1885 folgte die Abtragung Stein für Stein. Beim Frauentor ging man sensibler als bei früheren Abbrüchen vor. Der Turmaufsatz samt Glocke wurde abgenommen. Er stand viele Jahre im Hof des Maximilianmuseums. Die im 15. Jahrhundert gegossene Sturmglocke kam 1930 auf das Dach des Uhrturms im Stadtmarkt. Dort fiel sie 1944 Bomben zum Opfer.
Das Frauentor war oftmals gezeichnet und fotografiert worden. Die Bilder belegen: Es war 1885 kein Schmuckstück mehr. Schon 1828 hieß es, neben der Schlaguhr und dem Alter gebe es am Frauentor nichts, was Aufmerksamkeit verdiene. Die Malerei sei gänzlich verwischt. Nur ältere Stiche überliefern
Bemalungen. Die Abbruchgegner brachten 1884 die Torgeschichte in Erinnerung. Es hieß ursprünglich „Tor zu unserer lieben Frau“, benannt nach dem nahen Mariendom. Es war eines von drei Toren der dorfgroßen „Bischofsstadt“. Sie war der älteste befestigte Bereich Augsburgs rund um den Dom. Das Frauentor war das Nordtor der „Bischofsstadt“.
Im Jahr 1143 ist es als Tor erstmals erwähnt. 1246/47 erhielt das Tor einen Turm. 1251 musste der Bischof die Bewachung aller Tore den Bürgern überlassen. Ab 1447 wurde das Frauentor nachts nicht mehr versperrt. 1457 ließ die Reichsstadt den Turm um zwei Stockwerke erhöhen. Er bekam Erker an den vier Ecken des obersten Geschosses. 1485 deckten Handwerker mit 19 Zentnern Bleiblech das Dach neu und der Turm bekam eine Uhr. Anno 1593 schlug ein Blitz ein, 1611 baute es Elias Holl um.
1611 erhielt der Turm die auf Fotos überlieferte Dachform mit geschwungenen Giebeln. Schon damals war das Frauentor nur mehr ein repräsentativer historischer Bau, den Stadtmaler Mathias Kager bemalen durfte. Er huldigte mit einem Bildprogramm Kardinal Matthäus
Lang (1468 – 1540). Der kaiserliche Rat und Augsburger Dompropst hatte 1508 die mit dem Frauentor verbundene Dompropstei erbauen lassen. Ihren Platz nimmt jetzt das „Dom-Hotel“ein. 274 Jahre blieb das Frauentor architektonisch unverändert, 1885 wurde es als Verkehrshindernis abgebrochen.
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Info Die Serie „Stadtentwicklung“zeigt auf, wie sich Augsburg in den ver gangenen 200 Jahren verkehrsmäßig wandelte. Abbruchaktionen riesigen Ausmaßes schufen die Voraussetzung für neue Straßen und Bauwerke auf frei gelegten Trassen.